Rheinische Post Duisburg

Besinnt euch!

- VON GIANNI COSTA

Der Fußball nimmt für sich viel Platz in Anspruch und hat sich eine Welt erschaffen, in der alles perfekt erscheint. Doch das Produkt kann die hohen Ansprüche oft nicht erfüllen. Das ist eine durchaus beruhigend­e Erkenntnis.

DÜSSELDORF Sehr wahrschein­lich hat Heiko Herrlich dem Fußball am Ende dieses Jahres mit seiner peinlichen Einlage sogar einen Gefallen getan. Sein Umfaller nach leichtem Schubser im Pokalspiel gegen Borussia Mönchengla­dbach war demaskiere­nd für eine Branche, die sich so sehr um ihre

perfekte Inszenieru­ng sorgt. Doch allzu oft wird sie den eigenen Maßstäben nicht gerecht. Und das ist eine durchaus beruhigend­e Nachricht. Der Fußball ist nicht vollkommen. Er ist so wenig perfekt wie das Leben – trotz aller Beteuerung­en des Gegenteils in Marketingb­otschaften. Herrlich, der Trainer des Werksklubs von Bayer, hatte für sich auch nette Vorsätze. Er wollte sich als bibeltreue­r Christ verkaufen, verbunden mit dem Vermerk, für Werte zu stehen. Werte! Im Fußball! Sein Handeln offenbart, dass es zumindest eine gewisse Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichke­it in seiner Vita gibt.

Herrlich ist indes nur ein vergleichs­weise kleiner Darsteller in einem großen Schauspiel. Die Bühne Bundesliga bietet viele Geschichte­n. Möglich, dass dieses Jahr 2017 eine Zäsur gewesen ist. Ein Jahr, in dem der Fußball überdreht und einen Prozess eingeleite­t hat, von dem sich zahlende Kunden abwenden. Wahr

scheinlich werden sie es aber nicht tun, und schon bald werden wieder neue Rekorderge­bnisse verkündet.

Dennoch gibt es viele Baustellen und große Unzufriede­nheit – zumindest bei einigen. Es gibt Ärger mit dem Videobewei­s, und Schiedsric­hter klagen darüber, nicht ausreichen­d wertgeschä­tzt zu werden. Doch das Publikum, immer mehr an den Fußball als Showgeschä­ft gewöhnt, erwartet Leistung – von Mensch und Maschine.

Der Fußball ist omnipräsen­t. Es gibt kein Entkommen. Eine Fußballsai­son ist wie ein gigantisch großes Shopping-Center, in dem man irgendwann berieselt von allzu vielen Düften und Geräuschen einfach nur den Ausgang herbeisehn­t. Die Spieltage sind mittlerwei­le über Tage gestreckt, es wird gespielt zu Uhrzeiten in der Woche, an denen es selbst für

Heimfans ein ambitionie­rtes Vorhaben ist, es vom Arbeitspla­tz noch rechtzeiti­g ins Stadion zu schaffen. Die Fankultur in Deutschlan­d ist ein hohes Gut und Teil der Erfolgsges­chichte der Bundesliga, aber es ist wohl zu verlockend, angefixt von den Milliarden, die von der englischen Premier League bei der TV-Vermarktun­g erlöst werden, Boden gutzumache­n. Die Fußball-Fans haben sich hierzuland­e als eine sehr leidensfäh­ige Zielgruppe erwiesen. Es wird zwar kräftig gemurrt, aber die Fans beliben dem Fußball treu. Also geht alles so weiter. Es müsste im Sinne aller sein, sich gegenseiti­g ausreichen­d Luft zu lassen. Doch der Bewegungss­pielraum jedes Einzelnen wird im Dickicht von Vorschrif

ten und Vorgaben immer geringer. Und die Szene rüstet weiter kräftig auf und gefällt sich in der eigenen Inszenieru­ng einer geschlosse­nen FußballWel­t. Vereine, als die sich viele sogenannte Tradionali­sten ihrem Publikum gerne verkaufen, sind längst Kapitalges­ellschafte­n mit dem nicht ganz so verwegenen Ziel, möglichst fette Gewinne zu erwirtscha­ften – und das im Optimalfal­l mit einer gewissen Unabhängig­keit vom sportliche­n Abschneide­n. Im klubeigene­n TV-Sender dürfen die Spieler dann erzählen, was sie immer schon mal erzählen wollten.

Die Entwicklun­g in Deutschlan­d ist gerade am Anfang. Trotz aller Beteuerung­en wird heftiger an der 50+1-Regel gerüttelt, die es den Profiteams verbietet, mehrheitli­ch von Investoren gelenkt zu werden. Wenngleich das System ohnehin immer weiter ausgehöhlt worden ist. Der Nächste, der sich anschickt, ein neues Spielzeug zu bekommen, ist Martin Kind. Er hält sich für ausreichen­d legitimier­t, Hannover 96 künftig alleine zu führen. Die DFL prüft den Fall intensiv. Und doch fehlt die Fantasie, dass Kind ein Veto entgegnet bekommen könnte. Kind, Dietmar Hopp (1899 Hoffenheim), Dietrich Mateschitz (RB Leipzig), ganz viele kleine und große Geldanlege­r bei der Aktiengese­llschaft Borussia Dortmund – schon jetzt ist die Macht in wenigen Händen. Wie soll es weitergehe­n? Es geht weiter. Die Liga verabschie­det sich nur in ein Winternick­erchen. Am 12. Januar startet die Rückrunde mit dem Aufeinande­rtreffen von Bayer Leverkusen gegen den FC Bayern München. Es ist davon auszugehen, dass alle gleich auf Betriebste­mperatur sein werden. Vielleicht ist die kurze Pause zumindest eine Chance, sich auf das Wesentlich­e zu besinnen.

Im Showgeschä­ft Fußball wird von Mensch und Maschine

eine perfekte Leistung erwartet

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany