Tratsch-Baum gehört zum Stadtteil
Kommunikation mal anders: In Bissingheim wird ein Baum als Pinnwand genutzt. Und das schon seit mehr als 27 Jahren. Das soll auch in Zukunft so bleiben.
BISSINGHEIM. Wer heutzutage Neuigkeiten verbreiten, etwas ankündigen oder etwas verkaufen möchte, nutzt in der Regel das Internet. Facebook, Ebay und Co. haben schon lange das Schwarze Brett und und andere Verbreitungsmöglichkeiten abgelöst. Nicht aber in Bissingheim. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein.
An einem großen, alten Baum vor Carmen’s Haarstübchen wird der neueste Klatsch und Tratsch des Stadtteils verbreitet – auf Zetteln, die an eine Baumrinde gepinnt werden. Frisörsalon-Inhaberin Carmen Jansen erzählt: „Der Baum ist quasi unsere Tageszeitung. Den gibt es schon immer. Die Bissingheimer schauen schon gar nicht mehr auf die aushängenden Zettel am Schaufenster. Alle gehen zum Baum, unserem Tratsch-Baum.“
Ein ehemaliger, mittlerweile verstorbener Kunde von ihr, hat den Baum so sehr geschätzt, dass er ihn vor Jahrzehnten fotografiert und Carmen Jansen das Foto zur Erinnerung geschenkt hat. Der Baum ist seitdem eindrucksvoll gewachsen. In den gewaltigen Stamm sind viele Pinnwandnadeln gesteckt, drumherum hängen die unterschiedlichsten Sachen aus: „Folgende Bissingheimer dekorieren ein Adventsfenster und laden zur Eröffnung ein“, Vierköpfige Familie sucht neues Zuhause“oder „Gelber, sehr lieber und zutraulicher Wellensittich zugeflogen“. Ruth Herrnberger hat letzteren Zettel vor einigen Monaten aufgehängt. „Den Eigentümer des Wellensittiches habe ich bislang dennoch nicht gefunden“, berichtet sie. Dafür aber einen neuen Besitzer. „Mich haben mehrere Leute angerufen, die das Tier aufnehmen wollten“, fügt sie hinzu. Ihr Zettel war also ein voller Erfolg.
Ruth Herrnberger wohnt seit 27 Jahren in Bissingheim. Und mindestens genau so lange gibt es auch schon die Baumpost. Sie hat diese Form der Kommunikation schon öfter genutzt, zum Beispiel: „Wenn ich was zu verkaufen hatte, eine Wohnung vermieten wollte oder einen Hundesitter gesucht habe. Und darauf haben sich auch immer Leute gemeldet.“Früher hat sie alles an den Baum gehängt, mittlerweile nicht mehr so viel. Aber eins steht fest: „Ich würde es immer wieder tun!“
Carmen Jansen hat bislang noch keine Neuigkeit über den Baum verbreitet. Dennoch bedeutet ihr die Pinnwand der etwas anderen Art sehr viel. Sie weiß zu berichten, dass mal zur Debatte stand, den Baum zu fällen. Für sie unvorstellbar. „Der Baum ist krank, hat deswegen auch ein paar Sicherheitsgurte. Aber der darf nicht weg“, betont die Frisöse. Schließlich ist das Herzstück Bissingheims Teil der Dorfgeschichte. Und sein Dasein entschleunigt, in einer Zeit, in der alles nur noch um Schnelligkeit geht.