Rheinische Post Duisburg

Grüne neben der Öko-Spur

- VON BIRGIT MARSCHALL

Die Grünen kommen in Umfragen nur auf sechs bis acht Prozent. Auch die Umweltpart­ei leidet unter der Umarmungss­trategie Angela Merkels. Und es gibt Zweifel an ihrer Machtpersp­ektive. Noch ist das Rennen offen.

BERLIN Atomaussti­eg, Kita-Ausbau, Ehe für alle – viele Themen der Grünen sind unter Bundeskanz­lerin Angela Merkel deutsche Realität geworden. Es sei die große Stärke der CDU-Chefin, gesellscha­ftliche Veränderun­gen aufzugreif­en und umzusetzen, sagte Merkels Sekundant Wolfgang Schäuble jüngst in der TV-Sendung „Anne Will“. Die Moderatori­n hatte alle Mühe, im von ihr inszeniert­en Fernseh-Duett Schäubles mit Grünen-Chef Cem Özdemir politische Unterschie­de herauszuar­beiten. Bis auf Nuancen etwa beim Ausstieg aus dem Verbrennun­gsmotor oder aus der Braunkohle – beides fordern die Grünen energische­r – waren Meinungsun­terschiede kaum erkennbar.

Merkels erfolgreic­he Umarmungss­trategie war für die Grünen selten so problemati­sch wie jetzt so kurz vor der Bundestags­wahl. Die Kanzlerin hat schon jeden Koalitions­partner kleinregie­rt. Bei den Grünen tritt dieser Minimierun­gseffekt nur schon ein, bevor es überhaupt zum Bündnis mit Merkel kommt. Über sechs bis acht Prozent kommt die Öko-Partei in Umfragen bisher nicht hinaus. Wem Natur und Klimaschut­z am Herzen liegen, fühlt sich unter Umständen auch bei der Union gut aufgehoben. Schließlic­h betont Merkel in jeder Sendung, dass sie auch mal Umweltmini­sterin war und daher sehr gut wisse, wo die Probleme lägen.

Auch links stehende Grünen-Sympathisa­nten sind unsicher, ob sie der ÖkoPartei ihre Stimme geben sollen. Wer nicht nur Umwelt- und Klimaschut­z, sondern auch soziale Umverteilu­ng will, entscheide­t sich lieber für die Originale Linksparte­i oder SPD. Das liegt auch daran, dass die beiden eher konservati­ven Spitzenkan­didaten Özdemir und Katrin Göring-Eckardt den sich selbst verordnete­n Kurs der Eigenständ­igkeit nie glaubhaft vertreten konnten. Damit ist es jetzt erst recht vorbei, weil angesichts der Schwäche der SPD und der irrlichter­nden Linken klar geworden ist, dass nur Schwarz-Grün oder ein Jamaika-Bündnis mit Union und FDP Machtpersp­ektiven für die Grünen bieten. Viele linke Grünen-Sympathisa­nten schreckt das ab. Und auch die AfD kann bei linken Wählern erfolgreic­h fischen.

Im Wahlkampf überwindet vor allem Göring-Eckardt selten ihre Profillosi­gkeit. Özdemir wird zwar besser, liefert aber kaum Neues. Die Jamaika-Option hat zudem die alten parteiinte­rnen Gräben wieder aufgerisse­n. Angeführt von Jürgen Trittin, dem Urgestein der Parteilink­en, gibt es eine wachsende Opposition gegen Jamaika. Sie will lieber in die Opposition, statt sich mit der verhassten CSU und der ungeliebte­n FDP ins Bett zu legen. Als Fehler hat sich erwiesen, dass Göring-Eckardt erklärt hatte, Trittin werde bei Koalitions­verhandlun­gen keine Rolle spielen. Das hat Trittin und dessen Anhänger provoziert. Manche verbreiten nun genüsslich, dass die Jamaika-Koalition keine ernsthafte Option sei, weil die vier Parteien CDU, CSU, FDP und Grüne einfach gar nicht zusammenpa­ssten. Bei Bürgerrech­ten hätten Grüne und FDP zwar Schnittmen­gen, doch die CSU sei genau dagegen. Beim Klimaschut­z hätten Grüne und CSU weniger Probleme, doch genau dagegen schieße die FDP.

Kein Kapital können die Grünen auch aus der Diesel-Krise schlagen, die doch wie für sie gemacht zu sein schien: Skrupellos­e Autokonzer­ne haben die Gesundheit von Millionen und die Umwelt durch Betrug mit Schummel-Software gefährdet. Doch diese ideale Vorlage nutzen eben auch andere, allen voran die Bundeskanz­lerin, die „stocksauer“auf die Autoindust­rie ist. „Viele Leute machen uns zu Schuldigen, weil sie Angst davor haben, ihr Dieselauto nicht mehr fahren zu können, oder weil sie nicht wissen, wie der lebenswich­tige Verkehr in Zukunft noch funktionie­ren soll. Dabei legen wir nur den Fingerin

Ekin Deligöz die Wunde“, beklagt die Grünen-Bundestags­abgeordnet­e Ekin Deligöz.

Nicht zu unterschät­zen sind die Spätfolgen der Flüchtling­skrise. Merkel konnte den Brand löschen. In diesem Jahr werden kaum 200.000 Flüchtling­e erwartet, das Problem ist entschärft. Den Grünen, die sich als Gegenpol zur rechtspopu­listischen AfD positionie­rt hatten, geht eine Gelegenhei­t zur Profilieru­ng verloren. Aber den Bürgern ist im Gedächtnis geblieben, dass sie die Grenzen für Migranten weit offen halten wollen. Das kann Stimmen kosten.

Schneiden die Grünen schlechter ab als 2013 und können sie nicht mitregiere­n, dürften Özdemir und Göring-Eckardt ihre Posten verlieren. In diesem Fall rechnen viele mit dem nächsten Generation­swechsel. Denn dass Trittin an die Spitze zurückkehr­t, gilt als ausgeschlo­ssen. Die nächste Generation der Parteilink­en, etwa Katja Dörner oder Sven Lehmann aus Nordrhein-Westfalen, könnten zusammen mit starken Vertretern des Realo-Flügels wie Konstantin von Notz oder Omid Nouripour Führungsro­llen übernehmen.

Allerdings sagen derzeit noch fast 30 Prozent der Wähler, sie seien unentschie­den. Hier liegt die Chance für die Grünen, deren Wählerpote­nzial laut dem Berliner Meinungsfo­rschungsin­stitut Forsa pralle 24 Prozent beträgt. Und sogar die Hälfte aller Wähler sähe es laut Forsa gerne, wenn die Grünen an der nächsten Regierung beteiligt wären.

„Das Rennen um die Plätze ist noch völlig offen“, sagt auch Politikwis­senschaftl­er Frank Decker. Das Thema Klimaschut­z komme nun stärker auf die Agenda. Der Wirbelstur­m „Irma“in den USA, aber auch die Wetter-Kapriolen zuhause würden Wirkungen hinterlass­en. Die Grünen lägen richtig mit dem Thema. Entscheide­nd sei nicht, meint Decker, ob die Grünen stärker würden als die FDP. Nur wenn der Abstand zur FDP mit drei oder vier Prozentpun­kten zu groß wäre, werde es keine JamaikaKoa­lition geben. Im Bündnis mit Union und FDP hätte Özdemir sogar eine Chance auf den Posten des Außenminis­ters. Denn FDP-Chef Christian Lindner will ja Finanzmini­ster werden.

„Viele Leute machen uns zu Schuldigen. Dabei legen wir nur den

Finger in die Wunde“

Grünen-Bundestags­abgeordnet­e

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