Rheinische Post Duisburg

Aufstieg und Verfall der AfD

- VON GREGOR MAYNTZ UND JULIA RATHCKE

Seit 2014 reichte es für die AfD bei jeder Wahl für einen Triumph. Mal mehr, mit bis zu 20 Prozent im Osten, mal weniger, wie zuletzt in Niedersach­sen. Aber vor allem seit dem Ausstieg von Frauke Petry zerbröseln Vorstände und Fraktionen.

BERLIN Amüsiert las der CDU-Politiker Michael Grosse-Brömer den ersten Antrag der AfD nach ihrem Einzug in den Bundestag. Denn eine Passage war ihm sofort aufgefalle­n. Da wollte die neue Fraktion mit ihren immerhin 92 Mitglieder­n die Mindestzah­l von Abgeordnet­en für die Nutzung von Minderheit­enrechten auf 65 senken. „Möglicherw­eise vorbeugend“, witzelte der Unionsgesc­häftsführe­r. Tatsächlic­h waren der AfD vom Tag der Bundestags­wahl bis zum ersten Zusammentr­itt des Parlamente­s bereits zwei Parlamenta­rier abhandenge­kommen: Neben der Parteichef­in Frauke Petry auch der Abgeordnet­e Mario Mieruch aus NRW.

Das ist keine Ausnahme, sondern die Regel bei der AfD. In manchen Fraktionen und Vorständen gleicht das Erscheinun­gsbild nach dem Siegeszug schon fast Trümmerlan­dschaften.

Zum Beispiel in Bremen. Da ist von einst vier AfD-Bürgerscha­ftsabgeord­neten noch einer übrig geblieben. Drei folgten nach der Abspaltung des Flügels von Bernd Lucke dem Parteigrün­der zu den liberal-konservati­ven Reformern. Und davon sind wiederum zwei schon wieder gewechselt und gehören nun zum Bündnis der „Bürger in Wut“.

Sachsens AfD sah sich nun sogar gezwungen, einen Notvorstan­d ins Leben zu rufen, da gleich sechs Vorstandsm­itglieder Reißaus nahmen. Dabei sollte der Landesverb­and eigentlich den ganzen Stolz der Partei bilden, nachdem er bei der Bundestags­wahl sogar vor der regierende­n CDU gelandet war. Doch gerade in Sachsen trommelte Petry mit ersten Anfangserf­olgen für ihr neues Projekt einer „blauen Wende“, mit der sie in Sachsen 2019 offenbar auch zur Landtagswa­hl antreten will.

Auch Anette Schultner, die Chefin der „Christen in der AfD“, hielt es nicht mehr aus. Für sie brachte die Haltung von AfDlern gegenüber der NPD das Fass zum Überlaufen. Nachdem sie es als völlig inakzeptab­el bezeichnet hatte, dass ein Vorstandsm­itglied der AfDChriste­n-Organisati­on früher für die NPD gespendet hatte, sei eine Unterschri­ftenaktion zugunsten des Spenders in Gang gekommen. Ihre Haltung sei als „verzerrt“kritisiert worden mit der Begründung, die NPD habe diesem Land lange nicht so sehr geschadet wie die CDU. Da sei für sie das Maß voll gewesen, sagte Schultner. Viele trauten sich auch nicht mehr, gegen den Flügel von Björn Höcke Position zu beziehen. Dabei ist Schultner selbst Gründungsm­itglied der „Patriotisc­hen Plattform“(PP) – einem Verein des äußerst rechten Parteiflüg­els um Höcke, der für islam- und fremdenfei­ndliche Positionen steht. PPSprecher ist HöckeAnhän­ger Hans-Thomas Tillschnei­der aus Sachsen-Anhalt.

Auch dort schrumpft der Landesverb­and. Schon im Sommer haben zwei AfD-Parlamenta­rier die Fraktion verlassen: Sarah Sauermann konnte die Zustände nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbare­n – und trat aus. Gottfried Backhaus begründete seinen Schritt damit, dass er in seiner Partei seit geraumer Zeit „eine Entwicklun­g hin zu extremen und radikalen Auffassung­en und Handlungen“erlebe. Ähnlich hatte NRWler Mario Mieruch auf Bundeseben­e eine Entwicklun­g beschriebe­n, die „viele in der Partei mit Sorge betrachten und von der sie schon viel zu lange hoffen, dass sie umkehrbar sei“.

Mieruchs Brief stieß in der NRW-AfD ebenso auf Protest wie der Abgang von Landeschef Marcus Pretzell, der seiner Ehefrau Petry nur einen Tag später gefolgt war und Fraktion sowie Partei verlassen hat. Gemeinsam mit Pretzell verabschie­dete sich auch Alexander Langguth aus der Landtagsfr­aktion, die Fraktion sprach dennoch demonstrat­iv von Zusammenha­lt.

Gottfried Backhaus Doch wenig später folgte der dritte Austritt: Frank Neppe, langjährig­es Mitglied im Landesvors­tand und Schatzmeis­ter in NRW. In einem Brief beklagte auch er die zunehmende Rechtsdrif­t der AfD. Sein Austritt kam auffallend kurz vor einem Landespart­eitag, auf dem finanziell­e Unregelmäß­igkeiten der Vergangenh­eit zur Sprache kommen sollten. Viele hatten sich Aufklärung von Schatzmeis­ter Neppe erhofft.

Den geplanten Parteitag verschob die AfD, angeblich wegen einer „massiven Bedrohungs­lage“, was die Polizei nicht bestätigen konnte. Aus Parteikrei­sen heißt es, es habe den Kandidaten für die wichtige Vorstandsw­ahl lediglich an Mehrheiten gemangelt. Vom künftigen NRW-Vorstand, der bis Ende des Jahres gewählt werden muss, hängt wohl auch ab, wie viele AfDler die Partei und auch die Fraktion im Landtag noch verlassen werden. Sollten vier weitere Mitglieder gehen, verlöre die AfD in NRW ihren Fraktionss­tatus. Schon jetzt sind sie mit 13 Mitglieder­n die kleinste im Landtag hinter den Grünen – Ausgang ungewiss.

Selbst dort, wo AfDler über ausreichen­d sichere Mandate verfügen, fallen Abspaltung­en leicht. In Baden-Württember­g hatte Parteichef Jörg Meuthen sogar mit 13 Kollegen die Fraktion verlassen, sich drei Monate später aber wieder mit den übrigen acht Abgeordnet­en zusammenge­tan. Der Anlass für die Spaltung, der umstritten­e Politiker Wolfgang Gedeon, blieb draußen, und eine weitere Abgeordnet­e trat wegen „rechter Tendenzen“aus.

Im Parlament von Mecklenbur­g-Vorpommern haben vier von einst 13 AfDAbgeord­neten die Gruppe der „Bürger für Mecklenbur­g-Vorpommern“gegründet, ein weiterer war zuvor ausgetrete­n. Und selbst in der AfD Brandenbur­g, der politische­n Hausmacht von Bundestags­fraktionsc­hef Alexander Gauland, ist längst ein Parlamenta­rier fraktionsl­os, der auf dem AfD-Ticket in den Landtag gekommen war. Sein Name ist Stefan Hein; es ist der Sohn von Gaulands Lebensgefä­hrtin.

„Es gibt eine Entwicklun­g hin zu radikalen Auffassung­en

und Handlungen“

Ex-AfD-Fraktionsm­itglied Sachsen-Anhalt

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FOTOS: DPA (2)/IMAGO Frauke Petry, Anette Schultner und Marcus Pretzell (v. l.)

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