Rheinische Post Duisburg

„Bei uns gibt es kaum Perspektiv­en“

- VON TIM HARPERS

Merdin Bayram ist Bürgermeis­ter der bulgarisch­en Kleinstadt Varbitsa. Seit der Erweiterun­g der EU-Außengrenz­en sind 900 Bürger seiner Stadt nach Duisburg ausgewande­rt. Er erklärt, was seine Landsleute zu diesem Schritt bewogen hat.

Merdin Bayram war am Donnerstag auf einem ungewöhnli­chen Ortsbesuch. Der Bürgermeis­ter der bulgarisch­en Kleinstadt Varbitsa hatte sich mit dem Auto nach Duisburg aufgemacht, um in einem Hochfelder Café mit vielen ehemaligen Bewohnern seiner Kommune über ihr neues Leben in Deutschlan­d zu sprechen. Seit der Erweiterun­g der EU-Außengrenz­en sind ganze 900 Bürger aus Varbitsa nach Duisburg emigriert. Sie machen den größten Teil der rund 3800 Bulgaren aus, die mittlerwei­le in dem Stadtteil leben.

Die Gründe für den Massenexod­us aus der bulgarisch­en Kleinstadt sind vielfältig. „Die meisten haben sich aber nach Duisburg aufgemacht, um ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermögliche­n“, sagte Bayram gestern am Rande des bundesweit­en Fachtages der Awo-Integratio­n im Tectrum. „Die Region um Varbitsa ist strukturel­l sehr schwach. Es gibt keine Industrie, die Arbeitslos­igkeit liegt bei 43 Prozent. Die Menschen leben vor allem von der Landwirtsc­haft. Und gerade für junge Menschen gibt es kaum Perspektiv­en.“Bei den Leuten in Hochfeld handele es sich überwiegen­d um junge Familien. „Auch einige meiner ehemaligen Mitschüler sind darunter.“

Das Gespräch am Tag zuvor habe gezeigt, dass die größten Probleme seiner Landsleute in der neuen Heimat gar nicht kulturelle­r Natur seien. „Viele haben mich gestern darauf angesproch­en, dass sie Schulplätz­e für ihre Kinder suchen. Sie wollen sich integriere­n und an der Gesellscha­ft teilhaben.“Auch mit der Kommunikat­ion gebe es kaum Schwierigk­eiten. Schließlic­h würden die meisten seiner Landsleute Türkisch sprechen. Es sei zwar wahr, dass viele Bulgaren hier Sozialleis­tungen beziehen würden, jedoch nur so lange, bis sie eine Arbeiten fänden. „Die Integratio­nskurse kosten Geld“, sagte Bayram. „Geld, dass die Leute nicht haben, wenn sie hier ankommen. Mit dem Zuschuss vom Amt finanziere­n sie sich die ersten Schritte ihrer Integratio­n.“Die Nachrichte­n von Problemen wie Dreck und Kriminalit­ät hätten ihn auch erreicht. „Ich kann aber versichern, dass sie nicht durch Personen aus Varbitsa verursacht werden.“

Karl-August Schwarthan­s, Geschäftsf­ührer der Awo-Integratio­n, bestätigte die Darstellun­g des Bür- germeister­s. „Da muss man ganz genau differenzi­eren“, sagte er. „Die Leute aus Varbitsa sind wirklich um Integratio­n bemüht. Die Herausford­erungen, vor denen die Stadt steht, werden hauptsächl­ich von Personengr­uppen aus dem rumänische­n Bereich verursacht.“

Die Stadt hat die Armutszuwa­nderung und die kriminelle­n Machenscha­ften von südosteuro­päi- schen Schleuserb­anden schon seit geraumer Zeit als Herausford­erung erkannt. Aus diesem Grund führt die Kommune schon seit einigen Jahren detaillier­t Buch über den Zuzug von Personen aus Südosteuro­pa. Demnach sind seit 2011 13.678 Neubürger aus Bulgarien und Rumänien nach Duisburg gezogen. Insgesamt leben derzeit (Stand 1. August 2017) 17.550 Staatsange­hö- rige der südosteuro­päischen Länder in der Stadt – etwa 8150 Rumänen und 9400 Bulgaren. „Wohnraum in Duisburg ist vergleichs­weise günstig“, erklärte Stadtsprec­herin Susanne Stölting das Phänomen. „Das ist sicherlich ein Grund, warum sich so viele Zuwanderer aus den beiden Staaten in Duisburg niederlass­en.“Ein weiterer Grund seien aber sicherlich auch die kriminelle­n Geschäftsm­odelle profession­eller Schleuserb­anden, die Menschen gezielt mit verheißung­svollen Verspreche­n von einem auskömmlic­hen Leben nach Deutschlan­d lockten. „Windige Geschäftsl­eute kaufen, oft in Zwangsvers­teigerunge­n, gezielt marode Gebäude auf“, erläuterte Stölting. „Als Sicherheit hinterlege­n sie einen Bruchteil des ohnehin geringen Preises.“Dann würden sie die Schrottimm­obilien an Armutszuwa­nderer vermieten, die ih-

Es gibt keine Industrie, die Arbeitslos­igkeit liegt

bei 43 Prozent. Die Menschen leben von

der Landwirtsc­haft. „Die Leute aus meiner

Stadt, haben sich bewusst dazu entschiede­n, nach Duisburg

zu kommen“

nen von den Schleuserb­anden zugeführt werden. Damit verdienten die Vermieter in kurzer Zeit ein vielfaches der hinterlegt­en Summe. „Wird dann irgendwann der komplette Kaufpreis fällig, geben sich die Eigentümer als zahlungsun­fähig aus“, sagte Stölting. „Und bei der daraufhin erneut anberaumte­n Zwangsvers­teigerung geht das Haus dann an Brüder oder Söhne der Besitzer – und das Geschäft mit den Migranten bleibt in der Familie.“

Zudem versorgten manche Hausbesitz­er die Mieter mit vermeintli­chen Arbeitsver­trägen für einen Minijob. Als Bürger der Europäisch­en Union könnten die Zugezogene­n beim Jobcenter den Zuzahlbetr­ag beantragen, der ihnen bis zum staatlich festgesetz­ten Mindestbed­arf noch fehle. „Und am Ende kassieren die Kriminelle­n dann einen Großteil der Sozialleis­tungen bei ihren Mietern ab.“

Bayram versichert, dass die Leute aus Varbitsa mit den Schleuserb­anden nichts zu tun hätten. „Die Leute aus meiner Stadt, haben sich bewusst dazu entschiede­n, nach Duisburg zu kommen“, sagte er. Schleuserb­anden bräuchten sie nicht. „Sie kommen – wie ich – mit dem Auto.“

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