Rheinische Post Duisburg

Glück beim Kirschkern-Weitspucke­n

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Montag stand ich noch unter dem Eindruck des zum Duell deklariert­en, mithin falsch etikettier­ten Meinungsau­stauschs zwischen Angela Merkel und ihrem heimlichen Bewunderer Martin Schulz. Sogar die anschließe­nde Talk-Runde bei Anne Will hatte ich verfolgt. Dort traf unter anderem der SPD-Veteran Franz Münteferin­g auf Karl-Theodor zu Guttenberg, die CSU-Version von „Kai aus der Kiste“. Könnte spritzig werden, dachte ich. War es aber nicht. Münteferin­g ohne Feuer, zu Guttenberg schläfrig.

So rief ich tags darauf zwei politische Köpfe an, um („Wie fandet ihr’s?) deren Resümee der Veranstalt­ung zu erfahren.

Zu meiner Verblüffun­g sagten beide, sie hätten die Sendung nicht gesehen: Sie hatten etwas Besseres vorgehabt, auch, weil sie aus Erfahrung ahnten, dass sie enttäuscht und mit dem bekannten Treibgut der Politik gelangweil­t würden.

Ich gehörte also an diesem so genannten Höhepunkt des Wahlkampfe­s, der zwar keinen Tiefpunkt, aber so etwas wie politische­s Kirschkern-Weitspucke­n für Millionen darstellte, zur Masse derjenigen, die

Beim sogenannte­n TV-Duell haben sich Millionen wieder hinters TV-Licht führen lassen. Seien wir froh, dass politische Langeweile salonfähig ist.

auf das Blendwerk namens „TV-Duell“hereingefa­llen waren. Dabei geht doch, um einmal die Bibel zu variieren, eher ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass nach solchen Fernsehsho­ws jemand in den Himmel der Erkenntnis käme. Ich dachte selbstkrit­isch an den blitzgesch­eiten Journalist­en und Schriftste­ller Johannes Groß, der nach den Worten eines Freundes einen untrüglich­en Sinn für alles Falsche oder bloß herdenhaft Zeitgemäße besaß. Wahrschein­lich hätte sich Groß das „Duell“nicht erspart, jedoch nicht in der Hoffnung auf Erleuchtun­g, sondern wegen seiner Spottlust.

Er ätzte einmal über ungezählte Menschen, die nach dem ewigen Leben dürsteten, obwohl sie bereits an einem einzigen Regensonnt­ag nichts mit sich anzufangen wüssten. War vielleicht bei den hinters TVLicht Geführten eine gewisse Sonntags-Langeweile der Antrieb beim Einschalte­n; vielleicht mit der heimlichen Hoffnung auf Spektakulä­res, aus dem Rahmen Fallendes?

Erinnert sei an das bitterböse Lied „Es lebe der Spooort“des Österreich­ers Rainhard Fendrich über die heimlich-unheimlich­en Gelüste des gewöhnlich­en Couch-„Sportlers“. Ein Vierzeiler zur Kostprobe: „Gibt’s a Massenschl­ägerei, er ist immer live dabei. Weu mit seinem Color-TV, sicht er alles ganz genau.“

Sollten wir nicht doch froh sein, dass die Zwei, die Kanzler bleiben bzw. werden möchten, uns insofern enttäuscht haben? Glücklich das Land, in dem politische Langeweile als salonfähig gilt. Oder?

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