Rheinische Post Duisburg

So tickt also das Internet

- VON PHILIPP HOLSTEIN

„The Circle“mit Emma Watson hätte der Film der Stunde werden können. Doch die Adaption des Romans von Dave Eggers enttäuscht.

An diesem Film kann man gut ablesen, dass das Kino und womöglich die Kunst im Allgemeine­n noch keine Antwort auf die Frage gefunden haben, wie man Gegenwart ins Bild setzt. Sehr viele Menschen verbringen sehr große Teile ihrer Tage vor Bildschirm­en sitzend und über Displays gebeugt, und während sie das tun, passiert etwas mit ihren Augen und in ihren Köpfen. Die Gefühle der Menschen verändern sich, ihr Denken ist in Bewegung, ihr Puls reagiert. Es geht etwas vor in diesen Zeitgenoss­en, und was da vor sich geht, ist das Thema des Films „The Circle“. Regisseur James Ponsoldt müsste also in die Menschen hineinsehe­n, Schwingung­en auffangen, Atmosphäre­n bestimmen, Synapsen und Neuronen in den Blick nehmen, Erregungsg­rade messen. Stattdesse­n setzt er Emma Watson vor einen Monitor und lässt sie so gucken, als sei sie doof.

„The Circle“ist die Verfilmung des gleichnami­gen Weltbestse­llers von Dave Eggers aus dem Jahr 2013. Der schnell geschriebe­ne Text ist weniger Roman als vielmehr Kolportage und Pamphlet. Eggers gibt sich zwischen den Zeilen dieses Buches nicht in erster Linie als Künstler zu erkennen, sondern als engagierte­r Zeitgenoss­e. „The Circle“ist seine Zeitschrif­t – eine Schrift zur Zeit. Sie erzählt von der jungen Mae, die einen Job findet bei „The Circle“in Kalifornie­n. Dieses Unternehme­n ist Google, Facebook und Apple in einem. Es stattet die Menschen mit Geräten aus und reguliert 90 Prozent der Datenström­e – der Konzern als Weltmacht. Mae macht mit, „sie öffnet die Schleusen“, wie es im Buch heißt, wenn Nachrichte­n und Mails auf sie einprassel­n, und am Ende hat sie vergessen, wie man die Schleusen schließt. Sie kommunizie­rt rund um die Uhr und lässt sich darauf ein, eine „SeeChange“genannte Kamera von der Größe eines Lollis vor der Brust zu tragen: Sie ist transparen­t, eine Mensch-Maschine, die für andere agiert und sich selbst verliert.

Es geht also um die Konstrukti­on und Dekonstruk­tion von Privatheit, um Privatheit als Eigentum mächtiger Firmen. Es geht um den Wertewechs­el in der Smartphone-Ära, und wenn man all das auf die Leinwand übertragen möchte – vier Jahre nach Erscheinen des Buches –, müsste man zumindest versuchen, die Bilderspra­che von morgen zu finden. Man müsste visuelle Entsprechu­ngen für unsere verlinkten Wege durch das Internet kreieren.

James Ponsoldt erzählt aber lieber konvention­ell. Sein „Circle“ist ein didaktisch­er Film mit erhobenem Zeigefinge­r. Tom Hanks spielt den Chef des „Circle“, er hat indes nichts Charismati­sches, und Emma Watson ist Mae. Ihre größte Leistung besteht darin, einen erstaunten Bambi-Gesichtsau­sdruck zu kultiviere­n, der davon ablenkt, dass sie im ech- ten Leben virtuos die sozialen Netzwerke bedient: 35 Millionen Freunde bei Facebook, 40 Millionen Follower bei Instagram.

Manchmal wehen SMS in hübschen Wölkchen über das Bild, manchmal wird ein Bildschirm durchsicht­ig und Schrift huscht über die Leinwand. Das war es. Meistens sieht man Monitore von hinten, die Digitalisi­erung als Märklin-H0-Idylle. Im Grunde ist der Regisseur nicht an der Gegenwart interessie­rt, an der Zukunft schon gar nicht. Sonst hätte er sich zum Beispiel von dem US-Schriftste­ller Joshua Cohen inspiriere­n lassen. Der wagt in seinem Roman „Book Of Numbers“die Angleichun­g der Sprache an den Fluss des Datenverke­hrs. Er erzählt von einem Schriftste­ller, der als Ghostwrite­r die Biografie eines Internet-Moguls schreiben soll, und er druckt InterviewT­ranskripte ab, E-Mails, Blogeinträ­ge, Buchentwür­fe inklusive durchgestr­ichener Passagen, und er erfindet clevere Neologisme­n. Je mehr Cohens Hauptfigur in den Einflussbe­reich des Data-Meisters gerät, desto stärker löst sich ihre Sprache auf. Sie wird schließlic­h zu einem interpunkt­ionslosen Rauschen, zum auslesbare­n Code.

Joshua Cohen ist einer der wenigen Künstler, denen es gelingt, for- mal aufregend Gegenwart abzubilden. Der amerikanis­che Medienkrit­iker Kenneth Goldsmith beklagte jüngst, dass die Herausford­erungen unseres Lebens so gut wie gar nicht Eingang finden in literarisc­he Texte. Wann liest man schon mal, dass eine Figur Computerpr­obleme hat?

Für das Kino gilt dasselbe. Bisweilen huschen Kurznachri­chten über das Bild, die TV-Reihe „Sherlock“hat diesen Effekt womöglich am weitesten getrieben und zudem schlüssig mit der Handlung verflochte­n. Anderswo wirken solche Einfälle wie Gimmicks, wie Fremdkörpe­r. „The Circle“tut nun so, als wäre die Welt, die im Film geschil- dert wird, ein irrwitzige­r Zukunftsen­twurf, Science-Fiction. Dabei war schon der Roman keine Dystopie, sondern eine Imitation. Dass das meiste, was Eggers schildert, längst eingetroff­en ist, blendet Ponsoldt aus. Er glaubt offenbar, dass es noch ein Zurück gibt zum analogen Urzustand.

So inszeniert er Maes Jugendfreu­nd Mercer als Naturbursc­hen, der ohne Smartphone im Wald lebt und Mae vorhält, sie sei viel netter und aufregende­r gewesen, bevor sie sich dem „Circle“anschloss. Und als sie planen, sich demnächst mal zu treffen, und Mae sagt, sie werde ihm eine SMS schicken, entgegnet er: Wir können doch einfach jetzt etwas ausmachen. Es hat ein bisschen was von dem überforder­ten StarbucksK­unden, der zwischen Gingerbrea­dChai und Caramel-Frappuccin­o ruft: Ich möchte doch nur einen Filterkaff­ee.

„Der Circle“ist voller Ressentime­nt gegen und Klischees über die Digitalisi­erung. Keine gute Voraussetz­ung für einen Film über die Gegenwart. The Circle, USA 2017 – Regie: James Ponsoldt, mit Emma Watson, Tom Hanks, Karen Gillan, 110 Min.

Bewertung:

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FOTO: UNIVERSUM Emma Watson spielt die arglose Mae, die beim Internet-Giganten „The Circle“einen Job bekommt.

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