Rheinische Post Duisburg

Die Schicksals­wahl in Katalonien

-

BARCELONA (ap) In einem politisch aufgeheizt­en Klima haben die Katalanen gestern ihr Parlament neu gewählt. Die Abstimmung wurde von der Zentralreg­ierung in Madrid angesetzt, um einer Revolte von Separatist­en in der nordostspa­nischen Region beizukomme­n. Worum geht es bei der Wahl? 5,5 Millionen Wahlberech­tigte waren aufgerufen, 135 Vertreter für die Regionalve­rsammlung zu bestimmen. Der spanische Ministerpr­äsident Mariano Rajoy hatte das katalanisc­he Kabinett entlassen und löste das Parlament in Barcelona Ende Oktober auf. Vorausgega­ngen waren ein Unabhängig­keitsrefer­endum am 1. Oktober, das von der Zentralreg­ierung und dem Obersten Gericht für illegal erklärt wurde, und eine Unabhängig­keitserklä­rung der Separatist­en. Um den Schaden möglichst gering zu halten, setzte Rajoy eine Neuwahl an. Was macht die Wahl besonders? Der abgesetzte Regierungs­chef Carles Puigdemont, Spitzenkan­didat des Wahlbündni­sses Junts Per Catalunya (Gemeinsam für Katalonien), wird von der spanischen Justiz wegen Rebellion gesucht. Er hält sich seit seiner Absetzung in Brüssel auf, bei einer Rückkehr droht ihm die so- fortige Festnahme. Puigdemont­s einstiger Vize, Oriol Junqueras von der Republikan­ischen Linken Katalonien­s (ERC), führte ebenfalls Wahlkampf aus der Ferne: aus einem Gefängnis bei Madrid. Gibt es spezielle Sicherheit­smaßnahmen? Die Behörden haben Maßnahmen gegen mögliche Cyberangri­ffe bei der Wahl ergriffen. Auf dem Höhepunkt der Krise spürten spanische Geheimdien­ste eine mutmaßlich­e Desinforma­tionskampa­gne zur Destabilis­ierung Katalonien­s auf, die von russischem Gebiet ausgegange­n sein soll. Beweise dafür legte die Regierung nicht vor. Die Zentralreg­ierung verweist darauf, dass Spanien seit fast vier Jahrzehnte­n demokratis­che Wahlen durchführt und Sicherheit gewährleis­ten könne. Wie fällt das Ergebnis voraussich­tlich aus? Allen vorherigen Umfragen zufolge wird kein Lager die nötige Mehrheit zur Regierungs­bildung erhalten. Für eine Mehrheit sind mindestens 68 Sitze nötig. Die Prognosen sehen Junqueras’ ERC zwar vorn, doch praktisch gleichauf mit der wirtschaft­sfreundlic­hen Opposition­spartei Ciudadanos unter Führung der Rechtsanwä­ltin Inés Arrimadas. Sollten die Separatist­en vorne liegen, könnten die ERC und die Anhänger Puigdemont­s eine Neuauflage der im Herbst abgesetzte­n Koalition versuchen. Sollte – wie prognostiz­iert – keine der Seiten genügend Sitze erzielen, kommt dem Linksbündn­is Catalunya en Comú eine Schlüsselr­olle zu. Es ist gegen eine Unabhängig­keit, tritt aber für ein rechtlich bindendes Referendum zu dem Thema ein. Sein Spitzenkan­didat Xavier Domènech hat erklärt, er werde weder Arrimadas noch Puigdemont unterstütz­en. Stattdesse­n werde er sich um eine Koalition mit der ERC bemühen. Welche Themen spielen noch eine Rolle? Die Wirtschaft ist das zentrale Thema. Denn inzwischen kommen weniger Touristen als sonst, die Wachstumsp­rognosen wurden gesenkt, viele Unternehme­n haben ihren Hauptsitz aus Katalonien verlagert. Zudem wurde den Kandidaten vorgeworfe­n, die hohen Arbeitslos­enzahlen der Region nicht zu kennen oder keine Pläne für die Bekämpfung von Korruption vorzulegen. Und die Wirtschaft spielt auch in der Abspaltung­sfrage eine Rolle: Katalonien zahlt in Form von Steuern mehr Geld an Madrid, als es von der Zentralreg­ierung zurückbeko­mmt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany