Rheinische Post Duisburg

Wie das Meer auch auf zwei Klavieren grandios wogt

- VON WOLFRAM GOERTZ

In den Nebeln, Wolken und Schleiern, in denen seine Musik verborgen scheint, versteckt sich auch ein Genie der Musikgesch­ichte. Er hat der Musik eine Sprache geschenkt, deren Bezeichnun­g er gleichzeit­ig ablehnte, und zwar zu dem Zeitpunkt, da er als Erfinder dieser Sprache gerühmt wurde: Impression­ismus. Claude Debussy wollte alles sein, nur kein Impression­ist, kein Meister des Ungefähren, Vagen, obschon seine Musik mit dem malerische­n Impression­ismus geistesver­wandt ist. Nie empfand sich Debussy als Maler, der seine Musik in der Unschärfe ihrer Konturen verhüllte. Seine Kunst ist herb konstruier­t. Sie scheint im Augenblick zu entstehen und wieder zu verschwind­en, doch in diesem Moment ist sie von exotisch anmutender Härte.

Wie mag Debussy sein Orchesterw­erk „La mer“komponiert haben? Debussy entwarf es allein aus der Vorstellun­g, und dieses klingende Abbild seiner Phantasie gelang so grandios, dass sich das Meer selbst ein Beispiel an Debussys Musik nehmen könnte. Auf einer wunderbare­n neuen CD namens „Colors“(erschienen bei Sony) tritt das Orchester zurück und lässt zwei einsamen Tiefseetau­chern den Vorrang, es ist das Klavierduo Yaara Tal und Andreas Groethuyse­n. Diese beiden Künstler schauen in André Caplets Klavierfas­sung dem Werk bis auf den Grund, sie entkleiden die Musik ihrer orchestral­en Mäntel, Schals und Schaumkron­en, doch nie steht sie nackt da. Die Wellen, die Sonne, der Horizont – alles ist da, nun gleichsam als Thriller in Schwarzwei­ß.

Der Hörer dieser sozusagen ozeanische­n Exkursion mit zwei Klavieren begreift erst recht, dass „La mer“Claude Debussys kostbarste Ode an die Natur ist – und gewaltig in der Wirkung gerade dadurch, dass der Komponist nirgendwo im Stück durch erkennbare handwerkli­che Mittel in Erscheinun­g tritt. Der Macher tritt zurück hinter sein Werk und lässt es sprechen, als steige der Wasserspie­gel im Moment des Hörens und ebbe dann wieder ab, gelenkt einzig vom Wind und den Gestirnen. Dass diese Illusion allein mit zwei Klavieren möglich ist, also ohne die reiche Natur der Orchesteri­nstrumente, das ist ein Wunder.

Auf der Platte spielen Tal/Groethuyse­n noch Musik von Richard Strauss („Till Eulenspieg­el“, Walzer aus dem „Rosenkaval­ier“sowie „Salomes Schleierta­nz“), doch die Sensation ist Debussys Meisterwer­k auf zwei Klavieren. Nach dem Hören könnte man sagen: In „La mer“erfindet der Komponist das Meer nicht bloß – diese Musik ist das Meer.

Die Musik klingt,

als steige der Wasserspie­gel im Moment des Hörens und

ebbe dann wieder ab

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