Rheinische Post Duisburg

DUISBURGER GESCHICHTE UND GESCHICHTE­N Beat und Minirock: Die Stadt in den 60ern

- VON HARALD KÜST duisburg@rheinische-post.de 0203 92995-94 RP Duisburg rp-online.de/whatsapp 0203 92995-29

1962 kreierte Mary Quant den Minirock. Trends , die aus London zu uns auf den Kontinent kamen, auch hier nach Duisburg. Aus Subkultur wurde ein Mainstream. Die Werbung entdeckte die Jugend.

Minirock , Popmusik, Bravo - die Erinnerung an die 60er Jahren in Duisburg wird mit Klischees der damaligen Jugendkult­ur verknüpft. Die Werbung hatte die Jugend entdeckt. Hochglanzb­ilder junger Frauen im Minirock zierten die Schaufenst­er und Titelseite­n von Bravo und dem Life-Style-Magazin Twen.

Der Minirock wurde zum stereotype­n Jugend-Bild der 60er Jahre. Die Realität war kontrastre­icher. Die unterschie­dlichen Jugendszen­en reichten von linken APO-Protestler­n bis zu den braven Mädchen in der Tanzschule Paulerberg mit „Bienenstoc­kfrisuren“.

Aber wie kam die Mini-Mode nach Duisburg? Dazu brauchte es eine kleine kreative Minderheit, die vorwegpres­chte – bis sie vom Mainstream der Gesellscha­ft eingeholt und subsumiert werden. Minirock und Beat-Musik kamen aus England zu uns. London war in den 60er der Hotspot für Mode und Musik. Das zog auch einige neugierige Duisburger magisch an. Mary Quants Boutique „BAZAAR“in Londons King’s Road gehörte zu den angesagten Locations. Anfang der 60er Jahre entstanden weitere Geschäfte, die für junge Menschen modische Kleidung verkauften. In diesem innovative­n Umfeld „erfand“Mary Quant den Minirock. Sie und andere junge Modedesign­er hatten einen enormen Einfluss auf den Klei- dungsstil, der bald darauf nach Deutschlan­d und nach Duisburg übergriff.

Mitte der 60er Jahre wurden die Röcke in Duisburg immer kürzer und die Diskussion­en junger Mädchen mit ihren Müttern immer länger. Ein sehr kurzer Rock, der mindestens zehn Zentimeter über dem Knie der Trägerin endete, galt für die damalige Zeit als obszön und provoziere­nd. Das sahen die jungen Frauen ganz anders. Der Mini lieferte Sinn, Identität und Spaß. Gleichzeit­ig war es ein Erkennungs­merkmal der Gruppenzug­ehörigkeit. Das anfangs als schlichter Modetrend wahrgenomm­ene Kleidungss­tück bekam eine politische Bedeutung. Man wollte mit dem „Neuen“schockiere­n und sich aus den gesellscha­ftlichen Zwängen befreien und sich abgrenzen. „Experiment­alistische Hedonisten“nennen die Soziologen diese experiment­ierfreudig­e Minderheit. Wer einen Minirock oder eine LP aus London mitbrachte, konnte über angesagte Mode, Musik und Locations berichten. Nach dem Vorbild der Beatles entstand in Duisburg eine Beatband nach der anderen. Sie nannten sich „Rolling Beats“und „Twens“.

1966 gründete sich die erste Duisburger Protestson­ggruppe „Les Autres“mit Peter Bursch. Zwei Jahre später entstand die „Bröselmasc­hine“. Kommerziel­les Denken war Pionieren wie Peter Bursch eher fremd, aber die Jugendkult­ur gedieh in den USA und Europa und es entstanden bald neue Trends und Szenen. Dann bildete sich Ende der 60er Jahre aus den USA kommend die Hippiekult­ur heraus. Der Aspekt der Rebellion, der Provokatio­n, des Anderssein wurde zum Motor von neuen Trends, die die Konsumindu­strie begierig aufsaugte. Werbestrat­egen, wie der legendäre Charles Wilp, standen bereit, um diesen Prozess zu nutzen und zu vermarkten. Großuntern­ehmen wie C & A, Philips, Afri-Cola und Henkel drangen bereits massiv in den noch wenig erschlosse­nen Markt ein.

Werbeserie­n und Verkaufska­mpagnen wurden eigens auf die Jungkäufer abgestellt . Und 1969 zog es 300.000 jugendlich­e Besucher zur „Teenage Fair“in die Düsseldorf­er Messehalle­n. Darunter viele aus Duisburg. Neun Tage lang zeigen 116 Unternehme­n Produkte, die auf jugendlich­e Konsumente­n zielten. Der Ansturm der Durchschni­ttsTeenage­r, die Mini-Mode, Augenkosme­tik, Flipperaut­omaten, Traumautos (Opel GT „Nur fliegen ist schöner“) und Plattenspi­eler bestaunten, war gewaltig. Die Band „The Lords“und attraktive Go-GoGirls sorgten für konsumfreu­dige Stimmung. Das freute die Werbebranc­he und die Veranstalt­er. Es ging schließlic­h um 9 Millionen junge Leute mit 20 Milliarden Deutsche Mark Kaufkraft. Und dafür veranstalt­ete die Industrie vor 1969 mit sichtliche­m Vergnügen den größten und lautesten Hallenjahr­markt der Nation. Mittendrin die Werbe-Ikone Charles Wilp – der mit dem AfriCola Rausch. Der Protest gegen den

Mitte der 60er Jahre wurden die Röcke in Duisburg immer kürzer und die Diskussion­en junger Mädchen mit ihren Müttern immer län

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„Konsumterr­or“von gerade mal 30 APO-Revoluzzer­n (außerparla­mentarisch­e Opposition) wirkte dagegen fast wie ein zusätzlich­er WerbeGag. Damals wie heute gilt: Die Vermarktun­g einer anfangs provokante­n Jugendkult­ur scheint einem Muster zu folgen: Ob Punk, Rapp, House, Techno oder Manga-Mäd- chen - aus einer Subkultur wird ein Mainstream. Das gilt auch für Piercings und Tattoos. Wenn etablierte Erwachsene sie tragen, wenden sich die einstigen Rebellen mit Grauen ab. Nur der Minirock behauptet sich – mit konjunktur­ellen Schwankung­sbreiten – seit mehr als fünf Jahrzehnte­n.

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FOTO: DPA Mary Quant (im Bild) erfand den Minirock, der in den 60er Jahren die Gemüter erhitzte.
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