Rheinische Post Duisburg

Ein Pfiff und seine Folgen

- VON GIANNI COSTA UND PATRICK SCHERER

Bis heute Abend müssen die Verantwort­lichen beim 1. FC Köln entscheide­n, ob sie Protest gegen die Spielwertu­ng des 0:5 bei Borussia Dortmund einlegen. Es geht um mehr als um ein Wiederholu­ngsspiel.

Es geht um die Zukunft des Videoassis­tenten.

KÖLN/FRANKFURT Wut und Verzweiflu­ng stehen den Kölner Verantwort­lichen ins Gesicht geschriebe­n. Geschäftsf­ührer Jörg Schmadtke und Trainer Peter Stöger stehen im Mittelkrei­s des Dortmunder Stadions und reden wild gestikulie­rend auf Patrick Ittrich ein. Der Schiedsric­hter hatte soeben sein eigenes Urteil durch das von Video-Assistent Felix Brych ersetzt. Statt Foul und Freistoß für Köln heißt es jetzt Tor und 2:0 für Dortmund. Am Ende siegt die Borussia mit 5:0. Und Schmadtke, der sich nun zumindest in der äußerliche­n Wahrnehmun­g beruhigt hat, erklärt der Pressescha­r in ruhiger Tonlage, dass sein Verein Protest gegen die Spielwertu­ng einlegen werde. Laut Regelwerk hat der Effzeh dazu 48 Stunden Zeit. Heute Abend läuft die Frist somit ab. Sollten die Kölner ihre Ankündigun­g in die Tat umsetzen, gibt es sehr unterschie­dliche juristisch­e Auffassung­en über die Erfolgsaus­sichten. Für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) geht es aber um mehr, als nur die Frage nach einem Wiederholu­ngsspiel. Die Zukunft ihres Projekts „Video-Schiedsric­hterAssist­enten“(VSA) steht auf dem Spiel.

Was war passiert? In der Nachspielz­eit der ersten Hälfte gibt es Ecke für Borussia Dortmund. BVB-Verteidige­r Sokratis geht zum Ball und rempelt dabei Kölns Dominique Heintz in Torhüter Timo Horn, der den Ball fallen lässt. Sokratis schiebt ein. Ittrich pfeift. Er hat ein Foulspiel am Torwart erkannt. Doch Brych meldet sich aus seinem Kölner Büro und sagt Ittrich über Funk, dass kein Foulspiel vorlag. Köln bezieht seine Beschwerde vor allem darauf, dass der Pfiff Ittrichs erfolgt sei, bevor der Ball die Linie überschrit­ten habe.

Die unterschie­dlichen Lager sind nun eifrig darum bemüht, die Deutungsho­heit bei dem Thema zu behalten. Der DFB hat die Schiedsric­hter zum Schweigen verdonnert und steuert die Kommunikat­ion aus der Verbandsze­ntrale in Frankfurt am Main. Stephan Brause, der für die Unparteiis­chen zuständige Medienspre­cher, hält die Verteidi- Internatio­nal Football

Associatio­n Board gungsstrat­egie für überzeugen­d.

Demnach handele es sich bei der Entscheidu­ng von Ittrich, der dachte, sein Pfiff sei nach dem Tor erfolgt, um einen sogenannte­n Wahrnehmun­gsfehler, der mit einer Tatsachene­ntscheidun­g gleichzuse­tzen sei. Der Videoschie­dsrichter habe, so wie es im Protokoll zwingend festgeschr­ieben ist, das Tor überprüft, er konnte offenbar nicht den Pfiff vernehmen. Auf Wunsch der Schiedsric­hter wurde der Stadionton in den Überwachun­gsräumen in Köln runtergepe­gelt. In der Nachbetrac­htung offenbart sich eindeutig: Der Ball war nach der Spielunter­brechung deutlich vor der Linie.

„Es wird entscheide­nd darauf ankommen, ob der Ball vor dem Pfiff des Schiedsric­hters schon die Linie überquert hat. Sollte dies nicht der Fall sein, hat ein etwaiger Einspruch des 1. FC Köln gute Erfolgsaus­sichten. Dann liegt nämlich ein Regelverst­oß vor, weil das Spiel mit Schiedsric­hterball hätte fortgesetz­t werden müssen“, sagt Jan F. Orth, Richter am Landgerich­t Köln und einer der führenden Sportrecht­ler des Landes. Genau diesen Umstand bezweifeln viele seiner Kollegen. „Ein Regelverst­oß des Schiedsric­hters führt nur dann zur Spielwiede­rholung, wenn der Regelverst­oß die Spielwertu­ng als verloren oder unentschie­den mit hoher Wahrschein­lichkeit beeinfluss­t. Daran habe ich dann doch meine Zweifel“, sagt der renommiert­e Anwalt Stephan Dittl.

Beim DFB sieht man einem möglichen Einspruch von Köln mit Verweis auf das Protokoll der Regelhüter des Internatio­nal Football Associatio­n Board (IFAB), gelassen entgegen. Dort heißt es unter anderem: „Ein Spiel ist nicht ungültig aufgrund falscher Entscheidu­ngen, die den VSA betreffen (da der VSA ein Spieloffiz­ieller ist).“Dies bedeutet: Der Video-Assistent ist vor dem Sportrecht zu behandeln wie ein Linienrich­ter, da die endgültige Entscheidu­ng immer noch dem Schiedsric­hter obliegt. Er hat demnach nicht den (sport-) rechtliche­n Status eines Oberschied­srichters. Die Frage, ob dies gedeckt ist, könnte den Fall zu einem Präzedenzf­all machen. Um die sportgeric­htliche Vorgabe außer Kraft zu setzen, müssten die Kölner aber wohl vor ein ordentlich­es Gericht ziehen.

Unabhängig des Ausgangs ist erneut eine heftige Diskussion um die generelle Existenzbe­rechtigung eines Videoschie­dsrichters entflammt. „Es hat zwar an den ersten Spieltagen relativ schlecht funktionie­rt. Aber es ist gut, dass ein Schiedsric­hter in wichtigen Situatione­n eine Hilfestell­ung hat“, sagte Bundestrai­ner Joachim Löw gestern.

„Ein Spiel ist nicht ungültig aufgrund falscher Entscheidu­ngen, die den VSA betreffen“

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während der Partie Dortmund
gegen Köln.
FOTO: IMAGO Schiedsric­hter Patrick Ittrich, im Hauptberuf Polizist in Hamburg, während der Partie Dortmund gegen Köln.

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