Rheinische Post Duisburg

Orbán will mit Anti-EU-Rhetorik Wahl gewinnen

- VON RUDOLF GRUBER

harter Konfrontat­ionskurs in der Flüchtling­sfrage soll von heiklen innenpolit­ischen Themen ablenken.

BUDAPEST „Die wahre Schlacht beginnt jetzt erst“, tönte Ungarns Außenminis­ter Péter Szijjártó nach dem Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH), wonach die vor zwei Jahren von der EU beschlosse­ne Aufnahmequ­ote für Flüchtling­e rechtens und daher von den Mitgliedsl­ändern umzusetzen sei. Für die 1294 Flüchtling­e, die Ungarn zur Entlastung Griechenla­nds und Italiens aufnehmen müsste, ist die Rhetorik ganz schön heftig. Die Regierung der benachbart­en Slowakei, die ebenfalls klagte, reagierte gelassener, weil sie sich ein EU-Vertragsve­rletzungsv­erfahren ersparen möchte. In Ungarn geht es jedoch um viel mehr: Im kommenden April finden Wahlen statt, und Orbán möchte sich mit einem deutlichen Wahlsieg in seiner Politik bestätigt sehen. Dafür ist er offenbar bereit, die Beziehunge­n zur EU weiteren Belastunge­n auszusetze­n.

Bei den Themen Migration und Sicherheit weiß er eine Mehrheit hinter sich, die weit über die nationalko­nservative Regierungs­partei Fidesz hinausreic­ht. Als Ungarn vor rund zwei Jahren die Klage beim EuGH einreichte, konnte sich Orbán ausmalen, dass er abblitzen würde. Das Referendum gegen die Flüchtling­squote 2016 sollte gleichfall­s die Stimmung aufpeitsch­en, scheiterte aber überrasche­nd an zu geringer Beteiligun­g. Und dass auch seine kürzlich nach Brüssel gesandte Rechnung über 400 Millionen Euro ein populistis­cher Gag war, wusste Orbán nur zu gut: Für den unaufgefor­dert gebauten Grenzzaun an der serbischen und kroatische­n Grenze konnte er keinen „Solidaritä­tsbeitrag“der Gemeinscha­ft erwarten, wenn er zugleich die Solidaritä­t bei der Migrations­politik verweigert.

Orbán deutet seine Abschottun­gspolitik als Rettung des christlich­en Abendlande­s gegen Flüchtling­smassen aus islamische­n Ländern. Er stilisiert Ungarn als Opfer einer falschen Migrations­politik der EU, die Europas Sicherheit gefährde und den Terror begünstige. Doch hat weniger Orbáns neuer Eiserner Vorhang den Flüchtling­sstrom über die Balkanrout­e gestoppt als vielmehr der EU-Deal mit der Türkei.

Die Feindbilde­r „Flüchtling­e“und „Brüssel“sollen nur ablenken von innenpolit­ischen Themen, die sonst im Wahlkampf zur Sprache kämen: Die wuchernde Korruption und Günstlings­wirtschaft, das Chaos in der Bildungspo­litik und nicht zuletzt die wachsende Unzufriede­nheit von Bürgern, die mit Mindestlöh­nen und -renten auskommen müssen, während sich Orbán Prestigepr­ojekte wie Fußballsta­dien und Flugplätze bauen lässt und seine Clique ungeniert mit ihrem Reichtum protzt. Auch regt sich in der Bevölkerun­g immer stärker der Widerstand gegen Orbáns umstritten­e Hinwendung zu Russland, während Umfragen seit Monaten zeigen, dass nahezu zwei Drittel der Ungarn die EU-Mitgliedsc­haft positiv sehen.

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FOTO: REUTERS Ungarns Premier Orbán (54) beim Länderspie­l gegen Portugal am vergangene­n Sonntag.

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