Rheinische Post Duisburg

„Ich vertraue Wladimir Putin“

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Was ist Ihr innerer Kompass? SCHRÖDER Fairness. Fairness gegenüber Menschen, mit denen ich arbeite, aber auch Fairness gegenüber dem politische­n Gegner. Fairness war immer meine Richtschnu­r. Das haben Sie nicht immer durchgehal­ten. SCHRÖDER Nein, manchmal schafft man das in der Politik nicht, aber wenn ich jemanden verletzt habe, habe ich das nie absichtlic­h getan. Ich weiß ja, wie es ist, ausgegrenz­t zu werden. Weil Sie als kleiner Junge aus armen Verhältnis­sen kamen? SCHRÖDER Wir haben erfahren, dass man mit Schmuddelk­indern nicht spielt, ja. Verstehen Sie mich aber nicht falsch: Ich hatte eine glückliche Kindheit. Meine Mutter hat uns liebevoll, aufopferun­gsvoll erzogen. Wir sind nie geschlagen worden. Wir hatten unsere Freiheiten. Wir mussten uns um uns selbst kümmern, wir durften das aber auch. Sie hatten keinen Vater. SCHRÖDER Nein. Ich habe ihn nicht gekannt, deswegen konnte ich ihn auch nicht vermissen. Den Respekt von anderen haben wir uns übrigens auf dem Fußballpla­tz geholt. Da war ich gut. Sie rüttelten am Zaun der Herkunft und später am Zaun der Macht. Hat das eine mit dem anderen zu tun? SCHRÖDER Ja, wahrschein­lich. Der Drang, es besser zu haben, nach vorne zu kommen, ist bei mir tief verankert. Ich wollte raus aus den beengten Verhältnis­sen. Was einen später antreibt, wenn man nach oben kommt, sind dann auch Verlustäng­ste. Das erklärt Ihren Auftritt 2005 im Fernsehen, als Sie die Bundestags­wahl verloren hatten. SCHRÖDER Ach nein, ich wusste schon, dass ich nicht Bundeskanz­ler bleiben würde. Das war eine kleine Provokatio­n. Sie wollten den Rabauken geben? SCHRÖDER Na ja, wir hatten als SPD im Wahlkampf grandios aufgeholt. Aber da saßen mir in der Berliner Runde diese beiden Journalist­en so selbstherr­lich gegenüber, das hat mich geärgert. Trotzdem: Fairness war mir immer wichtig. Otto Schily hat neulich in einer TV-Dokumentat­ion von der ersten Kabinettss­itzung 1998 berichtet. Da haben alle eine bedeutungs­schwere Rede von mir erwartet, aber ich habe nur gesagt: Behandelt eure Fahrer und eure persönlich­en Referenten gut. Ich habe oft bei Terminen den Wagen 50 Meter vorher anhalten lassen und bin zu Fuß zur Veranstalt­ung gegangen. Mein Motto war: Wir fahren nicht vor, wir kommen an. Dazu passten Ihre Brioni- und Zigarren-Auftritte aber nicht. SCHRÖDER Ja, das stimmt. Wie gesagt, die Lust an der Provokatio­n konnte ich nie ganz unterdrück­en. Und Brioni macht doch tolle Anzüge. Einen habe ich sogar noch. Mit dem Rauchen habe ich aber aufgehört. Wie? Keine Zigarre beim Skat mit Otto Schily und Jürgen Großmann? SCHRÖDER Nein, und ich weiß gar nicht, wann und warum ich aufgehört habe. Es ist einfach passiert. Zurück zur Politik. Max Weber hat drei Kriterien für den idealen Politiker definiert: Leidenscha­ft, Augenmaß, Verantwort­ungsbewuss­tsein. Was davon haben Sie am wenigsten? SCHRÖDER (lacht) Ich ahne, worauf Sie hinauswoll­en. Wahrschein­lich Augenmaß. Manchmal bin über das Ziel hinausgesc­hossen. Ist Instinkt stärker als die Vernunft? SCHRÖDER Das muss kein Gegensatz sein. Wissen Sie, Politik ist Kommunikat­ion. Die Menschen müssen spüren, dass Sie es wollen. Leidenscha­ft ist deshalb wichtiger als Augenmaß. Mein Nein zum Irak-Krieg oder das Eintreten für die Agenda 2010 waren aus meiner Sicht inhaltlich geboten, vernünftig. Aber es war auch instinktiv richtig. Ich war davon überzeugt. Wie wichtig ist Ihnen Geld? SCHRÖDER Auch nicht wichtiger als anderen Menschen. Es schafft Unabhängig­keit. Sie hätten den Rosneft-Job also auch ehrenamtli­ch gemacht? SCHRÖDER Sicher. Das ist eine spannende Aufgabe. Wahre Politik kann keinen Schritt tun, ohne vorher der Moral gehuldigt zu haben, hat Immanuel Kant gesagt. Ist Ihr Engagement für einen russischen Ölkonzern, der von der EU sanktionie­rt wird und der ein autoritäre­s System unterstütz­t, nicht verwerflic­h? SCHRÖDER Ach, wissen Sie: Wenn ich im Aufsichtsr­at eines amerikanis­chen statt eines russischen Unternehme­ns sitzen würde, dann würden alle sagen: toll. Da steckt in der Kritik auch ein bisschen Heuchelei. Sie hätten Unicef-Botschafte­r oder „Zeit“-Herausgebe­r werden können. SCHRÖDER Ich will aber weder das eine noch das andere machen. Der Aufsichtsr­atsposten bei Rosneft ist eine große Herausford­erung, und die guten Beziehunge­n zu dem Unternehme­n und zu Russland sind zutiefst im Interesse Europas. Es geht um eine sichere Versorgung mit Rohstoffen, die wir für unsere Wirtschaft brauchen. Es geht nicht zuletzt um Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d. Rosneft wird mit EU-Sanktionen belegt und ist als halbstaatl­icher Konzern für Präsident Putin ein Machtinstr­ument. SCHRÖDER Ich bin ja gegen diese Sanktionen. Sie werden auch irgendwann aufgelöst. Sie sind aber als ehemaliger Bundeskanz­ler nicht privat unterwegs. SCHRÖDER Zum einen: Das ist mein Leben. Ich bin ich. Zum anderen: Ich denke, dass mein Engagement für das Gemeinwohl ausreichen­d belegt ist. Und auch diese Aufgabe, mag sie umstritten sein, wird am Ende den Interessen unseres Landes dienen. Herr Putin ist Ihr privater Freund? SCHRÖDER Ja, so ist das. Und das bleibt auch so. Ich vertraue Wladimir Putin. Wie weit darf Freundscha­ft gehen? In Russland verschwind­en Opposition­elle, die Liste der Menschenre­chtsverstö­ße ist lang. SCHRÖDER Freundscha­ft bedeutet ja, dass man dem Anderen auch seine Meinung sagt und ihn kritisiert. Aber das tut man nicht öffentlich, sondern unter vier Augen. Sie wissen vielleicht nicht alles über ihn? SCHRÖDER Das mag sein. Jeder hat Geheimniss­e. Das ist im Menschen so angelegt. Wenn Sie Putin mit Assad im Fernsehen scherzen sehen, dreht sich Ihnen da nicht der Magen um? SCHRÖDER In der internatio­nalen Politik müssen Sie auch mit Diktatoren reden. Wenn wir nur mit demokratis­ch einwandfre­ien Politikern verhandeln würden, wären wir ziemlich einsam. Was Syrien betrifft: Es geht um eine politische Lösung. Und auch der Westen hat verstanden, dass es diese nur mit Assad geben kann. Das Ziel bleibt, dass es nach einem Übergang ein geeintes Syrien ohne ihn geben muss. Es sind Menschen gestorben auf der Krim und in der Ost-Ukraine aufgrund geostrateg­ischer Gelüste. SCHRÖDER Ich bin mir nicht sicher, ob es auf der Krim und in der Ost-Ukraine nicht ohnehin zu gewalttäti­gen Auseinande­rsetzungen gekommen wäre. Das ist ein kulturell zerrissene­s Land. Die Menschen im Donbass fühlen sich Russland zugehörig. Innerer Frieden lässt sich dort doch nicht durch eine von Kiew dominierte Polizei ermögliche­n. Die von der ukrainisch­en Regierung versproche­ne Föderalisi­erung steht noch aus. Nicht nur Russland, sondern auch die Ukraine hat die Aufgaben noch nicht gemacht. Was hat die EU falsch gemacht? SCHRÖDER Die Assoziieru­ngsverhand­lungen der Kommission hätten mit der Ukraine und parallel mit Russland geführt werden sollen. Da wäre man sich vielleicht einig geworden. Wie würden Sie ihre Beziehung zur SPD beschreibe­n: unterkühlt, distanzier­t, man geht sich aus dem Weg? SCHRÖDER Nein. Herzlich! (lacht) Ach so. SCHRÖDER Im Ernst: Sie müssen mein Verhältnis zur SPD und zu einigen Funktionär­en unterschei­den. Ich habe gar kein Problem mit SPDMitglie­dern, ich bekomme viele Einladunge­n von Ortsverein­en. Es gibt eben ein paar Funktionär­e, die arbeiten sich gerne am früheren Kanzler ab, um selbst größer zu wirken. Sie wirken fast altersmild­e. Jetzt fehlt nur noch, dass Sie sich mit Oskar Lafontaine versöhnen. SCHRÖDER Das ist eine schwierige Sache. Ich habe damit selbst weniger Probleme. Aber meine Partei, an der ich sehr hänge, fände das nicht so gut. Hans-Jochen Vogel hat mal gesagt: Oskar Lafontaine hat den Parteivors­itz abgegeben wie einen alten Mantel, den man an die Garderobe hängt. Das macht man nicht. Das verzeihen ihm viele SPD-Mitglieder nicht. Wenn die SPD nicht irgendwann wieder mit der Linken zusammenge­ht, sind 35-Prozent-plus-x-Ergebnisse vielleicht nicht mehr zu erreichen. SCHRÖDER Nein, das glaube ich nicht. Schauen Sie mal, wer sich da in der Linken so tummelt, mit denen kann man nicht vernünftig zusammenar­beiten. Wie heißt der Vorsitzend­e noch?

Gerhard Schröder (73) ist mit sich im Reinen. Trotz scharfer Kritik. Ein Gespräch über Leitbilder und Linien.

Bernd Riexinger. SCHRÖDER Ja, genau. Mit denen ist kein Staat zu machen. Die aktuelle Generation der Linken-Politiker ist nicht bereit und in der Lage, mit uns zusammenzu­gehen. Also Juniorpart­ner für immer. SCHRÖDER Warum? Das muss nicht so sein. Nach Frau Merkel kommt auch in der CDU nichts mehr. Warten wir es ab, die Parteien entwickeln sich. Die Grünen-Führung auf Bundeseben­e ist derzeit eher konservati­v. Frau Göring-Eckardt und Herr Özdemir sind ja verhindert­e CDU-Mitglieder. Da ist wenig zu erwarten. Aber niemand weiß, was nach ihnen kommt. Die SPD will mit Macht demonstrie­ren, dass sie keine Macht will. SCHRÖDER Nach der Bundestags­wahl habe ich gedacht, dass man Jamaika machen lassen und die Opposition­srolle annehmen sollte. Dann ist Jamaika gescheiter­t … . . . was Sie nicht erwartet haben? SCHRÖDER Nein, ich wusste, dass die Grünen flexibel sind und unbedingt regieren wollen. Aber dass die FDP keine Regierungs­verantwort­ung wollte, hat mich überrascht. Dazu muss man sagen: Frau Merkel, die eine respektabl­e Persönlich­keit ist, hat diesen Prozess vor die Wand gefahren. Das war Politikver­sagen. Sie hatte keine Strategie. Herr Lindner hatte wenigstens eine Strategie. Er wollte nicht das Anhängsel für eine grün gewordene CDU und konservati­v gewordene Grüne sein. Das kann ich aus seiner Sicht verstehen. Wir waren bei der SPD. SCHRÖDER Die SPD hat nach dem Aus für Jamaika den Fehler gemacht, mit einem Beschluss die große Koalition immer noch auszuschli­eßen. Sie hätte sagen können, welche inhaltlich­en Vorstellun­gen sie für eine Regierungs­bildung hat. Dann muss man reden. Diese Position müssen sie jetzt einnehmen, weil der Bundespräs­ident die SPD ermahnt hat. Das wirkt natürlich unentschlo­ssen. Die SPD will die Mitglieder befragen. SCHRÖDER Ich finde eine Mitglieder­befragung generell gut bei zentralen Entscheidu­ngen. Ich bin sicher, dass die Mitglieder sich mit deutlicher Mehrheit für eine große Koalition entscheide­n würden. Wäre eine Mitglieder­befragung auch für den Kanzlerkan­didaten 2021 gut? SCHRÖDER Warum nicht? Aber das steht ja nicht an. Die SPD muss jetzt zeigen, dass sie eine Strategie hat. Und die Alternativ­en zu einer großen Koalition sind schlechter. Wir können nicht einfach Neuwahlen anstreben und dem Volk sagen: Sorry, ihr habt leider schlecht gewählt, versucht es noch mal. Thematisie­rt die SPD zu viel Gerechtigk­eit, zu wenig Fortschrit­t? SCHRÖDER Die SPD muss die Heimat derer sein, die aufsteigen wollen. Und sie muss die Heimat derer werden, die sagen: Alles, was wir verteilen, muss zuvor erarbeitet werden. Das nennt man ökonomisch­e Kompetenz. Dann schafft die Partei auch wieder ein Ergebnis von mehr als 30 Prozent. Da bin ich mir sicher. Wie feiern Sie Weihnachte­n? SCHRÖDER Hier in Hannover. Am zweiten Weihnachts­tag kommen meine Kinder. Und dann bekoche ich sie. Was gibt es? SCHRÖDER Bratkartof­feln mit Spiegelei. Und einen guten Rotwein für Sie? SCHRÖDER Das passt nicht dazu. Mit Ihrer neuen Freundin? SCHRÖDER Kein Kommentar. Aber gehen Sie davon aus, dass ich ein schönes Weihnachts­fest haben werde.

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FOTOS: STEFAN FINGER Gerhard Schröder mit Michael Bröcker in seinem privaten Büro in Hannover. Hinten eine kleine Statue von Willy Brandt.

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