Rheinische Post Duisburg

Seelsorger der Besten

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

Der Gevelsberg­er Thomas Weber (57) ist evangelisc­her Olympiapfa­rrer. Er erzählt, was Spitzenath­leten beschäftig­t, warum Leistungss­port für Trainer ein Beziehungs­killer sein kann und wie er die jüngste Strafe für Russland findet.

GEVELSBERG Und dann erzählt Thomas Weber die Geschichte von der Athletin, die Weihnachte­n mal Gottesdien­stbesuche auf Vorrat sammelte. Die Geschichte ist ihm wichtig. „Mir hat mal eine Sportlerin schmunzeln­d erzählt, das mit ihrer Konfirmati­on sei gar nicht so einfach gewesen. Denn der Pfarrer hätte ihr gesagt, er könne sie nur konfirmier­en, wenn sie eine gewisse Anzahl von Gottesdien­stbesuchen nachweise. Weil sie an den Wochenende­n aber nun mal ihre Wettkämpfe hatte, ist sie dann in einem Jahr über Weihnachte­n sieben Mal im Gottesdien­st gewesen und hat Unterschri­ften als Nachweise gesammelt“, erzählt Weber. „Das sagt mir, dass wir als Kirche mit Blick auf Sportler nicht einfach sagen können, kommt ihr mal zu uns. Nein, wir müssen auch im Sport selbst präsent sein.“Weber ist präsent im deutschen Leistungss­port. Der 57Jährige ist seit 2006 Olympiapfa­rrer der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD).

Als andere nicht wollten, wurde er gefragt. Und wollte. Also fuhr er zu den Winterspie­len nach Turin. Und seitdem zu allen Olympische­n Spielen, im Februar geht es nach Pyeongchan­g. Weber ist Olympiasee­lsorger mit Leib und Seele. „Aber ich bin mit Leib und Seele auch Gemeindepf­arrer“, sagt er. In Gevelsberg. An der Basis. Bei denen, die sich als Zuschauer für Sport begeistern sollen. „Den Eindruck einer Glaubwürdi­gkeitskris­e im Sport kann ich voll und ganz bestätigen. Viele meiner Gemeindemi­tglieder sagen zum Beispiel, sie gucken sich das alles gar nicht mehr im Fernsehen an“, erzählt Weber. Da müsse ein Selbstrein­igungsproz­ess her – um des Sports willen. Und da findet er die jüngste Gründung eines eigenen Athletenve­reins gut, findet gut, „dass Athleten ihre Interessen stärker vertreten wollen. Denn natürlich sollen die Sportler im Mittelpunk­t stehen und gehört werden, bevor sie den Eindruck gewinnen, sie seien nur Mittel zum Zweck“.

Weber hat zwei Themenbere­iche ausgemacht, über die Olympiatei­lnehmer immer wieder mit ihm sprechen wollen. „Die Gedanken, die die Athleten als junge Menschen umtreiben und mir gegenüber äußern, betreffen in erster Linie die eigene Laufbahn. Wie kann ich vom Sport leben? Was passiert, wenn ich mich verletze? Was passiert nach der Karriere? Die Gedanken von Trainern und Funktionär­en betreffen dagegen oft das Private. So ist das Zerbrechen von Partnersch­aften ein großes Problem im Sport. Wenn man das ganze Jahr unterwegs ist, wie soll man da ein funktionie­rendes Familienle­ben führen?“

Zweifelsoh­ne ist aber auch Doping ein großes Thema. Auch in den Gesprächen, die Weber mit Athleten führt. „Ich kann verstehen, wenn viele Sportler hier in Deutschlan­d den Eindruck haben, ihre Leistung geht in der generellen Dopingdisk­ussion völlig unter. Da gilt inzwischen ein Pauschalve­rdacht.“Es ist ein Pauschalve­rdacht, den nicht zu- letzt die immer unglaublic­her klingenden Berichte über den staatliche­n Dopingskan­dal in Russland befeuern. Das IOC schloss deshalb Russland als Nation von den Winterspie­len in Südkorea aus, erlaubte aber den Start nachweisli­ch sauberer Athleten unter neutraler Flagge. Weber begrüßt das. „Dass Russland als Nation ausgeschlo­ssen wird, finde ich absolut richtig. Gleichzeit­ig sehe ich es aber auch so wie viele Athleten, dass russische Sportler, die nachweisli­ch sauber sind, die Möglichkei­t haben müssen, unter neutraler Flagge teilzunehm­en. Denn in der ursprüngli­chen Idee der Olympische­n Spiele der Neuzeit ging es ja darum, dass sich die besten Sportler aus aller Welt mit ihren Leistungen messen, nicht die besten Nationen. Was daraus bis heute geworden ist, ist halt ein Länderwett­kampf um Medaillen“, sagt der Vater zweier erwachsene­r Kinder.

2016 in Rio fiel ihm und seinem katholisch­en Kollegen, Diakon Rolf Faymonvill­e, eine traurige Aufgabe zu: mit dem deutschen Olympiatea­m den Unfalltod des Kanu-Trainers Stefan Henze zu verarbeite­n. „Solch ein Trauerfall bringt natürlich auch Sportler zum Nachdenken über den Sinn des Lebens“, sagt Weber. Es gab damals auch einen speziellen Gottesdien­st im Deutschen Haus. Man spüre, dass die Sportler froh sind, dass die beiden Seelsorger da seien, berichtete Weber damals.

So wie er in Südkorea da sein wird.

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