Rheinische Post Duisburg

„Erbarmen, die Zebras kommen!“

- VON HERMANN KEWITZ

MSV Duisburg: Nach dem Auswärtssi­eg in Sandhausen liegt der MSV voll im Soll. In der Länderspie­lpause will Trainer Ilia Gruev auch an der schwachen Bilanz vor heimischer Kulisse arbeiten. Die Chance bietet dann die Partie gegen Aue.

FUSSBALL Den Gegner mit Lob zu trösten, das macht Freude. Ilia Gruev kostete das Vergnügen in Sandhausen bis zum letzten Tropfen aus. Welch gute Entwicklun­g der Verein gemacht habe, seit man nur durch Lizenzentz­ug des MSV die Klasse halten konnte. Damit eröffnete er sein Statement in der Pressekonf­erenz. Wie heimstark die Mannschaft aus der Nachbarsch­aft von Heidelberg inzwischen sei. Nur Fortuna Düsseldorf habe im Stadion am Hardtwald gewinnen können, referierte der Meideriche­r Fußball-Lehrer.

Die Fortuna sei aus gutem Grund an der Tabellensp­itze, schob der MSV-Trainer nach. Er wollte die Besonderhe­it eines Sieges in Sandhausen deutlich machen. Es war dann ein feiner Spaß, zu sehen, wie Sandhausen­s Trainer Kenan Kocak auf die Streichele­inheiten reagierte. Sein Gesicht erinnerte ein bisschen an einem Menschen, der darüber nachdenkt, ob eine Wurzelbeha­ndlung beim Zahnarzt ohne Betäubung eine gute Idee sei.

Kocak antworte dann auch mit dem Hinweis auf eine „total unverdient­e Niederlage“seiner Mannschaft. Gut gespielt habe Sandhausen. Nur diese Schwäche bei der Chancenver­wertung! Was man so sagt, wenn man alles wollte, aber nichts bekommt außer den warmen Worten eines Berufskoll­egen.

Gruev hat die Rolle des gelobten Verlierers selbst schon gespielt. Düsseldorf­s Coach Friedhelm Funkel hatte nach dem 3:1 seine Mannschaft gefeiert. Markus Anfang aus Kiel sang ebenfalls nach einem 3:1 ein unwillkomm­enes Loblied auf das so mutige Zebra. Die Tage sind vorbei. Jetzt wird selbst gelobt.

Dass der MSV den Sandhäuser­n nun die zweite Heimpleite abgerungen hatte, erwähnte Gruev eher in Nebensätze­n. Von Stolz über das Erreichte war die Rede. Viel mehr sagte der Trainer nicht über das 1:0 vom Freitag. Es gab ja auch nicht viel über die Partie zu sagen. Moritz Stoppelkam­p hatte einen Querschläg­er mit links ins Tor gewuchtet. Das passierte nach genau acht Minuten. Danach schloss der MSV die Tür vor dem eigenen Tor zu und versenkte den Schlüssel im Neckar.

Nachkarten über ein schwaches Konterspie­l, über die Müdigkeit von Cauly Oliveira Souza oder das so vergeblich­e Mühen von Stanislav Iljutcenko – all das macht keinen Sinn. Andere Rückblicke zeigen, warum: Als Gruev vor zwei Jahren beim MSV anfing, hatte die Mannschaft sechs Punkte auf dem Konto. Derzeit sind es 16 Zähler. Diese Marke überschrit­ten die Zebras vor zwei Jahren erst am 23. Spieltag mit dem 2:1 über Union Berlin. Man schaffte sogar noch den Sprung auf den Relegation­srang.

Auf diesen Not- und Schleuders­itz muss die aktuelle Formation gar nicht schauen. Das Team liegt voll im Marschplan. Vier Punkte trennen die Zebras von Heidenheim auf Platz 16. Zum Vergleich: Bis St. Pauli auf Platz fünf sind es drei Zähler. Mittelmaß macht Spaß. Zudem kann sich der Spielverei­n gegen die Mitbewerbe­r Erzgebirge Aue, Jahn Regensburg und SpVgg Greuther Fürth eine hübsche Portion Winterspec­k anfuttern. Schade, dass man nur gegen Regensburg auswärts antreten darf.

Denn in der Liga gilt inzwischen der Schreckens­ruf: „Erbarmen. Die Zebras kommen.“13 Punkte hat die Mannschaft beim Fremdgehen ge- holt. Drei nur zu Hause. Selbst Kaiserslau­tern kann da mehr. Auswärts aber rangiert die MSV auf Augenhöhe mit Fortuna Düsseldorf, Holstein Kiel und dem FC St. Pauli.

Ein zweiter Blick zurück: Vor einem Monat leckte der MSV die Wunden eines spektakulä­ren 1:3 in Düsseldorf und einer schwarzen Serie: vier Spiele, nur ein Punkt und dafür 5:14 Tore. Der Sumpf ist trocken gelegt: Aus den vier Spielen holte der MSV acht Punkte bei 3:1 Toren. Man erinnere sich: Das 0:0 gegen Braunschwe­ig hatte nach altbackene­m Graubrot geschmeckt, Gruev hatte aber gesagt: „Auf diesem Ergebnis können wir aufbauen.“Das ist gelungen. Minimalism­us ist wie im Aufstiegsj­ahr wieder das Geschäftsm­odell. Positiv stimmt zudem der Geist im Team. Kapitän Kevin Wolze schwärmte: „Wir haben uns in die Bälle ge- schmissen. Jeder hat für den anderen mitverteid­igt.“Überhaupt wurde viel von guter Arbeit im Kollektiv gesprochen. In Sandhausen war wie schon bei der Aufholjagd gegen Berlin zu sehen: Eine Mannschaft ist mehr als elf Spieler. Der MSV ist eine Mannschaft.

Ilia Gruev wollte sich übrigens über die schiefe Heim-Auswärts-Bilanz keine Gedanken machen. Er versprach aber: „Wir werden auch zu Hause Spiele gewinnen.“In der Länderspie­lpause wird er daran arbeiten. Als der MSV das letzte Mal Kurzferien vom Liga-Alltag machte, stellte der Coach in aller Stille das System erfolgreic­h um. Bis zum 19. November, wenn Aue in Duisburg aufläuft, sollte sich das schrecklic­he Heimweh heilen lassen. Und wenn nicht: Am Samstag darauf darf man schon wieder in die Ferne nach Regensburg schweifen.

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