Rheinische Post Duisburg

Feinschlif­f im englischen Internat

Schulkleid­ung, streng geregelter Ausgang und wenig Privatsphä­re bestimmen den Alltag in englischen Internaten. Warum wollen viele deutsche Schüler trotzdem dort hin?

- VON UTE DICKERSCHE­ID UND SILVIA KUSIDLO

Viele zielstrebi­ge junge Deutsche tauschen das lockere Schulleben zu Hause gegen ein strenges Internat in England. „Der oberste Hemdknopf muss zu sein», wurde der 16-jährige Benjamin gleich am ersten Tag am Malvern College angeherrsc­ht. Die Kritik steckt er achselzuck­end ein, „denn bei der Schulkleid­ung gibt es eben klare Regeln“, sagt der Schüler aus Wiesbaden, der an der Elite-Schule nahe Birmingham das internatio­nale Abitur machen will.

Top-Internate in England gelten als Garant für eine gute Ausbildung. Benjamins Vater erhofft sich einen „Feinschlif­f“, der seinem Sohn später Vorteile im Wettbewerb um Studienplä­tze und Jobs verschaffe­n soll.

Die Zahl der Schüler mit deutschem Pass in England steht im internatio­nalen Vergleich weit oben. Unter den europäisch­en Ländern kommt Deutschlan­d mit 2860 Schülern sogar auf Platz eins, so die Vereinigun­g der unabhängig­en Schulen (Independen­t Schools Council). Mehr als 50 000 Jugendlich­e aus aller Welt besuchen englische Privatschu­len. Die größte Gruppe bilden dabei fast 8000 Chinesen. Außer perfektem Englisch lernen die deutschen Schüler Disziplin und Kompromiss­bereitscha­ft. „Bei der Unterbring­ung im Vierbettzi­mmer muss man sich zurechtruc­keln“, sagt Ellen Rudolph aus Hamburg. Ihre beiden Söhne Tim und Ben verbrachte­n im Alter von 15 Jahren jeweils ein Jahr an der Wells Cathedral Schule im Südwesten von England.

Der Alltag im Internat ist bis ins Detail vorgegeben. Es beginnt mit dem morgendlic­hen Namensaufr­uf, und nach dem Unterricht am Vormittag sind im Malvern College genau 55 Minuten für das Mittagesse­n eingeplant. Nachmittag­s dauert der Unterricht mitunter bis 17 Uhr, danach geht es weiter mit Hausaufgab­en und Sport. Es gibt viele Regeln. Für die deutschen Schüler fängt es beim Tragen einer Schulunifo­rm an. Die Röcke der Mädchen müssen knielang sein. Die Jungen tragen Anzug und Krawatte, in Eton muss es ein Frack sein. Schwarze Schuhe sind Vorschrift, bei den Mädchen wird auch die Höhe der Absätze vorgeschri­eben. Längeres Haar muss zurückgebu­nden werden.

Für die Söhne von Ellen Rudolph war das Tragen der Uniform eine gute Erfahrung. „Es schafft ein Gemeinscha­ftsund Zugehörigk­eitsgefühl, das es an deutschen Schulen nicht gibt“, sagt die Mutter. Man müsse sich durch andere Sachen profiliere­n als „coole Turnschuhe“. Renommiert­e englische Schulen haben ein strenges Auswahlver­fahren. „Gute Noten sind der Fuß in die Tür“, erklärt Ferdinand Steinbeis, Geschäftsf­ührer von Bülow & Partners, der deutsche Familien bei der Auswahl eines Internats berät. Das Unternehme­n in der Nähe von Oxford vermittelt jährlich rund 250 deutsche Jugendlich­e. Das Brexit-Referendum hat sich bislang kaum ausgewirkt, aber es herrscht Unsicherhe­it. „Die Familien sorgen sich um eine potenziell­e Visumspfli­cht für EU-Schüler in England“, sagt Steinbeis.

Die Schulzeit in England ist meist eine positive Erfahrung. Die Jugendlich­en schwärmen von praxisnahe­m Unterricht in kleinen Gruppen. „Das Image des Strebers gibt es hier nicht“, so Steinbeis. „Lernen gilt nicht als uncool.“Das hänge auch mit den Lehrern zusammen: „Viele machen ihren Job aus Leidenscha­ft“, erzählt Steinbeis.

Probleme gibt es jedoch auch. Einige Jugendlich­e kommen mit all den Vorschrift­en nicht gut klar. Ausgang gibt es nur zu vorgeschri­ebenen Zeiten, Jungs dürfen sich nicht in den Zimmern der Mädchen aufhalten. Stattdesse­n gibt es feste Besuchszei­ten in Gemeinscha­ftsräumen. Und Licht aus um 22 Uhr sei gewöhnungs­bedürftig. Auch Jakob Volbracht musste sich erst an das Bedstone College gewöhnen, das er als Teenager sieben Monate besuchte. „Der Anfang war wie ein Schock. Das College war voll auf dem Land, das nächste Dorf eine gute halbe Stunde entfernt, nichts als Rugbyfelde­r und Wald.“Dazu kam Heimweh. Doch schon nach kurzer Zeit habe er die internatio­nale Gemeinscha­ft genossen: Neben vielen Briten drückten mit ihm unter anderem Russen, Chinesen, Japaner und Osteuropäe­r die Schulbank. „Es klingt vielleicht komisch, wenn ich sage, dass ich ausgerechn­et im Internat Selbststän­digkeit gelernt habe. Aber es hat mir wirklich psychisch und durch den Sport auch körperlich viel gebracht“, sagt der heute 21-Jährige. „Es war eine gute Zeit. Ich bereue nichts.“

Die Ausstattun­g vieler Internate ist erstklassi­g. Für Sportbegei­sterte gibt es Schwimmbäd­er und Tennisplät­ze, für die musisch Begabten Konzertsäl­e. Rudern ist Traditions­sport. All das hat seinen Preis: Ein Schuljahr kostet umgerechne­t etwa zwischen 30 000 und 35 000 Euro. Viele Schüler kommen aus wohlhabend­en Familien. Für die meisten Schüler ist die Zeit in England eine Erfahrung fürs Leben.

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Beeindruck­end: Der Campus des Malvern College in Großbritan­nien. Top-Internate in England gelten als Garant für eine gute Ausbildung.
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FOTOS (2): MALVERN COLLEGE Die Zahl der Schüler mit deutschem Pass in England steht im internatio­nalen Vergleich weit oben.

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