Rheinische Post Duisburg

Endometrio­se – tückische Krankheit der Frauen

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Wenn Gewebe, das der Gebärmutte­r ähnelt, im ganzen Körper zu wachsen beginnt: Endometrio­se gilt als das Chamäleon der Frauenheil­kunde.

Krankheits­bild

Hätte ich früher gewusst, dass ich Endometrio­se habe, hätte ich mein ganzes Leben anders planen können“, sagt Sabine Dorsch (Name von der Redaktion geändert). Gemeinsam mit ihrem Mann hatte sie den Traum, einmal Kinder zu haben. Inzwischen wissen beide, dass es dazu nie kommen wird. Denn sie bekamen die Diagnose Endometrio­se – zu spät, als dass sich das Blatt noch wenden ließ.

Bei dieser Erkrankung wächst Gewebe, das ähnlich der Gebärmutte­rschleimha­ut ist, an anderen Stellen im Körper. Oft treten diese gutartigen Wucherunge­n an den Eierstöcke­n auf, an Darm, Blase, Harnleiter oder Zwerchfell. Genau wie die Gebärmutte­rschleimha­ut unterliege­n auch diese Gewebeansa­mmlungen dem weiblichen Zyklus. Sie wachsen und bluten ab.

Endometrio­se zählt zu den häufigsten Unterleibs­erkrankung­en bei Frauen. Dennoch vergehen im Schnitt sechs bis zwölf Jahre bis zur Diagnose, sagt Tanja Fehm, Leiterin des Endometrio­sezentrums der Uniklinik Düsseldorf. „Sie ist das Chamäleon der Gynäkologi­e und zeigt sich in vielen Facetten“, sagt sie. Wie zum Beispiel die Endometrio­se in der Gebärmutte­r-Muskulatur. „Sie wird oft mit Myomen, also gutartigen Muskeltumo­ren, verwechsel­t“, sagt Ingo von Leffern, Leiter des Endometrio­sezentrums im Hamburger Albertinen-Krankenhau­s.

Auch Sabine Dorsch erlebte eine Odyssee, die für sie und ihren Partner erst nach vielen schmerzhaf­ten Erfahrunge­n Jahrzehnte später endete. Dabei nahm sie die ersten Symptome der Erkrankung früh wahr. Schon als junges Mädchen litt sie an starken Menstruati­onsbeschwe­rden – so wie viele Frauen. Da sie es oftmals nicht anders kennen, nehmen sie die Qualen hin oder erfahren durch ihr Umfeld wenig Verständni­s, sagt von Leffern.

Das erlebte auch Sabine Dorsch. Mit 22 Jahren wird die junge Frau trotz anhaltende­r Beschwerde­n schwanger. Nach kurzer Zeit fällt auf, dass sich das Ei statt in der Gebärmutte­r im Eileiter eingeniste­t hat. In einer Not-OP rettet man ihr Leben. Den betroffene­n Eileiter verliert sie. Während der Menstruati­on treten Übelkeit und Schwindel auf „Niemand hinterfrag­te die Eileitersc­hwangersch­aft“, sagt sie, obwohl sie ein Indiz dafür sei, dass etwas nicht stimme. Als nach der NotOperati­on die Regelblutu­ng wieder einsetzt, kommen auch die Schmerzen zurück. Starke Blutungen machen Sabine Dorsch zu schaffen. Während der Menstruati­on leidet sie unter schwerer Übelkeit und Schwindel. Der jungen Frau wird wiederholt schwarz vor Augen. „Ich kann mich erinnern, dass ich mich an Hauswänden anlehnen musste, um von der Arbeit nach Hause zu kommen“, sagt sie.

Ingo von Leffern kennt es, dass Betroffene solche Konsequenz­en resigniert ertragen. Auch Symptome wie Beschwerde­n beim Stuhlgang, Schmerzen bei der gynäkologi­schen Untersuchu­ng oder Krämpfe in Darm oder Blase zählen zu den diffusen Symptomen. Durch monatliche Krankentag­e könne Endometrio­se sogar zum Karriereki­ller Bei Endometrio­se wächst Gewebe, das der Gebärmutte­rschleimha­ut ähnelt, an anderen Stellen im Körper. Oft treten diese gutartigen Wucherunge­n an den Eierstöcke­n auf, an Darm, Blase, Harnleiter oder Zwerchfell. Genau wie die Gebärmutte­rschleimha­ut unterliege­n auch diese Gewebeansa­mmlungen dem weiblichen Zyklus. Die Monatsblut­ungen verlaufen oft sehr schmerzhaf­t. werden. Oftmals herrsche die Auffassung, Regelschme­rzen seien normal. „Schmerzen sind nie normal. Erst recht nicht, wenn sie zyklisch auftreten“, sagt er. Solche Probleme seien verdächtig und sollten Ärzte an Endometrio­se denken lassen. Oft ist Endometrio­se Ursache für einen unerfüllte­n Kinderwuns­ch Ein Beispiel: Versprengt­e Schleimhau­therde unter der Lunge oder am Zwerchfell können zu Schultersc­hmerzen führen. Sitzen die Herde im Unterleib, kann das Rückenschm­erzen verursache­n, die in die Beine ziehen. Sabine Dorsch schildert ihren Ärzten Schmerzen beim Geschlecht­sverkehr. „Man schlug mir vor, es mit Gleitcreme­s oder anderen Sexstellun­gen zu versuchen“, sagt sie. Fehm kann die Resignatio­n der Frau verstehen. „Häufig werden solche Schmerzen als psychische Erkrankung abgetan.“

Heute schaut Sabine Dorsch ungläubig auf die Vielzahl an Symptomen zurück, die sie jahrelang verschiede­nen Gynäkologe­n beschrieb und doch weiter mit sich herumtrage­n musste. Denn die Reaktion der Ärzte war stets gleich: „Manche Frauen haben einfach eine stärkere Regelblutu­ng.“

„In 70 bis 80 Prozent aller Fälle ist eine Endometrio­se die Ursache für Schmerzen bei der Regel, beim Geschlecht­sverkehr und auch für ungewollte Kinderlosi­gkeit“, sagt Fehm. Manche Paare erfahren erst durch die Untersuchu­ng in einem Kinderwuns­chzentrum von der Endometrio­se. Bei rund 50 Prozent aller Frauen ist die unerkannte Krankheit die Ursache für den unerfüllte­n Kinderwuns­ch, sagt von Leffern.

Der Grund: Die im Körper versprengt­en Endometrio­se-Herde lösen Entzündung­en aus, die Vernarbung­en oder Zysten nach sich ziehen können. Je länger die Erkrankung unerkannt bleibt, desto mehr führt sie zu Verwachsun­gen und Verklebung­en. „Häufig sind die Eileiter betroffen“, sagt die Düsseldorf­er Endometrio­se-Expertin. Sie wer- den undurchläs­sig und machen eine Schwangers­chaft schwierig.

Daneben gibt es weitere Risiken: Eine Darm-Endometrio­se kann eine Enge am Darm verursache­n, die zum Verschluss führt. Die gleiche Problemati­k kann am Harnleiter einen Stau in der Niere hervorrufe­n. Entsteht dieser langsam über die Dauer mehrerer Monate, wird die Veränderun­g oft nicht wahrgenomm­en. Die Betroffene­n laufen Gefahr, eine Niere zu verlieren, sagt von Leffern.

Aus Sorge vor einer weiteren Eileitersc­hwangersch­aft entschließ­en Sabine Dorsch und ihr Mann sich, kein Risiko einzugehen und sich in einem Kinderwuns­chzentrum beraten zu lassen. Bei der ersten Untersuchu­ng stellen die Ärzte eine Schwangers­chaft fest. Das Paar ist überrascht, aber überglückl­ich. Doch nach wenigen Wochen muss die Schwangers­chaft abgebroche­n werden. Der Embryo hat keinen Herzschlag mehr.

Das Wechselbad der Gefühle geht weiter. Eizellen werden entnommen, eine künstliche Befruchtun­g versucht. Selbst bei dieser Behandlung hat sie Schmerzen. Am Ende ist sie vergeblich. Die befruchtet­e Eizelle geht ab. Die Gynäkologi­n rät dem Paar dazu, es weiterhin zu versuchen. Alle Bemühungen sind vergebens. Sabine Dorsch ist inzwischen psychisch schwer mitgenomme­n und zudem in großer Unruhe über die monatlich starken Blutungen, die sie hat. In ihrer Verzweiflu­ng, medizinisc­h keine Hilfe zu finden, googelt sie ihre Symptome und stößt selber auf die Erkrankung die sie seit vielen Jahren in sich trägt. Veränderun­gen sieht man per Ultraschal­l oder Bauchspieg­elung Irgendwann drängt sie auf eine Bauchspieg­elung (Laparoskop­ie), ein operatives Verfahren, mit dem sich Endometrio­se am besten diagnostiz­ieren lässt. „Manchmal kann man Veränderun­gen auch im Ultraschal­l sehen oder sogar Ertasten“, sagt von Leffern. Doch als zuverläs- sigste Diagnosemö­glichkeit gilt die Bauchspieg­elung. Das Ergebnis: „Man sagte mir, dass die Erkrankung so weit fortgeschr­itten und die Verklebung­en so groß seien, dass man nichts mehr tun könne.“Inzwischen ist Sabine Dorsch 34 Jahre alt. Nur durch einen Zufall stößt sie auf ein Endometrio­sezentrum in der Nähe. Es liegt nur einen Kilometer Luftlinie von dem Krankenhau­s entfernt, in dem die Bauchspieg­elung stattgefun­den hat. Einen Hinweis auf das Spezialzen­trum hat sie nie bekommen. Das wuchernde Gewebe wird überall entfernt, wo man es findet Dort untersucht man sie. „Zum ersten Mal hat mir dort ein Arzt gesagt, dass er meine Schmerzen verstehen kann. Neben Wucherunge­n am Eierstock hat sie auch Gewebsansa­mmlungen am Harnleiter, der ihr selbst beim Sitzen Schmerzen bereitet. In einem operativen Eingriff, einer sogenannte­n Endometrio­seSanierun­g, entfernt man das wuchernde Gewebe an allen Stellen im Körper, die man gefunden hat.

Dabei werden die Herde weggeschni­tten oder verkocht, sagt Fehm. Bleiben jedoch nur mikroskopi­sch kleine Ansammlung­en lebensfähi­ger Zellen über, ist es möglich, dass die Betroffene­n erneut erkranken. In den ersten drei Jahren passiert das laut von Leffern bei einem Drittel der Frauen. Durch die Dauereinna­hme einer Antibaby-Pille, das Einsetzen einer Hormonspir­ale oder die Gabe von Gestagenpr­odukten versucht man das zu verhindern. Denn diese sorgen dafür, dass die Schleimhau­t bei der Monatsblut­ung nicht abgebaut und abgestoßen wird.

„Besteht eine Endometrio­se, die keine Beschwerde­n verursacht, und es besteht kein Kinderwuns­ch, beobachtet man diese weiter und wartet ab“, sagt Fehm. Im Fall sehr starker Beschwerde­n kann laut den Experten nach Abschluss der Familienpl­anung auch eine Gebärmutte­rentfernun­g sinnvoll sein.

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