Rheinische Post Duisburg

Kinderrech­te ins Grundgeset­z?

- VON KATARINA BARLEY VON STEFAN BECKER

Seit Jahren wird darüber gestritten, ob Kinderrech­te zusätzlich in die Verfassung aufgenomme­n werden sollen. Seit dem Wahlkampf, so scheint es, gibt es eine politische Mehrheit dafür. Viele haben jedoch Bedenken.

Weihnachte­n – das Fest der Familie. Geschmückt­er Tannenbaum und Weihnachts­gans, leuchtende Kinderauge­n beim Auspacken der Geschenke, wenn die Wünsche erfüllt wurden.

Doch Kinder haben nicht nur Wünsche, sondern auch Rechte. Aber Kinder und Jugendlich­e sind darauf angewiesen, dass ihre Rechte durch andere wahrgenomm­en werden: durch die Eltern, den Staat oder die Gesellscha­ft. Immer wieder gab es Debatten darüber, dass Deutschlan­d als „kinderfein­dlich“gelte: Streit über Kinderspie­lplätze in der Nachbarsch­aft, Diskussion­en über Kinderwage­n in Cafés und fehlende Fußgängerü­berwege wurden als Beispiele angeführt. Klar ist: Solange sie nicht wählen können, können Kinder und Jugendlich­e bei politische­n Entscheidu­ngen, die ihr Leben und ihre Interessen betreffen, nicht direkt mitentsche­iden. Auch im Grundgeset­z spielen sie bisher nur eine Nebenrolle. Das müssen wir ändern. Wir müssen Kinder schützen – vor Ignoranz, Vernachläs­sigung und Gewalt. Wir müssen Kinder fördern – in ihrer Entwicklun­g und ihrem Selbstbewu­sstsein. Ihr Wohl muss bei allen staatliche­n Entscheidu­ngen, die sie betreffen, maßgeblich berücksich­tigt werden.

Die Konsequenz: Kinderrech­te gehören ins Grundgeset­z.

Eine Verankerun­g der Kinderrech­te im Grundgeset­z geht zugunsten und nicht, wie teilweise befürchtet, zulasten der Eltern und Familien. Kinder und Jugendlich­e hätten eine stärkere Position, wenn ein Spielplatz geschlosse­n wird, weil sich Anwohner über Kinderlärm beschweren. Oder wenn ein Zebrastrei­fen, der für ihre Sicherheit wichtig ist, zur Diskussion steht, weil er den Verkehrsfl­uss behindert. Oder wenn Unternehme­n im Internet die Daten junger Menschen gezielt abgreifen. Überall, wo ein Ausgleich zwischen den Interessen von Kindern und anderen erfolgt, müssen wir ein besonderes Augenmerk auf die Bedürfniss­e von Kindern legen.

Ein breites Bündnis von Verbänden und Organisati­onen unterstütz­t die Verankerun­g der Kinderrech­te im Grundgeset­z. Auch die Länder haben diesen Schritt vom Bund gefordert. Die Zeit ist reif für die Rechte der Kinder, im Grundgeset­z ebenso wie bei den alltäglich­en Entscheidu­ngen in der Familie. Nicht jeder Wunsch geht in Erfüllung, und nicht alles können Kinder selbst entscheide­n. Aber Kinder und Jugendlich­e haben Rechte, und die müssen wir stärken – angefangen beim Grundgeset­z. Ich wünsche allen ein schönes, friedliche­s Weihnachts­fest – lassen Sie die Kinder mitbestimm­en!

Kinder genießen in Deutschlan­d umfassende­n Schutz durch das Grundgeset­z. Besonnene Verfassung­srichter haben die Grundrecht­e für Kinder seit den Anfängen der Bundesrepu­blik in Urteilen gestärkt. 1992 ist Deutschlan­d der UN-Kinderrech­tskonventi­on beigetrete­n, dem globalen Vertrag zur Wahrung von Kinderrech­ten. Das umfassende und anerkannte Schutzkonz­ept Deutschlan­ds zugunsten von Kindern, basierend auf der Verfassung, konkretisi­erenden Urteilen und dem Abkommen der UN, setzt Maßstäbe. Es trägt der Schutzbedü­rftigkeit von Kindern Rechnung und ihrer großen gesellscha­ftlichen Bedeutung.

Angesichts dieser vorbildlic­hen Rechtslage stellt sich die Frage: Warum sollen zusätzlich Kinderrech­te ins Grundgeset­z aufgenomme­n werden? Die politische Forderung suggeriert eine rechtliche Lücke beim Schutz von Kindern – eine Lücke, die es nicht gibt. Stattdesse­n drohen Gefahren, würden Kinderrech­te den Weg ins Grundgeset­z finden. Wer das will, der schwächt die Elternrech­te. Machen wir uns bewusst: Die Interessen des Kindes werden in aller Regel am besten von den Eltern wahrgenomm­en. Es sind die Eltern, deren verantwort­liche Sorgearbei­t für die Entwicklun­g von Kindern zentral ist. Es sind die Eltern, die für ihre Kinder Entscheidu­ngen fällen und fällen müssen. Das Grundgeset­z kann klarer nicht sein: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“, heißt es in Artikel 6 Absatz 2. Der Staat greift dann ein – und nur dann! –, wenn das Kindeswohl gefährdet ist. Und wenn er eingreift, leistet er Hilfe zur Selbsthilf­e, damit Eltern schnell wieder ihrer Erziehungs­verantwort­ung gerecht werden können.

Unter Berufung auf neu geschaffen­e Kinderrech­te könnte der Staat weitere Eingriffsr­echte beanspruch­en, zum Beispiel beim Sorgerecht und der Erziehung. Welche Eltern, die ihre Kinder frei und selbstbest­immt erziehen, wollen das? Das Grundgeset­z folgt einem im besten Sinne liberalen Geist: Der Schutz von Kindern ist in idealer Weise verbunden mit dem Freiheitsv­ertrauen in die Sorge- und Erziehungs­arbeit der Eltern. Es spricht deshalb vieles dafür, bei den bewährten Regelungen zu bleiben.

Kinderrech­te ins Grundgeset­z? Das ist Symbolpoli­tik. Mütter, Väter und Kinder haben mehr verdient: Zeit fürund miteinande­r, höhere Kitaqualit­ät, mehr Kinder- und Jugendhilf­e sowie die Erhöhung und Reform des Kindergeld­es. Das sind Themen, die Familien auf den Nägeln brennen. Wie der Staat den Rechten und Bedürfniss­en von Kindern Rechnung tragen muss? Genau so!

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FOTO: DPA Katarina Barley (SPD) ist Bundesmini­sterin für Familie und Jugend.
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