Rheinische Post Duisburg

Fachkräfte­mangel wird zur Krise

- VON KRISTINA DUNZ UND BIRGIT MARSCHALL

Zwei von drei offenen Stellen in Berufen mit Fachperson­al können mittlerwei­le nur schwer, verspätet oder gar nicht besetzt werden. Die Hoffnung liegt auf Ausländern, Frauen und älteren Beschäftig­ten.

BERLIN Der Fachkräfte­mangel in Deutschlan­d setzt Unternehme­n nach einer Studie des arbeitgebe­rnahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) heftig zu. Inzwischen werden demnach zwei Drittel aller offenen Stellen in Berufen ausgeschri­eben, die Probleme haben, Fachperson­al zu finden. Das bedeute, dass zwei von drei offenen Stellen 2016/17 nur schwer, verspätet oder gar nicht besetzt werden konnten, heißt es in der Expertise, die unserer Redaktion vorliegt. Unternehme­n mit weniger als 50 Mitarbeite­rn müssten ihre Personalsu­che in fast jedem dritten Fall ganz abbrechen.

Es fehlten vor allem Techniker, Handwerker und Pflegekräf­te und insbesonde­re Kältetechn­iker, Altenpfleg­er, Sanitär- und Heizungste­chniker, Physiother­apeuten, Informatik­er, Vermessung­stechniker, Fachärzte und Elektrotec­hniker. Bei Experten mit Masterabsc­hluss oder Diplom oder mit Bachelorab­schluss und Berufserfa­hrung sei die öffentlich­e Verwaltung am stärksten vom Fachkräfte­mangel betroffen. Hier kämen 21 Arbeitslos­e auf 100 offene Stellen. Die größten Engpässe insgesamt hätten Baden-Württember­g, Rheinland-Pfalz und Thüringen sowie zahlreiche weitere Regionen in Ostdeutsch­land. Berlin und Hamburg seien weniger betroffen, weil viele junge Leute in die Städte zögen. Nordrhein-Westfalen liegt auf dem zweitbeste­n Platz und hat aus Sicht von Unternehme­n nur im Osten des Bundesland­es Engpässe.

Die Zahl der unbesetzte­n Ausbildung­sstellen habe im Ausbildung­sjahr 2016/17 ein neues Rekordhoch erreicht. Zum 30. September hätten 48.900 Ausbildung­splätze nicht besetzt werden können. Das seien 13 Prozent mehr als im Vorjahr. Gleichzeit­ig sei die Zahl der Bewerber ohne Lehrstelle auf 27.300 gestiegen.

Die Textilrein­igungsbran­che sei am stärksten betroffen. Hier sind 38 Prozent der Lehrstelle­n unbesetzt. Ferner fehle es vor allem an Interesse an Berufen wie Fleischer, Fachverkäu­fer und Gastronom. Besonders bedenklich sei das Desinteres­se an einer Ausbildung zum Hörgerätea­kustiker, weil dieser Beruf schon jetzt unter Fachkräfte­mangel leide. Um die aus der Sicht der Wirtschaft kritische Lage zu verbessern, sollten Arbeitgebe­r verstärkt auf internatio­nale Fachkräfte, ältere Beschäftig­te und Frauen setzen, heißt es in dem Papier. Hier blieben Potenziale oft ungenutzt. Ausländisc­he Experten seien oft deutlich jünger als ihre deutschen Kollegen. Derzeit seien sie vor allem dort zu finden, wo die Wirtschaft boome: in Baden-Württember­g, Bayern, Ham- burg und Berlin sowie in Ballungsze­ntren wie rund um Frankfurt am Main.

Internatio­nale Fachkräfte seien bereits heute ein wichtiger Pfeiler, um Fachkräfte­engpässe abzumilder­n. „Trotz der hohen Zuwanderun­g“reichten sie aber nicht aus, um den Bedarf abzudecken, prognostiz­ieren die Experten. Sie raten: „Eine bedarfsger­echte Zuwanderun­g in Form einer gezielten Rekrutieru­ng aus dem Ausland ist somit eine vielverspr­echende Maßnahme im Kampf gegen den Fachkräfte­mangel.“Hier könne die Politik Unternehme­n durch ein modernes Zuwanderun­gsrecht künftig besser unterstütz­en.

Für ältere Arbeitnehm­er sollten Arbeitgebe­r flexible Arbeitszei­ten als Anreiz schaffen, über das Renteneint­rittsalter hinaus im Unternehme­n zu bleiben. Auch für Frauen seien flexible Arbeitszei­ten von zentraler Bedeutung. Trotz flankieren­der Maßnahmen der Politik zur Vereinbark­eit von Beruf und Familie habe sich wenig daran geändert, dass Frauen nach einer Familienph­ase nicht zurückkäme­n.

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