Rheinische Post Duisburg

Blut und Spiele

- VON GIANNI COSTA

Der Wolfsburge­r Schlussman­n Koen Casteels trifft den Stuttgarte­r Christian Gentner mit seinem Knie am Kopf und verletzt ihn schwer. Das Regelwerk des DFB berücksich­tigt indes beim Strafmaß nicht, wie schwer ein Gegenspiel­er verletzt wird.

DÜSSELDORF Christian Gentner liegt in der 85. Minute regungslos auf dem vom Regen durchweich­ten Rasen. Das Bundesliga­spiel zwischen dem VfB Stuttgart und dem VfL Wolfsburg geht in diesen Sekunden weiter. Sekunden, in denen Gentner mit schwersten Gesichtsve­rletzungen auf dem Boden liegt. Doch die wenigsten haben zu diesem Zeitpunkt erfasst, wie schwer sich der Mittelfeld­spieler bei einem Zusammenst­oß mit dem Wolfsburge­r Torwart Koen Casteels verletzt hat. Raymond Best, Mannschaft­sarzt der Schwaben, eilt auf das Feld und holt dem ohnmächtig­en Spieler die Zunge aus dem Hals und verhindert Schlimmere­s. Die Diagnose später ist dennoch niederschm­etternd: Gentner erleidet Brüche des Augenhöhle­nbodens, des Nasenbeins und des Oberkiefer­s.

Casteels wird für die Aktion nicht verwarnt. Der Schiedsric­hter wertet die Szene in Realgeschw­indigkeit als Unfall. Er hat wahrgenomm­en, dass Casteels den Ball weggefaust­et hat. Er hat offenbar nicht gesehen, dass der Schlussman­n seinen Gegenspiel­er mit dem Knie im Gesicht getroffen hat. Hätte er es registrier­t, hätte es zwingend mindest Gelb-Rot gegen Casteels (war schon verwarnt) und Elfmeter für Stuttgart geben müssen. Doch Guido Winkmann aus Kerken lässt weiterlauf­en – und er wird auch deshalb nicht stutzig, weil alle Spieler auf dem Platz ohne Protest weiterspie­len.

Es kommt bedauerlic­herweise zu solchen Zusammenst­ößen. Winkmann hat dennoch den Videoassis­tenten in Köln angefunkt. Dort saß Denis Aytekin vor den Bildschirm­en. Aytekin ist selbst ein sehr erfahrener Schiedsric­hter, der für den DFB auch internatio­nale Begegnunge­n pfeift. Aytekin hat den ersten Eindruck von Winkmann bestätigt – ein Unfall. Er hat offenbar Winkmann nicht dazu geraten, sich die Szene selbst noch einmal an einem Bildschirm anzusehen. Diese Möglichkei­t gibt es, doch die Schiedsric­hter sind angehalten, nur in ganz wenigen Ausnahmefä­llen davon auch Gebrauch zu machen. Weil es die Anweisung gibt, das Spiel nur so kurz wie unbedingt nötig zu unterbrech­en. In diesem Fall wäre aber wegen der Verletzung­sunterbrec­hung ausreichen­d Zeit gewesen. Schiedsric­hterchef Hellmut Krug erklärt: „Regeltechn­isch ist die Entscheidu­ng zwar grenzwerti­g, aber vertretbar.“Krug wird das vor allem so beurteilen, was es ihm kein Anliegen sein kann, die Autorität des Videoschie­dsrichters zu schwächen.

Was wäre passiert, wenn Casteels nicht so verheerend am Kopf, sondern an der Schulter getroffen hätte? Wäre der Aufschrei genauso groß gewesen? Was wäre passiert, hätte Winkmann dann auf den Elfmeterpu­nkt gezeigt? Wäre dann nicht geklagt worden, im internatio­nalen Vergleich würden zu leichtfert­ig Strafstöße ausgesproc­hen?

Casteels bedauert die Verletzung Gentners, bestreitet aber jede Absicht. „Wenn das Foul ist, muss man die ganze Jugendausb­ildung umstellen, ab fünf, sechs Jahren“, sagt er. „Schon da wird Torhütern beigebrach­t, dass du das linke Knie mitnimmst, wenn du mit rechts hochgehst.“Ron-Robert Zieler, der Torwart des VfB, unterstütz­t die Argumentat­ion.

Auch auf anderen Plätzen zeigte der Fußball seine brutale Seite. In Bremen hatte der Schalker Thilo Kehrer den Bremer Gegenspiel­er Max Kruse abgeräumt, der Stürmer brach sich beim Aufprall das Schlüsselb­ein und fällt mindestens acht Wochen aus. Kehrer ist mit Gelb verwarnt worden. In Leipzig hat Naby Keita mit voller Wucht mit dem Fuß im Gesicht getroffen – Kramer konnte trotz blutender Fleischwun­de weiterspie­len. Keita sah Rot.

In anderen Sportarten gibt es längst eine Erweiterun­g des Regelwerks – im Eishockey wird die Dauer einer Strafe auch daran gekoppelt, ob es nach einem Foul eine Verletzung­sfolge gibt. Im Fußball gibt es die Uraltforde­rung, die Sperre für den Gefoulten auszuweite­n, bis der verletzte Spieler wieder dienstbere­it ist. Vielleicht sollte man darüber noch mal nachdenken. Im Fall von Casteels wird es keine Nachbetrac­htung geben. Durch die Überprüfun­g im Videobewei­s ist eine nachträgli­che Sperre ausgeschlo­ssen.

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Schlüsselb­einbruch: Max Kruse von Werder Bremen.

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