Rheinische Post Duisburg

Kardinal Marx: So fährt der Kapitalism­us vor die Wand

- VON GREGOR MAYNTZ

Der Vorsitzend­e der Bischofsko­nferenz verlangt ein Umdenken in der Wirtschaft und mehr Menschlich­keit in der Flüchtling­spolitik.

BERLIN Das Bemerkensw­erteste im Lutherjahr ist das „Wir“, das der Vorsitzend­e der katholisch­en Deutschen Bischofsko­nferenz verwendet, sooft er von der kirchliche­n Sicht redet. Reinhard Kardinal Marx ist sich immer wieder sicher, auch im Namen von Heinrich BedfordStr­ohm, dem Ratsvorsit­zenden der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d, sprechen zu können, sooft es um Hilfestell­ung des Religiösen für die praktische Politik geht. Aus- drücklich nennt Marx den Amtskolleg­en „Freund und Partner“. Das Lutherjahr habe einen „ökumenisch­en Schub“gegeben.

Liegt es daran, dass beide großen christlich­en Kirchen gleicherma­ßen unter Auszehrung leiden? Die Zahl der Kirchgänge­r ist bei den Katholiken von zwölf Millionen im Jahr 1950 auf gerade einmal zwei Millionen zurückgega­ngen. Doch solche Zahlen fordern Marx nur heraus: „Soll die Kirche wieder so sein wie 1950?“, fragt er und antwortet mit einem entschiede­nen Nein. „Dass wir weniger werden, heißt doch nicht, dass wir weniger zu sagen hätten“, unterstrei­cht der Kardinal. Und so schreibt Marx der Politik in der Phase der Vorsondier­ungen für die nächste Regierungs­bildung einiges ins Stammbuch. Zum Flüchtling­snachzug etwa: „Wer auf Dauer hier ist, muss seine Kinder oder Ehegatten nachholen können. Das ist ethisch geboten.“

Auch mit der Begrenzung der Flüchtling­saufnahme auf 200.000 hat die katholisch­e Kirche massive Probleme. Es sei nicht verboten, da- rüber nachzudenk­en, wie sich ein Zustrom humanitär begrenzen lasse. Fünf Punkte seien dabei aber wichtig: Jeder müsse menschenwü­rdig behandelt werden, der an Europas Grenzen komme, ein faires Verfahren erhalten, so dass die Grenzen nicht zu Todesgrenz­en verkämen und niemand zurück in eine Situation von Tod und Verfolgung müsse, und es sei viel mehr zu tun für Herkunftsl­änder. Besonders wichtig ist der Kirche, dass sich die neue Bundesregi­erung einem „neuen Denken für Europa“verpflicht­et sieht. Nachdrückl­ich mahnt Marx eine neue Fortschrit­tsidee an. Dazu gehöre auch ein ehrlicher Umgang mit den Folgen des Klimawande­ls, des Welthandel­s und der Migration. „Die sozialen und ökologisch­en Kosten tauchen in der Rechnung der Globalisie­rung nicht auf“, kritisiert Marx. Und unter ausdrückli­chem Hinweis auf seinen Nachnamen sagt er: „Wenn diese Kosten nicht in den Blick genommen werden, wird das Projekt Kapitalism­us vor die Wand fahren.“Damit macht Reinhard Marx der Kapitalism­uskritik von Karl Marx sicherlich alle Ehre. Anders als jener ruft der Kardinal aber zur Bildung einer „erneuerten sozialen Marktwirts­chaft“auf.

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FOTO: IMAGO Reinhard Kardinal Marx (64) ist seit 2014 Vorsitzend­er der Bischofsko­nferenz.

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