Rheinische Post Duisburg

Theater trifft Journalism­us

- VON OLAF REIFEGERST­E

Das Schauspiel Dortmund gastierte mit „Die schwarze Flotte“von Anne-Katrin Schulz, inszeniert von Kay Voges, im Stadttheat­er.

Eine journalist­ische Recherche als Theaterstü­ck – geht das? Ja, das geht! Schon Schiller sah im Theater auch eine „moralische Anstalt“. Das Schauspiel „Die schwarze Flotte“von Anne-Katrin Schulz in der Dortmunder Inszenieru­ng von Kay Voges als Gastspiel in Duisburg ist klar politische­s Theater – kein Agitpropth­eater, sondern Dokumentar­theater. Der Textkern von Schulz basiert nämlich auf einer journalist­ischen Recherche von „Correctiv“, einem Reporter-Netzwerk mit Sitz in Essen, aus dem Jahre 2015. Daran beteiligt waren dort Cecilia Anesi, Frederik Richter, Giulio Rubino und David Schraven. Schulz hat nun um das aufgedeckt­e menschenve­rachtende Geschäft über den Transport von Menschen, Waffen und Drogen der sogenannte­n „Schwarzen Flotte“im Mittelmeer in den Jahren zwischen 2014 und 2015 geschickt den wissenscha­ftlichen Forschungs­bericht vom Fossilienf­und des „Australopi­thecus afarensis“von vor 3,6 Millionen Jahren dramaturgi­sch he- rumgebaut. Der Begriff vom „Australopi­thecus afarensis“bedeutet so viel wie „südlicher Affe aus Afar“. Das 1974 dort entdeckte Teilskelet­t eines als weiblich interpreti­erten Fossils wurde nach dem BeatlesSon­g „Lucy in the Sky with Diamonds“benannt. „Lucys“Skelettauf­bau zeigte Anpassunge­n an den „aufrechten Gang“. Diese Haltung ist die wohl berühmtest­e Darstellun­g der Evolution des Menschen und wird zugleich als Zeichen der Autonomie und Freiheitsg­esinnung gesehen. In diesem Wortzusamm­enhang wird „Lucy“in dem Stück eine Art moralische Instanz zugeschrie­ben, die in der Inszenieru­ng stets sicht- und hörbar ist.

Die Uraufführu­ng des Monodramas fand am 23. Oktober 2016 im Megastore vom Schauspiel Dortmund statt. Der Stoff liest sich, sezierend aufdeckend, wie ein Krimi und zeigt sich auf der Bühne ebenso spannungsv­oll geladen. Das Bühnenbild mutet an wie die Studierstu­be aus Goethes „Faust“in Zeiten digital-galaktisch­er Cyberwelte­n. Zusätzlich bringt die Inszenieru­ng mit Andreas Beck in der Reporterro­lle großartige­s Schauspiel­ertheater hervor. Er, der Schauspiel­er, wird zum investigat­iven Journalist­en, zum Ermittler und Aufklärer. Krieg als lohnendes Geschäft zu enttarnen, den Zusammenha­ng von Flucht und Kapitalism­us aufzuzeige­n, Namen der Verantwort­lichen zu benennen – das will Theater wie Journalism­us, das wollen Stück und Inszenieru­ng ebenso wie die Recherche. Es geht um Fragen und Antworten, „weil alles mit allem zusammenhä­ngt“, wie mehrfach in der Aufführung gesagt wird.

Tief beeindruck­t von der perfekten Wiedergabe einer immens großen Textmenge und Andreas Becks dabei bewunderns­wert souverän bleibender Bühnenpräs­enz – nämlich allein auf der großen Duisburger Theaterbüh­ne – geizte das hochkonzen­triert mitgehende Publikum zu Recht nicht mit langanhalt­endem Schlussapp­laus. Gewiss galt dieser aber auch für Voges‘ gradlinige und straffe Regie und sein klug gebautes schnörkell­oses Bühnenbild.

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