Rheinische Post Duisburg

DUISBURGER GESCHICHTE UND GESCHICHTE­N Frühe Netzwerker des Wissen

- VON HARALD KÜST duisburg@rheinische-post.de 0203 92995-94 RP Duisburg rp-online.de/whatsapp 0203 92995-29

Internatio­nale Kontakte von Wissenscha­ftlern sind keine Erfindung der Neuzeit. Gerhard Mercator war bereits im 16. Jahrhunder­t eng vernetzt. So pflegte er den Gedankenau­stausch mit dem englischen Gelehrten, Dr. John Dee.

Internatio­nale Kontakte von Wissenscha­ftlern sind keine Erfindung der Neuzeit. Gerhard Mercator war bereits im 16. Jahrhunder­t eng vernetzt. So pflegte er den Gedankenau­stausch mit dem englischen Gelehrten, Dr. John Dee. Wer war dieser Dee ? Antworten findet der Leser in einem fiktiven, aber faktenorie­ntierten Interview mit Gerhard Mercator. Man traf sich 1590 an der Oberstraße. Mercator ist inzwischen 78 Jahre alt, gesundheit­lich angeschlag­en, aber geistig rege. Herzlichen Dank für den Gesprächst­ermin. Wen würden Sie im Rückblick auf Ihre Loewener Zeit als den begabteste­n Studenten bezeichnen? MERCATOR Es gibt viele Namen, die dafür in die engere Wahl kämen, aber der Engländer John Dee war in jeder Hinsicht außergewöh­nlich. Ich war ja damals schon 35 und lernte ihn 1547 als jungen Studenten kennen. Er trat als Mathematik­er und Naturphilo­soph, Nautiker, Astronom und Astrologe hervor. Er war mit dem Werk von Nikolaus Kopernikus vertraut. Erlauben Sie einen Abstecher ins Politische ? Ihre Einschätzu­ng hilft unseren Lesern... MERCATOR Wenn es denn sein muss. In England fanden zu dieser Zeit dramatisch­en Umbrüche statt: Nach Heinrich VIII. wurde die Staatskirc­he in England unter dem minderjähr­igen Edward protestant­isch. Von 1553-1558 führte Königin Mary England zurück in die katholisch­e Kirche. „Bloody Mary“ließ 300 protestant­ische Ketzer verbrennen. Einigen gelang auch die Flucht ins Herzogtum Kleve. John hatte damals schon Zugang zum englischen Hof. Auch er geriet in den Verdacht der Ketzerei. Eine schrecklic­he Zeit. Es gelang ihm zum Glück, einer Verurteilu­ng zu entgehen. Ich kann Johns Kerkerhaft in Hampton Court aus eigener Erfahrung in Rupelmonde gut nachvollzi­ehen. Nach der Wiederhers­tellung der Reformatio­n unter Königin Elisabeth I. wuchs der Einfluss von Dr. John Dee am Hofe. Wie bewerten sie dies ? MERCATOR: Dee kannte am englischen Hof alle, die einflussre­ich waren. Er suchte den Schutz dieser mächtigen Figuren, und der Schlüssel zu seinem Einfluss war die Astrologie. Er schrieb Elisabeth I. Horoskope, berechnete den günstigste­n Termin für ihren Krönungsta­g und erhielt schließlic­h sogar den prestigetr­ächtigen Titel eines königliche­n Astrologen. Eine beeindruck­ende Karriere. John entwickelt­e erste Pläne zur Nordpolarr­oute (s.a. Abb.). Der Handel mit Ostasien lockte. Sein Wissen über Navigation und Seekarten war eine unschätzba­re Informatio­nsquelle für Entdecker und Freibeuter wie Raleigh und Drake. John schulte mit mathematis­chen Methoden das kompass-orientiert­e Segeln. Dees Bibliothek soll sehr umfangreic­h gewesen sein? MERCATOR: John sammelt seit Jahrzehnte­n systematis­ch das Wissen unserer Zeit. Seine Privatbibl­iothek umfasste 4000 Bücher und Manuskript­e. Umso tragischer ist die Plünderung seiner Bibliothek als er in Europa weilte. Aber viele betrachten ihn als Magier, der sich mit Okkultismu­s befasst – trifft das zu ? MERCATOR: Nun ja.... Magie und Messtechni­k, Astrologie und Mathematik sind Bestandtei­le einer konsistent­en Weltanscha­uung unserer Zeit.

RP: Was zeichnet Dee aus? MERCATOR Uns einte ein starkes Band – das Bewusstsei­n, dass durch unsere Werke etwas Neues entstehe. Er baute mit seiner Bibliothek ein grenzübers­chreitende­s Netzwerk des Wissens auf, das in der Zukunft gewiss noch beachtet wird. Haben Sie nach den vielen Jahren auch jetzt noch Kontakt mit Dr. John Dee ? MERCATOR: Ja, wir korrespond­ieren noch gelegentli­ch. John hat die Plünderung seiner Bibliothek arg deprimiert. Sein Rat ist am Hofe nicht mehr gefragt. Er verarmt mehr und mehr. Ich hoffe, dass Königin Elisabeth I. ihrem einstigen Berater zumindest eine existenzie­lle Unterstütz­ung gewähren wird. Ich schätze ihn nach wie vor sehr. Wir danken Ihnen für das Gespräch. Wir werden das Schicksal ihres Freundes weiter verfolgen.

IHR THEMA

Darüber sollten wir mal berichten? Sagen Sie es uns!

 ??  ?? Universsal­denkter John Dee.
Universsal­denkter John Dee.
 ?? FOTO: KULTUR- UND STADTHISTO­RISCHES MUSEUM ?? John Dees Polkarte mit den beiden Nordpolarr­outen.
FOTO: KULTUR- UND STADTHISTO­RISCHES MUSEUM John Dees Polkarte mit den beiden Nordpolarr­outen.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany