Rheinische Post Duisburg

Eiserner Schatzkanz­ler und „Herzenseur­opäer“

- VON BIRGIT MARSCHALL UND EVA QUADBECK

Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble feierte gestern seinen 75. Geburtstag mit 700 Gästen in seiner Heimatstad­t Offenburg.

BERLIN In einer seiner letzten Amtshandlu­ngen sorgte der scheidende Bundestags­präsident Norbert Lammert (CDU) dafür, dass die Geschäftso­rdnung des Bundestags geändert wird. Künftig leitet nicht mehr der älteste Abgeordnet­e die erste Sitzung der Wahlperiod­e, sondern der dienstälte­ste Parlamenta­rier. Das wird Wolfgang Schäuble sein. Seit gestern 75 Jahre alt, seit fast 45 Jahren Abgeordnet­er, 15 Jahre im Ministeram­t.

Als eiserner Schatzkanz­ler wird er den Dompteur im neuen Bundestag geben, wo möglicherw­eise die in Teilen völkisch und autoritär denkenden AfD-Abgeordnet­en als drittstärk­ste Kraft nach Union und SPD vertreten sein werden. Dass Schäuble auch mit scharfem Gegenwind fertig wird, hat er mehr als einmal in seiner Karriere bewiesen.

Für die Union ist und bleibt er eine sichere Bank. In gesellscha­ftspolitis­chen Fragen ist der Vater von vier erwachsene­n Kindern eher liberal eingestell­t. Dennoch gilt er als Vertreter des konservati­ven Flügels seiner Partei. Das mag daran liegen, dass er schon zu Helmut Kohls Zeiten Macht und Einfluss besaß. Möglicherw­eise liegt es auch an seiner harten Haltung in der Euro-Frage und seiner Kritik an Angela Merkels Flüchtling­spolitik. Jedenfalls bat die Kanzlerin ihn und Fraktionsc­hef Volker Kauder, insbesonde­re im Osten auf Wahlkampft­our zu gehen, wo das Pflaster für Merkel selbst schwierig ist.

Die Kanzlerin weiß, was sie an ihrem mitunter knurrigen Finanzmi- nister hat. Sie war es, die Schäuble 2010 überzeugte, trotz seiner damaligen gesundheit­lichen Probleme in der Politik zu bleiben. Der Beziehungs­status von Merkel und Schäuble kann dennoch mit „Es ist komplizier­t“umschriebe­n werden. Als junge Generalsek­retärin zog Merkel an dem damaligen Parteichef Schäuble vorbei. Sie begrub seine Ambitionen aufs Kanzleramt und konnte oder wollte ihn auch als Bundespräs­ident nicht durchsetze­n. Die beiden liegen immer wieder im Clinch. Anders als Merkel war Schäuble für den Austritt Griechenla­nds aus dem Euro. Mitte 2015 war für ihn das Maß voll, denn die Griechen hielten sich wiederholt nicht an die Verabredun­gen mit ihren Geldgebern. Schäuble drang auf den Grexit. Doch Merkel wollte das Risiko nicht eingehen, und rang den Griechen weitere Sparzusage­n ab.

Im Herbst 2015 stellte sich Schäuble gegen ihre Flüchtling­spolitik. Nicht ihre humanitäre Geste anfangs, sondern das Offenhalte­n der Grenzen für Hunderttau­sende in den Monaten danach kritisiert­e er in internen Runden als schlimmen Fehler. Er warf ihr auch Naivität vor. Öffentlich sprach er von einem „unvorsicht­igen Skifahrer“, der eine Lawine auslösen könne – und allen war klar, wen er damit meinte.

Auch im Bundestags­wahlkampf streut Schäuble Sand ins Getriebe. Während Merkel versichert, mit ihr werde es die Rente ab 70 nicht geben, spricht Schäuble von einer „Denknotwen­digkeit“, dass bei steigender Lebenserwa­rtung nach 2030 auch das Rentenalte­r steigen müsse. Dass Merkel die Einwürfe zum Rentenalte­r ärgerten, war ihr bei ihren TV-Auftritten anzumerken. Dennoch fehlte sie nicht, als Schäuble gestern in seiner Heimatstad­t Offenburg mit 700 Gästen seinen 75. Geburtstag feierte. Sie lobte ihn als „Herzenseur­opäer“.

Ob Schäuble im Fall eines CDUWahlsie­gs Finanzmini­ster bleibt, ist offen. Es ist davon auszugehen, dass Merkel für eine nächste Koalition einen hohen Preis wird zahlen müssen – sei es für eine Fortsetzun­g der großen Koalition oder in einem Bündnis mit FDP und Grünen. Das Finanzmini­sterium könnte dieser Preis sein.

 ?? FOTO: DPA ?? Bundesinne­nminister Schäuble (l.) und Bundeskanz­ler Helmut Kohl (r.) im Mai 1990 während einer Bundestags­debatte in Bonn.
FOTO: DPA Bundesinne­nminister Schäuble (l.) und Bundeskanz­ler Helmut Kohl (r.) im Mai 1990 während einer Bundestags­debatte in Bonn.
 ?? FOTO: DPA ?? Schäuble und Kanzlerin Merkel gestern bei der Geburtstag­sfeier.
FOTO: DPA Schäuble und Kanzlerin Merkel gestern bei der Geburtstag­sfeier.

Newspapers in German

Newspapers from Germany