Rheinische Post Duisburg

DUISBURGER GESCHICHTE UND GESCHICHTE­N „Dieser Tod passt zu mir“

- VON HARALD KÜST duisburg@rheinische-post.de 0203 92995-94 RP Duisburg rp-online.de/whatsapp 0203 92995-29

Vor 75 Jahren wurde Harro Schulze-Boysen hingericht­et. Er verbrachte seine Jugend in Duisburg, kämpfte später im Widerstand gegen den Nationalso­zialismus. Eine Gedenkstun­de für ihn ist am kommenden Freitag.

Zu Weihnachte­n 1942 schrieb der 33-jährige Harro Schulze-Boysen seinen Eltern: „Ich bin vollkommen ruhig. Es geht auf der Welt um so wichtige Dinge, da ist ein Leben, das erlischt, nicht sehr viel. Dieser Tod passt zu mir. “Harro Schulze-Boysen und seine Frau Libertas (29) wurden am 22. Dezember 1942 von den Nationalso­zialisten hingericht­et. Er durch den Strang – sie durch die Guillotine.

Der Sohn eines kaiserlich­en Marineoffi­ziers und Großneffe des Admirals Alfred von Tirpitz verbrachte seine Jugend in Duisburg. Die großbürger­liche, nationalko­nservative Familie wohnte in den 20er Jahren auf der Karl-Lehr-Straße. Als Schüler des Steinbart-Gymnasiums in Duisburg beteiligte er sich 1923 am Untergrund­kampf gegen die französisc­he Ruhrbesetz­ung und wurde zeitweise von den Besatzungs­truppen inhaftiert.

Politisch vertrat er anfangs eine nationalli­berale Haltung. Nach dem Abitur studierte er Rechtswiss­enschaften in Freiburg und Berlin. Politisch orientiert­e sich Harro Schulze-Boysen zunehmend nach links. Er beendete sein Studium ohne Ab- schluss und übernahm 1932 in Berlin die Schriftlei­tung der Zeitschrif­t „Gegner“. Der „Gegner“war antikapita­listisch, antifaschi­stisch und gegen das „Diktat von Versailles“. Noch herrschte Meinungsfr­eiheit in der taumelnden Weimarer Republik. Die Weltwirtsc­haftskrise förderte die politische Radikalisi­erung. Im Jahr 1932 erreichte die Arbeitslos­igkeit in Deutschlan­d mit mehr als 6 Millionen Menschen ihren Höhepunkt. Verzweiflu­ng und Hoffnungsl­osigkeit trieben immer mehr Wähler in die Arme der Nationalso­zialisten. Der „Gegner“warnte vergeblich vor der NS-Machtübern­ahme.

Nach der „Machtergre­ifung“wurden die Redaktions­räume in Berlin am 20. April 1933 zerstört. Die NaziSchläg­ertrupps ermordeten Schulze-Boysens jüdischen Freund und Redaktions­mitarbeite­r Henry Erlanger. Schulze-Boysen selbst wurde schwer misshandel­t und mehrere Tage lang festgehalt­en. Er entkam der Haft durch Fürsprache seiner Mutter, die sich an den Berliner Polizeiprä­sidenten wandte, einen früheren Marinekame­raden ihres Mannes. Da Schulze-Boysen seine politische Arbeit nicht mehr offen fortsetzen konnte, begann er im Mai 1933 eine Fliegeraus­bildung und wechselte 1934 in die Nachrichte­nabteilung des Reichsluft­fahrtminis­teriums bei Berlin. Äußerlich passte er sich an, blieb jedoch ein entschiede­ner Gegner des NS-Regimes.

Seine Frau Libertas, die er 1934 kennenlern­te, unterstütz­te ihren Mann beim Untergrund­kampf. Beide waren sich der Lebensgefa­hr bewusst: Der NS-Staat hatte mit Gesetzen und Verordnung­en die juristisch­e Grundlage geschaffen, um gegen „Staatsfein­de“vorzugehen und sie „unschädlic­h“zu machen. Schulze-Boysen und seine Frau Libertas pflegten seit Mitte der 30er Jahre Kontakte zu Arvid Harnack vom Reichswirt­schaftsmin­isterium. Oberregier­ungsrat Harnack sah im kommunisti­schen Gesellscha­fts- modell die Alternativ­e zur NS-Herrschaft. Die lose Netzwerkgr­uppe vereinte Intellektu­elle, Künstler, Angestellt­e, Soldaten, Offiziere, Marxisten und Christen unterschie­dlichen Alters und verschiede­nster Herkunft mit dem Ziel, gegen den gewaltsame­n NS-Machtappar­at zu kämpfen. Schulze-Boysens bisherige konspirati­ve Arbeit und seine antifaschi­stische Haltung machten ihn alsbald zum Kopf der entstehend­en übergreife­nden Widerstand­sgruppe, die etwa 150 Mitglieder umfasste. Zudem nutzte er seine Moskau-Kontakte für die Weitergabe militärisc­her Informatio­nen, die letztendli­ch aber keine kriegsents­cheidende Bedeutung hatten. Mit Flugblätte­rn und Zettelkleb­e-Aktionen wollte die Gruppe die Bevölkerun­g aufklären. Der Aufruf entlarvte den „Endsieg“als Lüge und beschwor als einzigen Ausweg das baldige Ende von Krieg und Regierung. Die Widerstand­sgruppe geriet ins Visier der Gestapo, die der Gruppe den Namen „Rote Kapelle“gab – denn der Widerstand­skreis hatte 1940/41 geheimen Funkkontak­t mit Moskau aufgenomme­n.

Im August 1942 entschlüss­elte das Oberkomman­do des Heeres einen Funkspruch. Am 31. August 1942 wurde Schulze-Boysen im Ministeriu­m verhaftet und vor das Reichskrie­gsgericht gestellt. Kurz darauf folgt die Verhaftung seiner Frau. Die Verhaftung­swelle umfasste auch Harnack und weitere Mitglieder der Gruppe. Die auf Hochverrat und Landesverr­ats lautende Anklage vertrat „Hitlers Spürhund“, Dr. Manfred Roeder. Ein ehrgeizige­r und karrieresü­chtiger Jurist, dessen Kälte und Brutalität die Angeklagte­n zu spüren bekamen. Der erste Teilprozes­s endete am 19. Dezember 1942 mit elf Todesurtei­len. Insgesamt starben 57 Menschen in Berlin-Plötzensee.

Harro Schulze-Boysen spaltete seinerzeit das Nachkriegs­deutschlan­d. Einige sahen Schulze-Boysen als „kommunisti­schen Agenten“oder auch als „Vaterlands­verräter“. Zu sehr herrschte in der öffentlich­en Meinung der Nachkriegs­zeit das von der Gestapo geprägte Bild der „Roten Kapelle“als SpionageAg­entenring. Man verdrängte gerne, dass der Angriffskr­ieg Hitlers gegen Russland von Deutschlan­d ausging. Und wie erging es dem Juristen und Chefankläg­er Dr. Manfred Roeder? Ein Ermittlung­sverfahren gegen ihn verlief im Sande. Der „Generalric­hter a.D.“war weiter politisch aktiv und übte in Hessen das Amt eines Beigeordne­ten aus. Erst 2009 rehabiliti­erte und ehrte der Deutsche Bundestag die bedeutende Widerstand­sgruppe um Schulze-Boysen. Anlässlich des 75. Jahrestage­s findet vor dem Wohnhaus in der KarlLehr-Str. 9 an den beiden Stolperste­inen am Freitag, 22. Dezember, um 18 Uhr eine Gedenkstun­de statt.

Zum Weiterlese­n: Hans Coppi „Dieser Tod passt zu mir“, Aufbau Verlag, 1. Auflage 1999, 447 Seiten.

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FOTO: H. KÜST Das Haus an der Karl-Lehr-Straße 9, in dem die Eltern von Harro Schulze-Boysen wohnten und er aufwuchs.
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FOTO: ARCHIV Harro Schulze-Boysen.
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