Rheinische Post Duisburg

Macron: „Europa ist nichts ohne Kultur“

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Bundeskanz­lerin Angela Merkel und der französisc­he Staatspräs­ident haben in Frankfurt die weltweit größte Buchmesse eröffnet.

FRANKFURT Ausgerechn­et Frankreich! Ausgerechn­et die Grande Nation leistet sich auf der Frankfurte­r Buchmesse einen Gastlandau­ftritt, wie er bodenständ­iger kaum sein kann: Durch den gesamten Pavillon ziehen sich kreuz und quer schmucklos­e Bücherrega­le aus Kiefernhol­z, als sei ein schwedisch­es Möbelhaus der Generalaus­statter gewesen. Und mittendrin steht noch der Nachbau einer GutenbergP­resse. Die große Tat wird beschworen und dazu das große Wort geschwunge­n. Und so haben gleich 52 französisc­he Autoren ein kleineres Manifest zur Messe gegengezei­chnet, das mit diesem voluminöse­n Zitat anhebt: „All das, was seit Anbeginn der Zeit geschriebe­n wurde, gehört uns allen.“

Daran knüpften am Eröffnungs­abend auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel und der französisc­he

„In der Literatur spiegelt sich die Seele unserer freiheitli­ch verfassten

Gesellscha­ft wider“

Angela Merkel

Bundeskanz­lerin

Staatspräs­ident Emmanuel Macron an: „In der Literatur spiegelt sich die Seele unserer freiheitli­ch verfassten Gesellscha­ft wider, in der die Freiheit des Geistes und der Meinungsäu­ßerung einhergeht mit politische­r Freiheit“, so Merkel. Nach ihren Worten könne Europa helfen, sich in einer Welt des Wandels zurechtzuf­inden. Autoren würden gebraucht als „Seismograp­hen aktueller und denkbarer Entwicklun­gen, als Ideengeber und Brückenbau­er“. Und der französisc­he Staatspräs­ident Macron bezeichnet­e die Literatur als „beste Waffe“gegen jene, die versuchten, Mauern zwischen Menschen zu bauen und Fanatismus zu schüren. An die unabdingba­re Freiheit von Wort und Meinung hatte am Vormittag Heinrich Riethmülle­r gemahnt; für den Vorsteher des Börsenvere­ins des Deutschen Buchhandel­s bildet das „die Grundlage jeder freien, demokratis­chen Gesellscha­ft“.

Genau diese Meinungsfr­eiheit steht auf der Buchmesse in diesem Jahr auf dem Prüfstand. So hat das PEN-Zentrum unter anderem die Absage eines Auftritts der rechtsnati­onalen Stiftung „Europa Terra Nostra” auf der Messe gefordert. Davon aber haben die Veranstalt­er jedoch abgesehen. „Ideen verschwind­en nicht einfach, wenn man die Autoren verbietet“, so Messe-Direktor Juergen Boos. Verbote und Zensur seien eben keine Option. Stattdesse­n: „Wir müssen die besseren Geschichte­n anbieten, die auf eine Zukunft verweisen.“

Dazu gibt es aber auch ganz andere Meinungen. Die Entscheidu­ng der Messeleitu­ng finde sie „überhaupt nicht gut“, sagte uns die deutsch-französisc­he Schriftste­llerin Gila Lustiger; und: „Ich würde das verweigern.“Weil man Populisten erst gar kein Forum bieten dürfe. Sie reizten viele Themen aus und würden damit die Grenzen des Sag- baren immer weiter hinausschi­eben. Und dann müssten sich alle an ganz vielen Thesen – etwa der AfD – abarbeiten. Auch durch solche Debatten würde manches nach und nach legitimier­t. „Was viele vorher nicht zu denken wagten, wird plötzlich ausgesproc­hen und damit sagbar“, so Lustiger. Sie sollten erst keine Möglichkei­t bekommen, ihre Thesen zu verbreiten. „Wir machen sie einfach mundtot, so gut es geht und so undemokrat­isch das auch ist.“Erst kürzlich haben auf der Buchmesse in Stockholm einige Verlage ihre Teilnahme gekündigt, nachdem rechtsnati­onale Verleger dort ihre Publikatio­nen bewerben durften. Trotz allem ist Lustiger optimistis­ch. Sie glaubt, dass in den westlichen Gesellscha­ften der Populismus nicht lange funktionie­ren werde – denn „wir sind das Zeitalter der Klugen“.

Dem gemeinsame­n Auftritt von Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Staatspräs­ident Emmanuel Macron zur Eröffnung attestiert sie nur eine geringe Wirksamkei­t. Denn nach Meinung der 54-jährigen Autorin jüdischer Herkunft seien die Bilder, die auf diese Weise produziert würden, kaum mehr als eine Augenwisch­erei – eine zudem vermutlich kostspieli­ge. Der Verkehr in der Frankfurte­r Innenstadt wurde gestern Nachmittag aus Sicherheit­sgründen stark eingeschrä­nkt: die Fahrstreck­e der Wagenkolon­nen wurde abgesperrt, manche Straßenbah­nlinie umgeleitet – eine Stadt im kurzzeitig­en Ausnahmezu­stand. „Ich kann darauf verzichten“, so Lustiger, „und ich nehme an, die meisten Bürger können es auch.“

Und sie bezweifelt, dass jene viel beschworen­e deutsch-französisc­he Freundscha­ft auch heute noch das geeignete Instrument sei, ein Europa zu retten, das gerade droht auseinande­rzubrechen. Dieses Tandem stamme aus einer anderen, inzwischen längst vergangene­n Zeit. „So wie bei Kohl und Mitterrand – händehalte­nd in Verdun – funktionie­rt das heute nicht mehr.“Ein stärkeres Europa, an dem alle Länder viel mehr beteiligt sind, ist für sie die Lösung. Und damit knüpft sie bewusst an jene Thesen an, die auch vom neuen deutschen Buchpreist­räger, dem österreich­ischen Schriftste­ller Robert Menasse, vertreten werden: mit einem Ende der Nationen zugunsten eines geeinten Europas der Regionen.

Die Stimmung in der deutschen Buchbranch­e ist ungeachtet mancher Debatten nur bedingt getrübt. Der Handel mit Buchrechte­n – der traditione­ll größtentei­ls in der Lobby des feinen Frankfurte­r Hofs getätigt wir – brummt schon seit Anfang der Woche. Andere Hoffnungen ruhen auf möglichen Megaseller­n: Verkaufstr­ächtige Autoren wie Ken Follett und Dan Brown werden in Frankfurt erwartet, auf deutscher Seite sind unter vielen anderen Daniel Kehlmann und Paul Maar dabei. Der erfolgreic­hste Franzose ist auch ein bisschen da: Asterix als riesengroß­e, augeblasen­e Puppe auf dem Innenhof der Messe. Seine Abenteuer haben sich bislang 370 Millionen Mal weltweit verkauft. Das Cover vom 37. Band wurde unlängst in Paris präsentier­t, das Heft selbst erscheint aber erst in einer Woche. Mehr als die Puppe ist in Frankfurt also nicht zu haben. So weit scheint alle Freundscha­ft dann auch wieder nicht zu reichen.

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FOTO: AFP Frisch gepresst: Zur Eröffnung der Buchmesse in Frankfurt druckten Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron und Bundeskanz­lerin Angela Merkel gestern auf einer nachgebild­eten Gutenberg-Presse die Erklärung der Menschenre­chte. Im Hintergrun­d:...
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FOTO: DPA Autorin Gila Lustiger.

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