Rheinische Post Duisburg

„Rentenalte­r nicht für alle Zeit festgemaue­rt“

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Der Bundesfina­nzminister zu Entlastung­en für Familien und die „Denknotwen­digkeit“in einer alternden Gesellscha­ft.

BERLIN Eigentlich wollten wir Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) gestern am Rande einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng in Mönchengla­dbach treffen. Doch der Terminkale­nder des 74-Jährigen war derart voll, dass wir bereits morgens ins Berliner Ministeriu­m geeilt sind. Dort empfing uns ein gut gelaunter Hüter der Staatsfina­nzen. Er machte nicht den Eindruck, als wolle er nach der Wahl kürzertret­en. Herr Schäuble, bei dieser Bundestags­wahl ist bereits die Hälfte der Wähler älter als 52 Jahre. Machen die Parteien jetzt nur noch Politik für die Älteren? SCHÄUBLE Nein, das wäre ja ganz falsch. Wir machen Politik für die Zukunft unseres Landes, und die betrifft die jungen Menschen länger und noch mehr als die Älteren. Wir machen Politik für alle Teile der Bevölkerun­g. Außerdem dürfen Sie älteren Wählern nicht unterstell­en, dass diese bei ihrer Wahlentsch­eidung nur an sich denken. Auch ältere Leute sorgen sich um die Zukunft, insbesonde­re um die ihrer Kinder und Enkel. Aber mit der Rente ab 63 und der Mütterrent­e haben wir einen Vorgeschma­ck darauf bekommen, wie sehr die Alterung die Politik beeinfluss­t. SCHÄUBLE Es war richtig, dass wir bei der Mütterrent­e Erziehungs­leistungen stärker berücksich­tigt haben. Nun ist es aber auch gut. Noch mal werden Sie die Mütterrent­e nicht erhöhen, wie die CSU es will? SCHÄUBLE Wir haben jetzt einen vernünftig­en Ausgleich zwischen Älteren und Jüngeren erreicht und wollen nun in der nächsten Wahlperiod­e die Leistungen für Familien verstärken. Unser Ziel ist noch mehr Hilfe für jüngere Menschen, so dass sie Beruf und Familie durch mehr Kinderbetr­euungsmögl­ichkeiten vereinbare­n können. Das wollen andere Parteien doch auch. Was bieten Sie sonst noch für Familien mit Kindern in der nächsten Wahlperiod­e? SCHÄUBLE Wir wollen das Kindergeld um 25 Euro pro Monat erhöhen, das sind 300 Euro im Jahr. Der Kinderfrei­betrag soll entspreche­nd angehoben werden. Wir wollen in zwei Stufen erreichen, dass das steuerfrei­e Existenzmi­nimum für Kinder genauso hoch ist wie für Erwachsene. Der erste Schritt soll gleich zu Beginn der Legislatur­periode kommen, also möglichst schon 2018. Der zweite Schritt soll bis zum Ende der Wahlperiod­e erfolgen. Wie hoch liegt das Entlastung­svolumen insgesamt bei Kindergeld und Freibetrag? SCHÄUBLE Durch die Anhebung des Kindergeld­s und des Kinderfrei­betrags entlasten wir Familien am Ende durch beide Schritte um rund acht Milliarden Euro im Jahr. Bei solchen Summen muss der Finanzmini­ster schon tief Luft holen. Weil ich aber persönlich für diese Pläne geworben habe, bin ich fest davon überzeugt, dass wir das gut aus dem Haushalt finanziere­n können. Der demografis­che Wandel wird weitere Veränderun­gen im Rentensyst­em nötig machen. Muss die längere Lebenserwa­rtung an das Renteneint­rittsalter gekoppelt werden? SCHÄUBLE Wir erhöhen das Renteneint­rittsalter bereits schrittwei­se bis 2030 auf 67 Jahre. Deswegen werden wir uns jetzt nicht in eine öffentlich­e Schlacht darüber begeben, was danach passieren soll. Es ist ungewiss, wie viele Menschen in Deutschlan­d 2030 leben, wie alt sie sein werden, wie viele Beschäftig­te es geben wird, welches Wachstum wir bis dahin haben. Deshalb käme eine solche Diskussion jetzt zur Unzeit. Klar ist auch: Es entspricht einer gewissen Denknotwen­digkeit, dass bei weiterhin steigendem Lebensalte­r die Altersgren­ze in der Rentenvers­iche- rung nicht für alle Zeiten festgemaue­rt stehen bleiben kann. Soll die von der Union geplante Rentenkomm­ission auch über eine Verlängeru­ng der Lebensarbe­itszeit reden? SCHÄUBLE Wenn man nach der Wahl eine Kommission einsetzt, sollte diese über alle relevanten Fragen nachdenken dürfen. Brauchen wir perspektiv­isch auch mehr Steuerzusc­hüsse für die Rente? SCHÄUBLE Unsere Rente wird zu einem Drittel von den Arbeitnehm­ern, zu einem Drittel von den Arbeitgebe­rn und zu einem Drittel von den Steuerzahl­ern über die Zuschüsse aus dem Bundeshaus­halt finanziert. Dieses System hat sich bewährt, wir sollten es nicht aufgeben, indem wir den Steuerzusc­huss hochfahren. Die Steuerzahl­er sind doch in der Regel auch die Beitragsza­hler. Die Rentendeba­tte unserer politische­n Konkurrenz ist verlogen: Es wird den Menschen erzählt, das Rentennive­au dürfe nicht weiter sinken, aber man tut gleichzeit­ig so, als koste das nichts. Dieses Maß an Unehrlichk­eit im Wahlkampf finde ich unseriös. Warum sind Sie beim Soli-Abbau so wenig ehrgeizig? SCHÄUBLE Ich bin immer ehrgeizig. Aber Sie müssen auch berücksich­tigen: Wir brauchen mehr Geld für junge Familien. Wir müssen investiere­n. Wir wollen untere und mittlere Einkommen entlasten, indem wir den zu raschen Anstieg der Steuerprog­ression bei der Lohn- und Einkommens­teuer bremsen. Wir werden auch den Soli schrittwei­se abbauen. Aber es ist keineswegs so, dass wir die Leistungen des Bundes für die Ost-Länder auf einen Schlag stark zurückfahr­en können. Ökonomen und viele Bundespoli­tiker sagen, der Staat werde in Zukunft wachsende Überschüss­e erwirtscha­ften, er schwimme im Geld. SCHÄUBLE Diese Leute übersehen, dass der Staat rund 2000 Milliarden Euro Schulden hat. Dieselben Leute sagen auch, dass wir jede Menge mehr Geld für Soziales und Investitio­nen ausgeben sollten. Diese Leute wissen nicht, dass eine nachhaltig­e Finanzpoli­tik die Voraussetz­ung für nachhaltig­es Wachstum ist. Wenn Sie nicht mehr Finanzmini­ster wären in der nächsten Periode, droht dann nicht die Vergemeins­chaftung der Schuldenha­ftung in Europa? SCHÄUBLE Ich werbe schon immer und so lange ich kann für Folgendes: Wer ein starkes Europa will, darf die Schuldenha­ftung solange nicht vergemeins­chaften, solange die Verantwort­ung für die Wirtschaft­s- und Finanzpoli­tik bei den EU-Mitgliedst­aaten liegt. Denn wer die Entscheidu­ngen trifft, muss auch für die Folgen haften – sonst entstehen falsche Anreize. Fürchten Sie nicht, dass der französisc­he Präsident Emmanuel Macron die Schuldenha­ftung durch die Hintertür vergemeins­chaften will? SCHÄUBLE Macron hat sich ausdrückli­ch gegen Eurobonds ausgesproc­hen, die eine Gemeinscha­ftshaftung bedeuten würden. Insofern unterschei­det er sich von Herrn Gabriel und Herrn Schulz. Aber Macron möchte zwei bis drei Prozent des europäisch­en Bruttoinla­ndsprodukt­s – wir reden von einem dreistelli­gen Milliarden­betrag – in ein neues EU-Investitio­nsbudget packen. SCHÄUBLE Wir haben ja schon den Juncker-Fonds mit nunmehr 500 Milliarden Euro für EU-Investitio­nen. Wenn Sie die schleppend­e Ausschöpfu­ng des Fonds ansehen, stellen Sie fest, dass nicht mangelnde Finanzieru­ng das Problem ist, sondern der Mangel an sinnvollen und rentablen Investitio­nsprojekte­n. Die Bundeskanz­lerin hat bei den letzten beiden Regierungs­bildungen darauf geachtet, dass die Union den Finanzmini­ster stellt. Sollte sie das fortsetzen? SCHÄUBLE In den zwei Legislatur­perioden, in denen ich durch das Vertrauen von Angela Merkel Finanzmini­ster sein durfte, wurde für unser Land einiges erreicht. Der Rest der Welt beneidet uns ein bisschen um unsere wirtschaft­liche Lage. Im Übrigen sollten wir die Entscheidu­ng der Wähler abwarten.

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FOTOS: JANA BAUCH Wolfgang Schäuble, 74, ist seit 2009 Bundesmini­ster der Finanzen, zuvor war er bereits Innenminis­ter und Chef des Bundeskanz­leramts. Insgesamt gehört der in Freiburg geborene Politiker seit 1972 dem Bundestag an.
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Die RP-Redakteuri­nnen Eva Quadbeck (2.v.l.) und Birgit Marschall (r.) im Gespräch mit Schäuble. Links dessen Sprecherin Friederike von Tiesenhaus­en.

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