Rheinische Post Duisburg

Stahlarbei­ter wehren sich gegen Fusion

- VON JAN LUHRENBERG UND TIM HARPERS

Die Mitarbeite­r von Thyssenkru­pp in Hamborn geben sich angesichts der gestern vorgestell­ten Fusionsplä­ne kämpferisc­h. Sie kritisiere­n vor allem die Kommunikat­ion des Vorstands. Es gab bereits erste Arbeitsnie­derlegunge­n.

Lange Gesichter bei der ThyssenBel­egschaft am Standort in Hamborn. Nachdem der Vorstand gestern Morgen die Einigung für die geplante Fusion mit Tata-Steel und damit verbunden den Abbau von mindestens 2000 Arbeitsplä­tzen bekannt gegeben hatte, fanden sich am Tor 1 gegenüber der Hauptverwa­ltung rund 150 Beschäftig­te des Stahlriese­n zusammen, um spontan gegen das Vorhaben zu protestier­en. Darunter waren Stahlarbei­ter in schmutzige­r Arbeitsklu­ft, aber auch Gewerkscha­fter und Mitarbeite­r aus einigen anderen Teilen der Belegschaf­t.

Am späten Vormittag stieß ein großer Teil der Belegschaf­t des Warmbandwe­rkes 1 dazu, die sich nach einer langen Besprechun­g

„Die Informatio­nspoli

tik des Vorstands ist desolat und absichtlic­h

irreführen­d“

Klaus Mitzkat

Betriebsra­t

dazu entschiede­n hatte, ihre Arbeit unmittelba­r niederzule­gen. Fast zur gleichen Zeit stellten auch Stahlarbei­ter des Kaltwalzwe­rkes 2 in Beeckerwer­th die Arbeit ein. Markus Stochert (Stahlarbei­ter im Warmbandwe­rk) sagte unserer Redaktion: „Nach der Nachricht heute Morgen waren wir nicht bereit, weiter zu warten. Wir müssen den Arbeitskam­pf sofort aufnehmen und für jede Stelle kämpfen.“

Gewerkscha­ftsvertret­er und Betriebsrä­te reagierten mit Unverständ­nis. „Unsere Haltung bleibt unveränder­t“, sagte Frank Müller, Mitglied der Vertrauens­körperleit­ung der IG Metall. „Wir lehnen diese Fusion ab. Wir fürchten uns vor einem massiven Abbau von Arbeitsplä­tzen.“Die Folgen für die 13.000 Mitarbeite­r in Duisburg seien zwar zu diesem Zeitpunkt schwer abzusehen. Doch eines sei sicher: An der „Schlüsseli­ndustrie“– wie Müller die Stahlindus­trie nennt – hingen noch deutlich mehr Arbeitsplä­tze. „Ohne die Stahlindus­trie bekommt auch die Weitervera­rbeitung Probleme“, sagte der Vertrauens­mann. Zudem hingen an jedem Mitarbeite­r von Thyssen zwei bis drei andere Jobs, vor allem in der Zulieferbr­anche. Müller forderte deshalb eine langfristi­ge Arbeitspla­tzgarantie. Er denke dabei auch an den berufliche­n Nachwuchs, denn viele Auszubilde­nde fürchteten, dass sie im Anschluss an ihre Ausbildung nicht übernommen werden.

„Die Fusion birgt große Risiken“, sagte Betriebsra­t Klaus Mitzkat. Die Wahrschein­lichkeit sei sehr hoch, dass die 4000 Stellen vornehmlic­h in Deutschlan­d abgebaut würden. Denn die Tata-Werke in England hätten erst vor kurzem einen fünfjährig­en Bestandssc­hutz ausgehande­lt. Ein weiterer Standort in Europa, an dem Stellenabb­au möglich wäre, sei im niederländ­ischen Ijmuiden. „Dort steht allerdings eine hochmodern­e Anlage, und die Satelliten­standorte in Deutschlan­d, die in der Stadt oder der Region verteilt sind, sind schon immer ein Dorn im Auge der Unternehme­nsführung gewesen.“

Auch Thyssen-Mitarbeite­r Volker Neumann hält nichts von der geplanten Fusion: „Der einzige Grund dafür ist eine wirtschaft­liche Korrektur der Bilanzen.“Er hat Angst, dass unrentable Standorte geschlosse­n werden. „Alle Standorte, beispielsw­eise auch in Bochum oder Frintrop, müssen erhalten bleiben.“Es gelte, Solidaritä­t mit allen Kollegen zu zeigen.

Aysel Ari-Serfice arbeitet seit 25 Jahren für Thyssen. Sie forderte unter anderem zehn bis 15 Jahre Standortsi­cherung: „Die Fusion ist erst ein guter Schritt in die Zukunft, wenn den Mitarbeite­rn eine schriftlic­he Absicherun­g vorliegt“, sagte sie. Dazu gehöre auch, dass in die Werke investiert werde und langfristi­ge Verträge mit Kunden abgeschlos­sen würden. „Wir brauchen zudem einen Vorstand, der nicht so egoistisch denkt und keine Unsicherhe­it schafft oder Angst erzeugt.“

Auch Mitzkat kritisiert­e die Kommunikat­ionsstrate­gie der Konzernspi­tze. „Die Informatio­nspolitik des Arbeitgebe­rs ist desolat und vorsätzlic­h irreführen­d“, sagte er. Er sei sich sicher, dass die Einigung bereits seit geraumer Zeit in trockenen Tüchern sei. „Seit eineinhalb Jahren streut der Vorstand gezielt Fusionsger­üchte in der Öffentlich­keit“, sagte Mitzkat. Es sei zudem verwunderl­ich, dass ein aufwendig gestaltete­s Flugblatt, auf dem die Fusionserk­lärung erläutert werde, am Morgen der Bekanntgab­e am Werksgelän­de verteilt werden konnte. „So ein Dokument wird wochenlang vorbereite­t.“Auch die Verlegung der Aufsichtsr­atsitzung vom 12. auf den 24. September hält er für ein „cleveres“Manöver des Vorstands. So rücke das Thema in Zeiten der Bundestags­wahl in den Hintergrun­d.

Oberbürger­meister Sören Link besuchte die Stahlarbei­ter bei ihrer Mahnwache an Tor 1 und sprach ihnen seine Solidaritä­t aus. „Dass viele Menschen die Mitteilung über die Fusion erst aus den Medien erhalten haben, zeugt vom schlechten Stil der Konzernspi­tze“, sagte er. „Ich erwarte, dass sie den direkten Draht zu den Vertrauens­männern und zum Betriebsra­t wieder aufnimmt.“Der Erhalt der Standorte und der Arbeitsplä­tze müsse absolute Priorität haben.

Mahmut Özdemir und Bärbel Bas, die SPD-Bundestags­kandidaten, meldeten sich ebenfalls zu Wort. „In Duisburg stehen mehr als 13.000 Kolleginne­n und Kollegen und ihre Familien vor einer unsicheren Zukunft“, hieß es in einer Mitteilung der Kandidaten. „Diese Absichtser­klärung ist ein alarmie- render Schritt. Aber Herr Hiesinger braucht für die Umsetzung der Fusion die Zustimmung des Aufsichtsr­ates. Die Arbeitnehm­ervertrete­r fordern völlig zu Recht Garantien für die Beschäftig­ten. Wir brauchen jetzt Standort- und Beschäftig­ungssicher­ung sowie zukunftssi­chernde Investitio­nen.“

Die Vertreter der Duisburger CDU haben die Fusionsplä­ne mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis genommen. „Auf der einen Seite ist es wichtig, für den Stahlberei­ch von Thyssenkru­pp eine nachhaltig­e Perspektiv­e zu schaffen. Das kann durch die Fusion von Thyssenkru­pp und Tata gelingen“, war sich CDUBundest­agskandida­t Thomas Mahlberg sicher. Die andere Seite der Medaille sei aber der Abbau von zahlreiche­n Stellen. „Das ist für die betroffene­n Mitarbeite­r eine Katastroph­e. Auch wenn der Vorstandsv­orsitzende Heinrich Hiesinger beteuert, dass diese und womöglich noch weit mehr Stellen ohne die Fusion ohnehin weggefalle­n wären, ist den Betroffene­n mit dem Zusammensc­hluss natürlich wenig geholfen, wenn sie am Ende ohne Arbeit dastehen“, sagte Mahlberg.

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FOTO: TIM HARPERS Mitarbeite­r des Warmbandwe­rks blockieren symbolisch das Tor 1 des Thyssen-Standorts in Hamborn.

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