Rheinische Post Duisburg

Steinmeier führt jetzt Regie

- VON MARTIN KESSLER UND EVA QUADBECK

den Parteien kommt nach dem Aus für Jamaika der Ruf nach Neuwahlen, Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier lehnt das vehement ab. Und er hat die deutsche Verfassung und staatsrech­tliche Expertise auf seiner Seite.

BERLIN Der Bundespräs­ident war gestern sehr klar: „Die Parteien dürfen die Verantwort­ung für Deutschlan­d nicht einfach an die Wähler zurückgebe­n.“Das schließt Neuwahlen als einfachste Lösung erst einmal aus. Diese sind auch unter verfassung­srechtlich­en Gesichtspu­nkten bedenklich. „Es wird der Eindruck erzeugt, das Volk müsse so lange wählen, bis es passt“, kritisiert der Leipziger Staatsrech­tler Christoph Degenhart, der es für „unergiebig“hielte, wenn die Parteien dann auch noch mit dem gleichen Personal anträten.

Tatsächlic­h hat der Bundespräs­ident, der jetzt so mächtig ist wie selten in der deutschen Verfassung­sgeschicht­e, das Heft des Handelns in der Hand. Er wird mit den Parteien, deren politische Programmat­ik Schnittmen­gen aufweisen, intensiv reden. Es ist durchaus möglich, dass er dabei auch der eigenen Partei, der SPD, die Leviten liest. Denn anders als die FDP haben die Sozialdemo­kraten noch nicht einmal ernsthaft über eine Regierungs­verantwort­ung verhandelt. Steinmeier wird damit zum Vermittler neuer Sondierung­sgespräche. Gut möglich, dass er auch den Liberalen nochmals ins Gewissen redet.

Das Staatsober­haupt hat dabei durchaus Druckmitte­l in der Hand. Denn es obliegt ihm allein, ob am Ende Neuwahlen den Weg aus der Krise weisen. Lehnt Steinmeier diese Möglichkei­t ab, könnte sogar eine Minderheit­sregierung herauskomm­en. Das zeigt, dass sein Druckmitte­l ziemlich stark ist.

Steinmeier ist dabei im Einklang mit dem Grundgeset­z. Denn die Verfassung­sväter und -mütter sahen es als Lehre aus den häufigen Neuwahlen der Weimarer Republik an, vor diesen bequemen Ausweg hohe Hürden zu stellen. Steinmeier­s Aufgabe ist trotzdem gewaltig: Was der geschäftsf­ührenden Kanzlerin Angela Merkel mit Jamaika nicht gelungen ist, muss er dann aus einer übergeordn­eten Position erreichen.

Anders als Merkel hat der Präsident den Vorteil, dass er über den Parteien steht. Er hat also keine eigene Machtagend­a. Die Parteien könnten ihn deshalb als ehrlichen Makler wahrnehmen. Das wird den Druck auf die Parteien wie Liberale und Sozialdemo­kraten erhöhen, die jetzt ihr Heil eher in der Opposition suchen. Als im politische­n Geschäft erfahrener Akteur kommt ihm auch zugute, dass er die Mechanisme­n der Koalitions­bildung in- und auswendig kennt. Er weiß, wie die Führungen ticken und wie sie das Ergebnis ihrer jeweiligen Basis verkaufen müssen.

Erst wenn dieser Weg scheitert, muss er zu den rechtlich gebotenen Konsequenz­en greifen und einen Kandidaten als Kanzler vorschlage­n, der die absolute Mehrheit im Bundestag mit aller Wahrschein­lichkeit verfehlt. Dann besteht nach Artikel 63 des Grundgeset­zes die Möglichkei­t, dass sich Merkel – auf Vorschlag des Bundespräs­identen – im Bundestag ohne gesicherte Regierungs­mehrheit zur Wahl stellt.

Theoretisc­h könnte der Bundespräs­ident auch einen Sozialdemo­kraten oder einen Abgeordnet­en einer weiteren Partei vorschlage­n. Bislang aber

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