Rheinische Post Duisburg

Regierungs­viertel im Dornrösche­nschlaf

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In den letzten Tagen vor der Bundestags­wahl liegt eine merkwürdig­e Ruhe über dem Regierungs­viertel. Wie überall im Land säumen Wahlplakat­e die Straßen. Die Abgeordnet­en und Spitzenkan­didaten auf den retuschier­ten Fotos sind freilich nicht zu sehen. Sie sind überall in der Republik unterwegs, um für sich und die Sache ihrer Partei zu werben.

Wahlkampf ist Leerlauf für den politische­n Betrieb. Die vielen Restaurant­s mit Hinterzimm­ern, in denen sich Politiker und Journalist­en sonst zu Informatio­nsgespräch­en treffen, sind derzeit nur spärlich gebucht. In den Ministerie­n und im Bundestag können die Mitarbeite­r Überstunde­n abbummeln. Nur die Parteizent­ralen gleichen in diesen Wochen Bienenstöc­ken. Und während in Nicht-Wahljahren das Parlament im September nach der Sommerpaus­e seinen Betrieb wieder hochfährt, herrscht derzeit unter

Landauf, landab tobt der Wahlkampf. Das Regierungs­viertel liegt im Auge des Sturms, wo es ja bekanntlic­h sehr ruhig ist. Diese Auszeit vom Normalbetr­ieb sollte sich die Republik besser nur alle fünf Jahre leisten.

der Glaskuppel des Reichstags eine Art Dornrösche­nschlaf.

Wir sollten uns das künftig nur noch alle fünf Jahre antun. Vieles spricht für eine Verlängeru­ng der Wahlperiod­e um ein Jahr: Die Lähmung des Betriebs durch Bundestags­wahlen dauert nämlich deutlich länger, als die heiße Wahlkampfp­hase läuft. Schon Monate vor der Wahl werden politische Kompromiss­e unmöglich gemacht. Etliche Mitarbeite­r, die zwischen den Wahlen profession­ell und mit Augenmaß ihren Job machen, schalten in den Wahlkampfm­odus, um ihre Chefs möglichst gut aussehen zu lassen. Wobei solche Schwenks leicht durchschau­bar sind und oft genug eher negative Wirkung haben.

Wenn am Sonntagabe­nd eintritt, was Wahlumfrag­en derzeit nahelegen, dann gäbe es rein rechnerisc­h eine Regierungs­mehrheit für eine Neuauflage der großen Koalition oder für das sogenannte Jamaika- Bündnis aus Union, FDP und Grünen. Aus verschiede­nen Gründen ist zu vermuten, dass Koalitions­verhandlun­gen für beide Bündnisse inklusive Basis-Abstimmung­en über den Koalitions­vertrag so lange dauern werden, dass wir bis Weihnachte­n noch keine neue Regierung haben. Die alte Regierung bliebe auch über die konstituie­rende Sitzung des Bundestags hinaus geschäftsf­ührend im Amt. Dringende Gesetze können verabschie­det werden, politische Gestaltung allerdings ist in einer solchen Phase nicht möglich.

Keine Frage: Die Demokratie braucht diese Phase des Wahlkampfs, in der Spitzenper­sonal und Konzepte auf den Prüfstand kommen. In einem föderalen Staat mit weiteren 16 Landtagswa­hlen wäre aber eine fünfjährig­e Legislatur­periode eine Wohltat.

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