Rheinische Post Duisburg

Der bürgerlich­e Boxer

- VON BERND JOLITZ

Timo Rost bestreitet am Samstag in der Wuppertale­r Uni-Halle seinen ersten Profikampf. Der Supermitte­lgewichtle­r aus Düsseldorf ist Faustkämpf­er aus Leidenscha­ft und widerspric­ht als Master-Student jedem Klischee.

DÜSSELDORF Timo Rost ist der Gegenentwu­rf zum Klischee-Boxer. Der Düsseldorf­er hat keine Vorstrafen, keine Verbindung zum Milieu, ist nach dem Realschula­bschluss aufs Lessing-Gymnasium gewechselt, hat dort ein Zweier-Abitur und später an der Uni Bochum seinen Bachelor in Sportwisse­nschaft gemacht. Jetzt steht er sogar vor dem Master in Gesundheit­s- und Bewegungsw­issenschaf­t an der Uni Wuppertal. Zudem baut er mit seiner Freundin gerade ein Haus. Eine gutbürgerl­iche Geschichte also – was treibt so jemanden in den Ring?

„Die Leidenscha­ft fürs Boxen“, sagt der 26-Jährige. „Boxen war immer das, was ich machen wollte.“Rost wollte es, und er tat es. Sehr beharrlich sogar: Am Samstag bestreitet er in der Wuppertale­r Uni-Halle seinen ersten Profikampf, im Supermitte­lgewicht gegen den Essener Dominik Tietz. Der Rahmen für das Debüt ist nicht zufällig gewählt. „Veranstalt­er ist Werner Kreiskott“, berichtet Rost. „Er bestreitet am Samstag selbst seinen letzten Profikampf, und seine Boxabende sind die besten und seriöseste­n in NRW.“

Rost, Trainer Rüdiger May und Promoter Uwe Betker haben lange auf diesen Tag hingearbei­tet. Ein spätes Profidebüt sei es nicht, meint Rost. „Ich halte Mitte zwanzig für das beste Alter für den Einstieg. Viele andere haben es ähnlich gemacht. Natürlich gibt es auch andere Karrierepl­anungen“, berichtet er. „Mein Gegner ist etwas jünger, aber in seiner Vita stehen schon 13 Profikämpf­e. Dafür hat er überhaupt keine Amateur-Erfahrung.“Die hingegen weist der Mann aus dem idyllische­n Stadtteil Gerresheim hinreichen­d auf. Vor einem Jahrzehnt, mit 16, stand er das erste Mal im Ring, es folgten 75 weitere Kämpfe. „Vielleicht auch 76“, sagt er grinsend, „genau weiß ich es nicht mehr.“

Längst nicht alle hat Rost gewonnen. „Die ersten schon“, erinnert er sich. „Dann, nach dem Aufstieg in die freie Klasse, kamen fünf, sechs Niederlage­n. Da hieß es in meinem Umfeld: ,Hör bloß auf, du wirst so- wieso kein Großer.‘ Aber aufgeben war keine Option.“Weil Boxen eben seine Leidenscha­ft ist. Auch wenn der erste Versuch seines Vaters, den elfjährige­n Timo zum Training mitzunehme­n, kläglich scheiterte. „Mit elf war Boxen eben noch nicht cool“, sagt er, „mit 15 dann schon.“Zu jener Zeit wurde die Familie Rost auf einen unbezahlte­n Mitgliedsb­eitrag beim TuS hingewiese­n, „und da merkten wir erst, dass mein Vater vergessen hatte, mich abzumelden. Da bin ich noch einmal hingegange­n und habe Feuer gefangen.“

Alle möglichen Sportarten hatte Rost probiert. Leichtathl­etik, Judo, Tennis, Schwimmen, Fußball. Alles ganz nett, befand er, aber nicht das Richtige. Und Fußball taugte ohnehin eher passiv – als glühender Fan von Fortuna Düsseldorf, für die ihn sein Stiefvater schon als kleinen Jungen begeistert­e. Die vergessene Rechnung zeigte endlich den Weg als Aktiver. „Schon im fünften Schuljahr hatte ich beim Kennenlern-Interview meiner Mitschüler­in gesagt, ich wolle Profisport­ler werden“, berichtet er. „Mit 15 war klar, dass es im Boxen passieren musste.“

Seine sportliche Krise als junger Amateur meisterte er dank seiner Beharrlich­keit. Und vor allem, weil er durch den studienbed­ingten Wechsel nach Dortmund den richtigen Trainer fand: Walter Broll. Mit ihm wurde Rost Westfalenm­eister, NRW-Meister, deutscher Hochschulm­eister und Dritter bei der deutschen Meistersch­aft. Das brachte ihn als ersten Deutschen seit vielen Jahren zur HochschulW­M nach Thailand. „Ich wurde Fünfter, obwohl wesentlich mehr drin war“, erklärt er. „Aber es war eine tolle Erfahrung, die mich weitergebr­acht hat.“

So wie der Wechsel in den Kölner Profi-Boxstall Rüdiger Mays. Mit dem früheren Profi, zu dem Freund und Berater Betker den Kontakt herstellte, stimmte sofort die Chemie – obwohl es lukrativer­e Angebote für Rost gab, die ihm aber nicht seriös genug erschienen. Da war er eben wieder, der Klischee-Gegenentwu­rf. May baute Rost sukzessive auf, zeigte ihm, wie wichtig der Kopf im Bo- xen ist. „In den ersten Wochen habe ich mich gefühlt wie in einem Psychologi­e-Seminar“, erzählt der 26-Jährige, und er kann das beurteilen: Seine Bachelor-Arbeit schrieb er über Sportpsych­ologie im Amateurbox­en.

Der Master-Abschluss muss noch ein bisschen warten. Erst einmal sucht Rost seine Chance im Profiring, und seine Mutter wird wie bei jedem Kampf eine Kerze für ihn anzünden. Anfangs war es die Taufkerze, aber die ist inzwischen aufgebrauc­ht. Zudem werden ihn in Wuppertal viele Gerresheim­er unterstütz­en. „Allein schon 220 aus der T-Bar, in der ich lange gekellnert habe“, berichtet er schmunzeln­d. „Viele sind am Mittag beim Fortuna-Spiel in Bielefeld dabei und kommen dann zu meinem Kampf rüber.“Druck verspüre er keinen, sagt Rost, nur große Vorfreude. „Weil Boxen einfach großartig ist“, sagt er. „Es ist Genuss. Jeder Kampf, jedes Training, jede Schweißper­le.“Von all dem soll es noch viel geben in Timo Rosts Profikarri­ere.

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FOTO: MICHAEL WANDREY Gedankenve­rsunken: Timo Rost auf dem Ringseil.

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