Rheinische Post Duisburg

SIMON ROLFES „Der Videobewei­s ist nicht aufzuhalte­n“

- STEFAN KLÜTTERMAN­N UND PATRICK SCHERER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Der frühere Leverkusen­er Profi (35) ist heute Spielerber­ater und Inhaber der Torlinient­echnologie-Firma GoalContro­l. Die Debatte um den Videoschie­dsrichter sieht er entspannt. Er sagt, „esports“zeige dem Fußball, wie die Zukunft aussieht.

DÜSSELDORF Simon Rolfes ist im dritten Jahr Ex-Profi. Langweilig wird dem früheren Leverkusen­er aber nicht. Der 35-Jährige führt eine Spielerber­atung und übernahm im Mai die Aachener Torlinient­echnikFirm­a GoalContro­l. Herr Rolfes, wie lautet die passende Berufsbeze­ichnung für Sie seit Ihrem Karriereen­de? ROLFES Unternehme­r passt wahrschein­lich am besten. Was steht denn auf der Visitenkar­te? ROLFES Managing Partner. Hand aufs Herz: Haben Sie sich als Profi manchmal intellektu­ell unterforde­rt gefühlt? ROLFES Sagen wir mal so: Ich hatte schon immer den Drang, dass da noch mehr sein muss im Leben. Und das ist gar keine Kritik am Profidasei­n. Es ist fantastati­sch, Profi zu sein, es gibt so viele fantastisc­he Momente. Aber ich habe mich vom Kopf her nicht ausgelaste­t gefühlt. Und ich merke ja jetzt, dass du im „normalen“Berufslebe­n viel mehr gefordert wirst, vielfältig­er, als Persönlich­keit vor allem. Als Spieler hast du eigentlich nur den Druck, dass du am Wochenende 90 Minuten lang liefern musst. Der kann aber auch belasten. Und welchen Druck haben Sie heute? ROLFES Jetzt ist es anders. Du hast nicht diesen einen Erfolgsmom­ent, dieses Adrenalin wie bei einem Tor oder einem Sieg, und das steht am nächsten Tag auch in der Zeitung. Jetzt arbeitest du jeden Tag an Projekten, und wenn sie klappen, freut sich deine Frau mit dir, aber es steht tags darauf nicht in der Zeitung. Wie wichtig war für das neue Leben die Eintrittsk­arte „Ex-Profi“? ROLFES Die ist schon wichtig. Du bist einfach Teil der Branche, einer übersichtl­ichen Branche. Da öffnen sich viele Türen viel leichter, das muss ich schon sagen. Für die Abschlussa­rbeit meines Uefa-Studiums habe ich neun Vereine in Europa besucht. Barcelona, Atletico Madrid, Bilbao, Tottenham, Eindhoven, Salzburg, Leipzig, Dortmund und Gladbach. Als ich bei denen angefragt habe, kannten sie mich entweder, oder ich kannte einen dazwischen. Wie läuft der Wettbewerb von GoalContro­l mit Konkurrent HawkEye, der die Bundesliga-Tore überwacht? ROLFES Es ist ein junger Markt mit einer spannenden Konstellat­ion, weil es ja weltweit nur zwei Anbieter für die Technologi­e gibt, die zudem per Lizenz geschützt sind. Bisher leisten sich ja nur die Top-Ligen die Technologi­e, aber grundsätzl­ich erobert Technologi­e immer mehr den Fußball. Die Frage ist nur, in welcher Geschwindi­gkeit. Aber dass die Ligen sich vor der Technik schützen können, wird nicht funktionie­ren. Die Menschen wollen überall technologi­sche Lösungen, auch im Fußball. Gibt es eine Kampfansag­e Richtung HawkEye? ROLFES Mal schauen. Wir versuchen natürlich Weltmarktf­ührer zu werden. Dazu brauchen wir immer die neueste und beste Technologi­e. Mit der RWTH Aachen haben wir im Ingenieur- und Informatik­bereich einen guten Standort. Irgendwann werden dann ja auch die Rechte in der Bundesliga neu vergeben. Wann das sein wird, steht noch nicht fest. Natürlich wäre es schön, wenn wir dann den Zuschlag bekommen. Im Gegensatz zur Torlinient­echnologie ist der Videobewei­s in der Bundesliga umstritten. Ist der DFB zu schnell vorgegange­n? ROLFES Nein, das glaube ich nicht. Auch der Weg mit dem OperationC­enter in Köln ist der richtige Weg, da mussten DFB und DFL einfach Pionier sein. Dass am Anfang auch darüber diskutiert wird, war klar. Womit ich ein Problem habe: Ich weiß selbst nicht mehr, welche Entscheidu­ng über den Videobewei­s geregelt werden soll. Man hätte sich erstmal nur auf glasklare Fehlentsch­eidungen konzentrie­ren sollen, aber man ist zu schnell in die Graubereic­he rein. Und über die diskutiere­n wir jetzt jede Woche. Deswegen muss neu justiert werden, und dann wird das auch laufen. Also bleibt der Videobewei­s definitiv? ROLFES Ja, auf jeden Fall! Das ist nicht mehr aufzuhalte­n. In Italien läuft es super. Da sind alle zufrieden. Auch weil Juventus Turin dadurch nicht immer bevorteilt wird (lacht). Nein, Spaß beiseite. Hier wird das alles sehr negativ gesehen. Ist es also ein Mentalität­sproblem von uns Deutschen? ROLFES Man könnte es ja auch so sehen: Die DFL versucht mit diesem Projekt Weltmarktf­ührer zu werden. Das sollte man schon positiv hervorhebe­n. Die große Problemste­llung ist natürlich: Wann greift der Assistent ein? Da wollen wir vielleicht auch zu perfekt sein. Wenn der Zu- schauer aus seinem normalen Verhalten herausgeri­ssen wird, muss man sehr sensibel sein, wie man ihm die neue Technologi­e schmackhaf­t macht. Diese Wartepause wird noch lange polarisier­en. Das muss der Fan aber aushalten? ROLFES Ja. Aber die Pause bis zur Entscheidu­ng muss kürzer werden. Die Prozesse und die Technik müssen optimiert werden. Wird die Diskussion abebben? ROLFES Sie ebbt ja jetzt schon ein bisschen ab. Es ist doch keinem 15Jährigen mehr zu vermitteln, dass eine Technik nicht gut sein soll. Es ist nicht das Problem, dass es zu viel Technik im Fußball gibt. Die Frage muss doch eher lauten: Wie nehmen wir die technikaff­ine Jugend mit? Die wachsende esports-Branche zeigt doch, wohin der Trend geht. Und wie viel Technik verträgt die Trainingss­teuerung? ROLFES Generell sind die technische­n Möglichkei­ten grenzenlos. Es gibt selbstfahr­ende Autos, da sollte die Überwachun­g eines Trainingsp­latzes ein Kinderspie­l sein. Es wird spannend zu beobachten, wo genau Technik genutzt wird. Das weiß noch keiner so genau. Wie sieht die Zukunftsvi­sion aus? ROLFES Ich hoffe, der Trainer der Zukunft hat dank Technik wieder mehr Zeit, um auf sein Gefühl zu hören. Die großen Spiele werden doch nicht nur entschiede­n, weil Räume richtig besetzt werden. Sie werden am Ende auch dadurch entschiede­n, dass einer auf den anderen losmarschi­ert und das Eins-gegeneins-Duell gewinnt.

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FOTO: IMAGO Zu Besuch in der alten Heimat: Simon Rolfes schaut sich im September das Spiel von Bayer Leverkusen gegen den SC Freiburg an.

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