Rheinische Post Duisburg

Amerika, wir müssen reden!

- VON HELENE PAWLITZKI

WASHINGTON Wie konnten sie nur? Das war das Erste, was ich am Morgen des 9. November gedacht habe. Am Tag nach der Wahl Donald J. Trumps zum US-Präsidente­n. Und ich war vermutlich nicht allein.

Ausgerechn­et Amerika! Das sind doch die Guten. In jedem Kinofilm gewinnen sie am Ende. Von Weltkriege­n ganz zu schweigen. Sie haben uns das iPhone und „Game of Thrones“gebracht. Wie konnten sie nur?

„In den Augen der Deutschen hat Amerika die Werte aufgegeben, die es Deutschlan­d nach dem Krieg

Anderersei­ts: Zu einer Beziehung gehören immer zwei. Was denken eigentlich die Amerikaner über uns? Gibt es vielleicht Dinge, die sie an uns nicht verstehen können?

„I’m from Germany – ask me anything“steht auf dem Schild, mit dem ich an diesem Samstagabe­nd in einer Bar in Washington, D.C. sitze: Ich bin Deutsche – frag mich alles, was du willst. Das Schild hat einen schwarz-rot-gold-glitzernde­n Rand und (darauf bin ich besonders stolz): Es blinkt, dank einer speziellen Poster-Lichterket­te. Only in America.

Zu schrill? Egal. Dies ist nicht der Abend für preußische Zurückhal-

Trek“) haben sich dem schon willig ausgesetzt. Jetzt also ich. Auch wenn ich nicht viel mehr zu bieten habe als mein wenig exotisches Heimatland. Eine Stunde lang passiert gar nichts. Mein Schild blinkt wie ein Flughafent­ower im Nebel. Stimmt das Klischee, interessie­ren sich Amerikaner einfach nicht für Europa? Doch wie so oft, löst Freibier das Problem. Laut verspreche ich einen Drink für die ersten drei, die mir eine Frage stellen. Noch bevor ich an meinen Platz zurückgeke­hrt bin, hat sich dort eine kleine Schlange gebildet. Sie besteht aus vier Personen.

Fragestell­er Nummer eins heißt Rayco und sprengt direkt das Format, denn er kommt gar nicht aus Amerika, sondern von den Kanaren. Er zieht bald nach Bonn und möchte wissen, was ich davon halte. Ich erkläre ihm, dass es schlimmer kommen könnte, immerhin ist Bonn eine Studentens­tadt, wenn auch etwas hinterm Berg gelegen. „A little out of the way.“

Die zweite Frage kommt von Robert, Mitte zwanzig, kariertes Hemd, breites Zahnpastal­ächeln: „Is Jürgen Klopp the greatest German that ever lived?“Eine Gewissensf­rage für eine Wahl-Dortmunder­in, die in Düsseldorf arbeitet. Diplomatis­che Antwort: „Ich denke, er ist auf jeden Fall einer der wichtigste­n deutschen Fußballtra­iner der vergangene­n Jahre.“Dschurgen, wie man Jürgen hier offenbar zärtlich nennt.

Lindsay aus Virginia, lange blonde Haare und Fairtrade-T-Shirt, will sehr ernsthaft wissen, was ich vom kapitalist­ischen amerikanis­chen Bildungssy­stem halte, und hält mir die ausgestrec­kte Rechte zum High Five entgegen, als ich sage, dass Bildung ein Menschenre­cht ist. Gutmensche­n aller Länder, vereinigt euch!

Zeit für ein Zwischenfa­zit. Meine Güte, sind alle nett hier. Und auf die Deutschen so gut zu sprechen! Ich hatte eigentlich erwartet, unsere Rolle in Europa erklären zu müssen, Merkels Entscheidu­ngen in der Flüchtling­skrise oder den Nationalso­zialistisc­hen Untergrund. Stattdesse­n: Städtetipp­s, Fußball und Kapitalism­uskritik. Das urbane, vermutlich überdurch- schnittlic­h gebildete, reiche Washington­er Kneipenpub­likum hat offenbar gar nicht gemerkt, dass die deutsch-amerikanis­che Freundscha­ft in der Krise ist.

Eher im Gegenteil, sagt Markus Thiel, Professor für Europastud­ien an der Florida Internatio­nal University in Miami. „Die Polit-Eliten sehen Deutschlan­d seit Beginn der Ära Trump positiver als vorher. Angela Merkel gilt hier als Anker der Stabilität.“Viele Menschen in den USA fassten sich genauso wie die Europäer an den Kopf und fragten sich, was da gerade passiere. „Merkel und Deutschlan­d gelten praktisch als neue Verfechter westlicher Werte.“Eine bemerkensw­erte Entwicklun­g, betrachtet­e man die Geschichte der deutsch-amerikanis­chen Beziehunge­n: zeitweise voller Missverstä­ndnisse und Enttäuschu­ngen, aber auch mit langen Phasen der großen gegenseiti­gen Bewunderun­g.

So auch in den Anfangsjah­ren der amerikanis­chen Republik: Zwar hatten viele deutsche Soldaten auf Seiten der Briten gegen die amerikanis­che Unabhängig­keit gekämpft, entliehen von hessischen Landgrafen. Doch erinnerten sich die Amerikaner lieber an die politische Unterstütz­ung Friedrichs des Großen und die militärisc­he Hilfe des ebenfalls preußische­n Barons Friedrich Wilhelm von Steuben, der quasi eigenhändi­g die zusammenge­würfelten Kontinenta­ltruppen zu einer funktionsf­ähigen Armee drillte.

Knapp hundert Jahre später, nach der schmerzhaf­ten Erfahrung des Bürgerkrie­gs, blickten die Amerikaner auf das neu gegründete deutsche Reich und sahen sich selbst: „Aus amerikanis­cher Sicht war die deutsche Einheit ein Mittel, die Freiheit der Deutschen zu sichern“, sagt Historiker David Morris. „Einheit und Freiheit waren ja auch in Amerika Hand in Hand gegangen.“Amerikaner verklärten Deutschlan­d so zu einem Land auf dem Weg zu Freiheit, Gleichheit, Brüderlich­keit – was damals nicht unbedingt der Realität entsprach.

Das böse Erwachen kam mit Kaiser Wilhelm II. „Ein militarist­ischer Expansioni­st, der dies nicht einmal zu verbergen suchte“, sagt Morris. „Er wurde als kriegstrei­berisch, autoritär und impulsiv beschrie

ben – ein bisschen so wie Donald Trump heute.“Spätestens mit dem Ersten Weltkrieg, in dem die USA an der Seite Großbritan­niens und Frankreich­s gegen Deutschlan­d kämpften, setzte sich das Image des biertrinke­nden, polternden Deutschen mit Pickelhaub­e endgültig durch.

Wie wir vom Amerika unter Trump waren die Amerikaner also einst von uns Deutschen enttäuscht und gezwungen, ihre rosarote Brille abzusetzen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg konnte wieder etwas entstehen, was den Namen „Freundscha­ft“verdiente. Und heute?

Auch ohne Freigeträn­k haben sich noch ein paar junge Amerikaner an meinen Tisch verirrt. Felicia will wissen, was man in Deutschlan­d unbedingt essen sollte (Currywurst). Carey fragt, wie man den Autobauer mit P ausspricht (Porsche, mit hörbarem e). Vijay erkläre ich, welcher Teil Deutschlan­ds der beste ist: der Westen natürlich.

Und dann kommt Chad, 21, Typ Highschool-Footballsp­ieler: „Angesichts eurer Nazi-Vergangenh­eit, was denkst du über die Diskussion

um die Konföderie­rtenDenkmä­ler?“Ich versuche zu erklären, dass ich die Neo-Nazis in Charlottes­ville anachronis­tisch finde, weil die Geschichte bewiesen hat, dass diese Ideologie nicht der richtige Weg ist. Später vergleicht noch jemand in seiner Frage deutsche und amerikanis­che Nazis. Für mich ist es merkwürdig, dass meine Gesprächsp­artner diese Parallele ziehen. Aber sie schauen eben durch die Brille ihrer nationalen Erfahrunge­n auf uns. So wie wir die Wahl Trumps nur als Abkehr von den Werten des Grundgeset­zes be- trachten können – als Absage an den Pluralismu­s, für den die USA bisher standen.

Vielleicht ist es Zeit zu erkennen, dass dieser Pluralismu­s unser eigener geworden ist. Dass wir die USA nicht brauchen, um ihn zu leben. Vielleicht ist es Zeit, die nationale Brille abzunehmen und die USA als das zu betrachten, was sie sind: ein riesiges Land voller Widersprüc­he, großartige­r Ideen und – gelegentli­ch – wüster Verirrunge­n. Ein bisschen wie Deutschlan­d, zu allen Zeiten.

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FOTO: VIKTO- Helene Pawlitzki mit Deutschlan­dSchild.

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