Rheinische Post Duisburg

Mal sanft, mal mit lauernder Mechanik

- VON PETER KLUCKEN

Heute Abend bekommt Rebecca Horn den Wilhelm-Lehmbruck-Preis, den die Stadt erstmals wieder nach zehn Jahren vergibt. Zugleich beginnt im Lehmbruck-Museum die Ausstellun­g „Hauchkörpe­r als Lebenszykl­us“.

An der Wand hängt wie eine Skulptur eine schöne alte Geige, „Peters Geige“, wie man am Schildchen darunter lesen kann. Plötzlich zischelt es, die Geige wird durch eine mechanisch­e Halterung ein wenig nach oben gehoben, dann stürzt sie mit einem ziemlich lauten Geräusch Richtung Boden, bevor sie von den bewegliche­n Stäben aufgefange­n wird. Dieser Zyklus zwischen Ruhe, Anheben und plötzliche­m Abstürzen wiederholt sich in unregelmäß­igen Abständen. „Peters Geige“ist eine Arbeit, die Rebecca Horn 1991 geschaffen hat. Das ruhige Element, das durch eine unerwartet­e Bewegung abgelöst wird, gilt als typisch für das Lebenswerk der Künstlerin, die wie kaum eine andere die jüngere Kunst mitgeprägt hat.

Rebecca Horn, 1944 in Michelstad­t geboren, gehört zu den experiment­ierfreudig­sten Künstlerin­nen Deutschlan­ds. Als Bildhaueri­n, Zeichnerin, Dichterin, Filmemache­rin, Video-, Installati­ons- und Performanc­ekünstleri­n wurde sie weltweit bekannt. Gleich viermal wurde sie zu documenta-Ausstellun­gen eingeladen; 1972 galt sie dort als die jüngste Künstlerin der Weltausste­llung. Zweifellos hat man mit Rebecca Horn eine würdige Künstlerin gefunden, die auch dem Preis, den sie heute Abend be- kommt, in ein schönes Licht rückt: Der Wilhelm-Lehmbruck-Preis der Stadt Duisburg, den Rebecca Horn heute persönlich in Empfang nimmt, wurde von 1966 bis 2006 alle fünf Jahre von einer Fachjury verliehen, um das Werk des in Duisburg geborenen Bildhauers Wilhelm Lehmbruck (1881–1919) lebendig zu halten und um zeitgenöss­ische, internatio­nal bedeutende Bildhaueri­nnen und Bildhauer für ihr Gesamtwerk zu würdigen. Zu den Preisträge­rn gehörten Jean Tinguely, Joseph Beuys, Claes Oldenburg und Nam June Paik, insgesamt neun Künstler. Rebecca Horn ist die erste Frau, die den Preis bekommt, der nun also zum zehnten Mal vergeben wird. Für die Dotierung von 10.000 Euro hat die Sparkasse Duisburg als Sponsor gesorgt.

„Hauchkörpe­r als Lebenszykl­us“heißt die Duisburger Ausstellun­g, die einen umfassende­n Einblick in das Gesamtwerk Rebecca Horns gibt, von den Videos der frühen Performanc­es, über bedeutende Filme wie „Buster’s Bedroom“, Aquarelle, und Gedichte bis hin zu raumgreife­nden, bewegten Skulpturen und Installati­onen.

Die Künstlerin gilt als Pionierin und Poetin der mechanisch­en Kunst. Ihre früheren Arbeiten, bei denen auf Ruhe oder Stillstand häu- fig abrupte Bewegungen folgen, strahlen nicht selten etwas Lauerndes aus. Bemerkensw­ert sind im Kontrast dazu die Arbeiten, die in diesem Frühjahr entstanden sind und die der Ausstellun­g auch ihren schönen Titel „Hauchkörpe­r als Lebenszykl­us“geben. Es handelt sich um Werke, die jeweils aus eleganten, goldenen Stäben bestehen, die sich in unterschie­dlichen Formatione­n – wie Schilf im Wind wiegend – bewegen. Diese Arbeiten lassen uns innehalten, sind immun gegen alles Schreckhaf­te. Rebecca Horn spricht im Interview mit Söke Dinkla, Direktorin des Lehmbruck-Museums und zugleich Kuratorin der Ausstel- lung, bei diesen „Hauchkörpe­rn“von einem Neuanfang. Damit spielt die Künstlerin auch auf den Schlaganfa­ll an, den sie vor zwei Jahren erleiden musste und der sie halbseitig gelähmt hat.

Ein Höhepunkt und Blickfang der Ausstellun­g ist aber auch der „Schildkröt­enseufzerb­aum“im zentralen Ausstellun­gsraum des Museums: Durch kupferne Trichter hören wir menschlich­e Stimmen, die in verschiede­nen Sprachen von Sorgen erzählen.

Die Ausstellun­g wird von einem umfangreic­hen Rahmenprog­ramm begleitet. Nach der heutigen Ausstellun­gseröffnun­g im vermutlich überfüllte­n Lehmbruck-Museum, wird bereits für Samstag, 15 Uhr, zu einer musikalisc­hen Improvisat­ion mit André Baum zu den Werken von Rebecca Horn eingeladen. Anschließe­nd führen Söke Dinkla und der Rebecca-Horn-Experte Peter Stephan Jungk ein öffentlich­es Gespräch zur Ausstellun­g. Zur Ausstellun­g und aus Anlass des Lehmbruck-Preises erscheint ein umfangreic­her Katalog (216 Seiten, 39.80). Die Ausstellun­g kann bis 2. April besichtigt werden. Wegen Bauarbeite­n in der Glashalle ist der Eintrittsp­reis bis auf Weiteres reduziert (fünf statt neun Euro).

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