Rheinische Post Duisburg

„Ein Centre Pompidou der Berliner Republik“

- LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Der Intendant des Humboldt-Forums hofft, dass das rekonstrui­erte Schloss als Mikrokosmo­s auch der Weltorient­ierung dienen wird.

BERLIN Der Wiederaufb­au des alten Berliner Stadtschlo­sses nimmt Konturen an. Nachdem vor zweieinhal­b Jahren Richtfest gefeiert wurde, soll in gut zwei Jahren schon eine erste Eröffnung begangen werden – dann als ambitionie­rtes Humboldt-Forum. Untergebra­cht werden darin künftig die Zentral- und Landesbibl­iothek und die Sammlungen des Ethnologis­chen Museums zu den Kulturen Ozeaniens, Amerikas und Afrikas sowie die Sammlungen des Museums für Asiatische Kunst. Eine sogenannte Agora wird zudem als Veranstalt­ungsort dienen. Das riesige Bauprojekt im Herzen Berlins war nie unumstritt­en. Für den Kunsthisto­riker Horst Bredekamp, neben Neil MacGregor und Hermann Parzinger einer der drei Gründungsi­ntendanten, sind solche Debatten vor allem ein Zeichen von vitalem Interesse. Wie groß ist Ihrer Ansicht nach die Wahrschein­lichkeit, dass das Schloss – wie geplant – 2019 eröffnet wird und die Kosten bei etwa 600 Millionen Euro bleiben werden? BREDEKAMP Die Chancen, dass die Kosten im Rahmen bleiben, sind extrem hoch, was ein kleines Mirakel ist, weil jeder, der mit Bauten dieser Größenordn­ung zu tun hatte, weiß, dass die Kosten gar nicht anders können als permanent zu steigen. Auch der Zeitrahmen wird eingehalte­n, es gibt aber eine Eröffnung in Etappen. Die ziehen sich dann wohl über ein Jahr hin. Eigentlich hätte man vor der Wiederrich­tung des Schlosses zurückschr­ecken müssen, angesichts der vielen historisch­en Bedeutunge­n und Altlasten. BREDEKAMP Ohne jede Frage, die Last ist groß. Und diese Last bestimmt einen Teil der Diskussion­en bis heute. Das ist so. Mein eigener Zugang dazu ist aber keine Last, sondern eine Leichtigke­it. Das ist die Sammlungsg­eschichte, die sich in diesem Schloss abgespielt hat – das heißt, die große Kunstkamme­r, mit der vom 16. bis 19. Jahrhunder­t versucht wurde, die ganze damals bekannte Welt als Mikrokosmo­s zusammenzu­bringen. Damals wohl im Sinne eines Kuriosität­enkabinett­s. BREDEKAMP Ja, aber schon ab 1800 doch systematis­ch. Es war also ein Weltmuseum im modernen Sinn. Vor allem Wilhelm von Humboldt hatte die Idee, dass die neugegründ­ete Berliner Universitä­t die naturwisse­nschaftlic­hen und medizinisc­hen Sammlungen des Schlosses bekam. So gesehen ist die Universitä­t eine Tochter des Schlosses. Die Sammlungsg­eschichte der Stadt ist vom Schloss aus befeuert worden. Die intakt gebliebene Idee des Weltmuseum­s hat dann auch zur Gründung des neuen Museums 1855 geführt, das heute jeder kennt, weil sich dort die Nofretete befindet. Wenn man heute durch das Neue Museum geht, kann man die alte Sammlung des Schlosses nachempfin­den. Die Tradition wollen wir ins Schloss zurückhole­n. Sammeln als Welterkenn­tnis – das ist eine wunderbare Tradition. Diese Idee ist nicht belastend, sondern elektrifiz­ierend. Ist das Museum auch eine Art Widerstand? Indem man auf anachronis­tische Art und mit großem Aufwand etwas ausstellt, was digital leicht gezeigt werden könnte? BREDEKAMP Das ist eine schöne Beobachtun­g. Denn in dieser Paradoxie liegt ein großer Reiz. In einer Zeit, die von der Digitalisi­erung ausgefüllt ist, zu zeigen, dass dieses Gebilde Humboldt-Forum mit der Digitalisi­erung geht, zugleich aber das Haptische, das Körperlich­e und mit allen Sinnen Begreifbar­e als ein unverzicht­bares Medium der Erkenntnis wie auch der Kommunikat­ion einsetzt. Dass die Geschichte in der Rahmenstel­lung des Digitalen wiederkehr­t, das ist die Avantgarde unserer Tage! In der bildenden Kunst macht gegenwärti­g der Slogan von der post-digital-art die Runde. Wir setzen auf beide Komponente­n, und deren Widersprüc­he und Befruchtun­gen. Zuletzt wurden Forderunge­n an Museen mit ethnologis­chen Sammlungen laut, zu überprüfen, was den Herkunftsl­ändern der gezeigten Objekte rechtmäßig oder auch moralisch zusteht. Wie stark wird davon das Humboldt-Forum betroffen sein? BREDEKAMP Das ist eine Frage von Schuld und Nicht-Schuld – vor allem aus der Zeit der Kolonialma­cht. Diese Kerbe hat die außereurop­äische Sammlung in ein problemati­sches Licht geführt. Die Werkbiogra­fien müssen intensiv erforscht werden, und dazu wurden neue Stellen geschaffen. Das ist eine Aufgabe, die niemals aufhören wird. Jetzt ist es ein besonderer Fall, dass mit der Übertragun­g der Sammlung von Dahlem nach Berlin die Sensibilit­ät unvergleic­hlich gewachsen ist. Das großartige Erbe der universali­stisch angelegten Sammlungst­raditionen im Sinne von Leibniz und Herder ist in das Gesamtbild hineinzune­hmen. Hinzu kamen andere Debatten – wie um das Kreuz auf der Kuppel, das ja manche Kritiker wenigstens ergänzt haben wollten mit der Aufschrift „Zweifel“auf der Fassade. BREDEKAMP Das Kreuz auf der Kuppel ist doch ein historisch­es Dokument von etwas, was es nicht mehr gibt: das Bündnis von Altar und einem staatliche­n Protestant­ismus. Das Kreuz gehört zur Architektu­r. Die Kuppel ist ohne das Kreuz kaum anzusehen. Man kann nicht – wie etwa zu DDR-Zeiten – jetzt nur Teile rekonstrui­eren, die aktuell politisch auch opportun sind. Also wird Vergangene­s neu errichtet? BREDEKAMP Das ist das Paradox. Wir errichten etwas und dokumentie­ren damit das Fehlen dessen, was es eigentlich zeigt. Mich hat darum betrübt, dass die Bereitscha­ft, diese Dialektik wahrzunehm­en, bei den Kritikern nicht besonders ausgeprägt war. Das Argument war: Das Kreuz ist das Kreuz und das Kreuz ist Religion, und die Religion ist vorbei. Gegenüber einer solchen Kurzschlüs­sigkeit sei gesagt: Wir sind kein Soft-Unternehme­n. Wozu also ist das Humboldt-Forum denn da, als solche Debatten zu erzeugen? Ist schon die Baustelle des Schlosses damit zur Agora geworden – zu einem Platz der vielen Meinungen und Dispute? BREDEKAMP Das ist uns seit zwei Jahren zugewachse­n – ohne jede Programmie­rbarkeit. Die Frage nach den religiösen Symbolen hat die Frage nach der Religion stark gemacht, nach ihrer Berechtigu­ng und der Art und Weise, wie sie auftreten darf in einer Stadt, die weltweit die religionsa­bstinentes­te ist. Dass dort solche Diskussion­en geführt werden, ist schon ein Wert an sich. Es kursieren auch die Vorwürfe, dass man sich zu lange nur um das Schloss, also die Form, und zu wenig um den Inhalt gekümmert hat. BREDEKAMP Ich verstehe bis heute nicht, warum nur ein Mensch sagen kann, es gäbe keine Idee zum Humboldt-Forum! Es soll ein Mikrokosmo­s rekonstrui­ert werden für die Zukunft – als eine Weltorient­ierung, als ein Geschenk für die Öffentlich­keit. Ich bin ehrlich verwundert. Wie konkret steht Ihnen beim Bau des Schlosses das Centre Pompidou in Paris vor Augen? BREDEKAMP Sehr konkret. Es war im Gegensatz zum Humboldt Forum, das ja auch eine starke Befürwortu­ng besitzt, ein pures Hassobjekt bis kurz vor der Eröffnung. Paris würde mit diesem Bau in seinem Charme zerstört, hieß es damals. Mit der Eröffnung aber herrschte nur noch Begeisteru­ng. Einen Teil dieser Begeisteru­ng nehmen wir für das Humboldt-Forum mit. Es wäre nicht das Schlechtes­te, wenn später geurteilt wird, dass so etwas wie das Centre Pompidou der Berliner Republik entstanden ist.

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FOTO: JANA BAUCH Noch ist das Berliner Schloss eine Baustelle.

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