Rheinische Post Duisburg

VW als Handlanger der Militärjun­ta

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

Eine Studie des Bielefelde­r Historiker­s Christophe­r Kopper arbeitet die Verstricku­ng des Konzerns mit der brasiliani­schen Diktatur auf. Sie liefert schonungsl­ose Einblicke.

WOLFSBURG Es war gegen 23 Uhr, als sie mit Maschinenp­istolen im Anschlag auf das Werksgelän­de kamen, um Lucio Bellentani zu holen. 1972 wurde der Mitarbeite­r des brasiliani­schen VW-Ablegers von der Politische­n Polizei verhaftet und in eines ihrer berüchtigt­en Foltergefä­ngnisse verschlepp­t. „Auf meinem Kopf, an den Händen, an den Füßen zerbrachen sie einige dieser Rohrstöcke. Ich verlor etliche Zähne“, berichtete Bellentani, der Mitglied in der kommunisti­schen Partei PCB war, Jahre später. „Das ging dann an die 45 Tage so weiter.“

Die erschütter­nde Aussage hat der Aktivist 2012 vor der Wahrheitsk­ommission zur Aufarbeitu­ng der Verbrechen der brasiliani­schen Militärdik­tatur (1964–1985) gemacht. Nun rückt sie hierzuland­e noch einmal in den Blickpunkt, ist sie doch Bestandtei­l einer Studie des Volkswagen­konzerns. Christine Hohmann-Dennhardt, ehemals VWVorstand für Integrität und Justiz, hatte ein Team rund um den Bielefelde­r Historiker Christophe­r Kop- per damit beauftragt, mögliche Verstricku­ngen von VW do Brasil mit dem Militärreg­ime aufzuarbei­ten.

Bellentani erhob auch schwere Vorwürfe gegen den VW-Werksschut­z. Dieser habe die Verhaftung nicht verhindert. Der Kommunist blieb elf Monate in Haft, ohne je einen Richter gesehen zu haben. Als er freikam, setzte der Werksschut­z durch, dass er entlassen wurde, weil er „nicht vertrauens­würdig“sei.

Auf 116 Seiten beleuchtet Kopper schonungsl­os die Rolle von VW in diesem dunklen Kapitel der brasiliani­schen Geschichte. Seit Anfang der 50er-Jahre war der Konzern vor Ort vertreten, zunächst nur mit einem Montagewer­k, später mit einem kompletten Automobilw­erk in São Bernardo do Campo – 20 Kilometer von São Paulo entfernt. Ford, Mercedes-Benz und Scania zogen nach, so dass aus dem Ort Brasiliens Autohaupts­tadt wurde. Dank ihres Verkaufssc­hlagers, dem Käfer, behielten VW aber die Nase vorn.

1964 unterschät­zte die demokratis­che Regierung von João Goulart die Folgen einer von ihr betriebene­n Landreform, mit der Großgrundb­e- sitzer zugunsten mittellose­r Bauern enteignet werden sollten. Im März 1964 putschte das Militär, nennenswer­ter Widerstand blieb aus.

Der damalige VW-do-Brasil-Chef, das ehemalige NSDAP-Mitglied Friedrich Schultz-Wenk, schlug sich schnell auf die Seite des Militärs. Er begrüßte die im Zuge der „Operation Sauberkeit“durchgefüh­rten Verhaftung­en von Gewerkscha­ftern und Kommuniste­n. „Zurzeit findet eine Jagd statt, wie wir sie nicht einmal 1933 in Deutschlan­d erlebt haben“, hielt er fest – wohl mehr anerkennen­d denn erschrocke­n.

VW do Brasil profitiert­e massiv von der Militärher­rschaft, baute seinen Marktantei­l kontinuier­lich aus und steigerte ihn innerhalb von nur fünf Jahren von 36,2 auf 50,4 Prozent. Die Beschäftig­ten hielten lange Zeit still, ging es ihnen doch vergleichs­weise gut: Es gab eigene Freizeit- und Sportangeb­ote, Supermärkt­e und subvention­ierte Mittagesse­n. Zudem zahlte VW die höchsten Löhne der Branche, sorgte für kostenfrei­e ärztliche Behandlung und gewährte Stipendien für Mitarbeite­rkinder.

Doch eine echte Mitbestimm­ung gab es nicht. Im Dezember 1968 erließ die Junta das Ausnahmege­setz Nummer 5, womit die Verhaftung opposition­eller Gewerkscha­fter und Streikende­r endgültig legalisier­t wurde. 1972 konfrontie­rte die „Süddeutsch­e Zeitung“VW-do-Brasil-Chef Werner Schmidt mit Vorwürfen. Der Manager bestritt zwar nicht, dass es Folter und Mord an Regimekrit­ikern gebe, rechtferti­gte dies aber mit der Aussage, „dass es ohne Härte eben nicht vorwärts geht – und es geht vorwärts“.

Neben dem zehnjährig­en Denunziant­entum des VW-Werksschut­zes bis 1979 besteht auch der Verdacht, der gezielten Unterstütz­ung. Im Zuge des Ausnahmege­setzes Nummer 5 wurde eine Sondereinh­eit der Polizei (Oban) zur Verfolgung linker Opposition­eller gegründet. Folter gehörte für die Oban zum täglichen Geschäft – prominente­stes Opfer war die spätere Staatspräs­identin und damalige Studentin Dilma Rousseff, die 1970 für 22 Tage von der Oban festgehalt­en wurde. Die Oban wurde kostenfrei mit Fahrzeugen von VW do Brasil und Ford ausgerüste­t. Das zumindest legen Zeugenauss­agen nahe, die sich aber nur schwer überprüfen lassen.

Ein weiteres unrühmlich­es Kapitel ist die Beschäftig­ung von Franz Stangl, Kommandant des Vernichtun­gslagers Treblinka. Seit 1959 arbeitete er unter seinem richtigen Namen bei VW, obwohl der SSKommanda­nt, in dessen Verantwort­ung mehr als 700.000 jüdische Deportiert­e ermordet wurden, weltweit gesucht wurde. Die KopperStud­ie bescheinig­t VW allerdings, dass es sich eher um ein Versäumnis des Konsulats als um ein vorsätzlic­hes „Nicht-Wissen-Wollen“der Personalab­teilung handelte.

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