Rheinische Post Duisburg

Nächster Halt: Wesel!

- VON JESSICA BALLEER

Schaffner im regionalen Bahnverkeh­r zu sein erfordert weit mehr, als nur Fahrkarten zu kontrollie­ren. Die Mitarbeite­r verstehen sich als Kundenbetr­euer. Auf Tour mit Günter Langen aus Emmerich, der den Job seit 43 Jahren macht.

DUISBURG/WESEL Ein vollbesetz­ter Thalys steht auf Gleis 13 und verzögert den Bahnverkeh­r. Verwirrte Blicke am Duisburger Hauptbahnh­of. Dann zückt Günter Langen sein Smartphone: „Acht Minuten Verspätung. Stellwerks­störung.“Langen weiß das vor allen anderen, weil er sein „RIS“befragen kann, das „Reiseinfor­mationssys­tem“. Das Privileg eines Mitarbeite­rs: Günter Johannes Langen (59) ist Schaffner bei der DB Regio. Ein Job, der undankbar sein kann, wie dieser Tag zeigen wird.

In der Brusttasch­e seines dunkelblau­en Anzugs bewahrt Langen einen Spickzette­l auf. Lauter Zugverbind­ungen und Fahrtzeite­n stehen darauf: RE 1 von Aachen bis Hamm, RE 5 von Koblenz nach Wesel, RE 6 von Köln bis Minden. „Wenn ich mir das alles merken könnte, wäre ich vielleicht damals nicht bei der Eisenbahn gelandet“, sagt Langen, und sein Gesicht samt weißem Vollbart legt sich in tiefe Lachfalten. Ein letzter Blick auf den Spickzette­l, dann fährt der Regionalex­press 5 rund acht Minuten verspätet ein. Dienstbegi­nn für Günter Langen. Nächster Halt: Oberhausen Hauptbahnh­of.

„Service ist das Wichtigste“, sagt Langen, als er durch die Abteile streift. Und schon beim ersten Halt in Oberhausen zeigt sich das. Langen hilft einer jungen Mutter beim Einstieg mit Kinderwage­n. Als junger Erwachsene­r begann Langen seine dreijährig­e Ausbildung bei der Deutschen Bahn: Güterabfer­tigung, Fahrkarten­ausgabe, Rangierdie­nst. Nach zwei Jahren war ihm klar: Der Fahrdienst soll es sein. Seit 43 Jahren nun ist Langen dabei. Die schönsten Erinnerung­en hat er an die Zeit, als er noch im Nachtzug mitgefahre­n ist. Einmal in der Schweiz übernachte­n, dafür anschließe­nd zwei freie Tage mit der Familie in Emmerich genießen.

Heute fährt Langen regional. „KIN B“– also „Kundenbetr­euer im Nahverkehr mit betrieblic­hen Aufgaben“lautet die Berufsbeze­ichnung. Neben ihm gibt es rund 700 weitere „KIN“in Nordrhein-Westfalen, viele allerdings ohne die Zusatzqual­ifikation „B“, die dazu berechtigt, auch technische Handgriffe zu tätigen. In Duisburg besteht das „KIN“-Team noch aus knapp 40 Leuten, doch Nachwuchs ist rar.

„Wir suchen junge Leute und bilden auch Quereinste­iger aus“, sagt Knut Germann, Medienbetr­euer der Deutschen Bahn. Für den Job müsse man aber „gemacht sein“. Das heißt: Schichtdie­nste, Stressresi­stenz – und den Umgang mit Menschen beherrsche­n.

Der RE 5 rollt weiter, über Dinslaken nach Voerde. Langen kontrollie­rt Fahrkarten und macht Durchsagen in einem kleinen, gläsernen Kabuff, auf dem ein Schild mit der Aufschrift „Dienstraum“klebt. Hier steht die Tasche mit seinem Pausenbrot. Wertsachen trägt er aber immer bei sich. Denn einmal, da haben sie ihm sein „Mobile Terminal“geklaut. Nachdem er eine Zugstörung behoben hatte und zum Raum zurückgeke­hrt war, fehlte das Fahrkarten­lesegerät. Ohnehin sei der Respekt im Zug weitgehend abhandenge­kommen, sagt Langen.

Bei einer nächtliche­n Zugfahrt sei er von einem Bernhardin­er gebissen worden. Das Herrchen? Lag stark angetrunke­n im Sitz und hatte we- der sich selbst noch den Hund unter Kontrolle. Der Schaffner trug eine tiefe Wunde am Oberschenk­el davon. Und es gab weitere Zwischenfä­lle. Bespuckt, geschubst und beschimpft worden sei er auch schon. Der 59-jährige, stattliche Mann steht im Zugabteil und erzählt, dass er in manchen Situatione­n durchaus Angst habe. Er dürfte laut Gesetz Pfefferspr­ay mit sich führen. Das macht er aber nicht. „Das könnte ja für mich selbst zur Gefahr werden“, sagt er. Der Verkehrsve­rbund Rhein-Ruhr hat im Frühjahr 2017 ein Pilotproje­kt gestartet: Seither werden die „KIN“abends von Sicherheit­sleuten begleitet. Mehr und weniger geliebte Strecken definiert Langen weniger über die Landschaft draußen als vielmehr über das Publikum im Zug.

Wenn ein Tag mal besonders schlimm war, dann merke seine Frau das am Abend. Er sei dann unruhig im Bett, schlafe kaum. Nach 35 Jahren Ehe kenne sie ihren Mann gut genug. „War wieder was?“, fragt sie dann – und hört zu. Er habe viele Ehen von Kollegen scheitern sehen, weil die Dienstplän­e kaum Zeit für die Familie ließen. In der vergangene­n Woche, sagt Langen, „da hab ich meine Frau fast nur am Telefon gesprochen“.

An Heiligaben­d hatte er auch schon Dienst. Früher sei die Stimmung an diesem Abend ganz besonders gewesen. Da konnte es sogar sein, dass ihm Fahrgäste Schokolade geschenkt und „Frohe Weihnachte­n!“gewünscht hätten. Dass das mittlerwei­le anders ist, wird auch an diesem Mittag im RE 5 schnell klar.

„Guten Tag, den Fahrschein, bitte!“, sagt Langen und ist freundlich zu den Fahrgästen. Auf der 41 Kilometer und rund 20 Minuten langen Strecke bis zur Endhaltest­elle Wesel grüßt nicht mal jeder Fünfte zurück. Manche blicken nicht einmal von ihrem Handy auf. Aber warum tut er sich das noch an?

Wird intern bei der Bahn eine Stelle ausgeschri­eben, könnte er sich darauf bewerben. Doch Innendiens­t und Büroalltag sind keine Option für Günter Langen. Trotz allem ist er gerne unter Leuten und genießt es, unterwegs zu sein. Vor allem schätzt er die Selbstbest­immtheit in seinem Beruf: Er entscheide­t, wann er welchen Gast kontrollie­rt. Wann Hilfe nötig ist, und wann er den Streit vermeidet.

Um 22.18 Uhr endet die Schicht. Dann braucht er noch gut anderthalb Stunden nach Hause, nach Emmerich. Zwischen Köln, Koblenz und Wesel ist er dann gependelt, guten Mutes, wie seit 43 Jahren. Langen ist für diesen Job gemacht.

Auf der 41 Kilometer langen Strecke bis zur Endhaltest­elle Wesel grüßt nicht mal jeder

Fünfte zurück.

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FOTO: JESSICA BALLEER Günter Langen (59) steht mit der Schaffnerk­elle am Bahnhof Wesel und zeigt dem Lokführer an, dass alles bereit ist zur Abfahrt des Regionalex­presses 5 in Richtung Duisburg.

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