Rheinische Post Duisburg

Die römische Krippe der Müllmänner

- VON WOLFRAM GOERTZ

Unweit des Vatikans befindet sich die römische Müllabfuhr. In einem Seitenraum des Gebäudes bastelt Giuseppe Ianni

seit 45 Jahren an einer der schönsten Krippen des Abendlande­s. Kein Papst, der nicht von ihr entzückt war.

Dass alle Wege nach Rom führen, hat sich in zwei Jahrtausen­den als kolossale Erleichter­ung für die Logistik der christlich­en Welt erwiesen. Doch auch in Rom selbst sind die Wege nie unergründl­ich und weit. Es gibt kaum eine andere Großstadt, deren Zentrum sich so schnell zu Fuß durchquere­n lässt. Man geht keine paar Minuten, da ist man von der Piazza Venezia bereits an der Navona, und von dort ist es zum Petersdom nur ein Klacks.

Es zählt zur Lässigkeit Roms, dass sie touristisc­he Flüchtigke­it nie bestraft. Es soll emsige Rom-Pilger geben, die Jahr um Jahr an Sant’Andrea della Valle vorbeiwand­ern, obwohl sie ein imposantes Gotteshaus ist (in dem übrigens Giacomo Puccini den ersten Akt seiner Oper „Tosca“spielen lässt). Andere Kostbarkei­ten der ewigen Stadt liegen dagegen versteckt in Seitengass­en, nicht mal Einheimisc­he kennen sie, weswegen wir auf uns allein und auf den Stadtplan gestellt sind, um die vermutlich kostbarste, innigste, reichhalti­gste, heiterste und bezaubernd­ste Krippe der römischen Hauptstadt zu finden. An uns liegt es nicht, denn unser Begehren wird in gut geübtem Italienisc­h vorgetrage­n: „Il presepe dei netturbini“, die Krippe der Müllmänner, wollen wir sehen. Doch die Römer, die wir fragen, zucken nur mit den Achseln: Nie davon gehört!

Dabei liegt die Via della Cavallegge­ri im prominente­sten Bezirk: Den Petersplat­z kreuzt man gen Süden, schreitet durch die Kolonnaden und am Campo Santo Teutonico vorbei, überquert die Via di Porta Cavallegge­ri – und schon ist man da. Die Müllmänner in roter Dienstklei­dung wissen alle Bescheid, pro Tag kommen doch einige Leute, denn die Geschichte von Giuseppe Ianni, dem früheren Müllmann und Erbauer der Krippe, ist ja auch dermaßen unvorstell­bar und märchenhaf­t, dass man sich schon mit eigenen Augen davon überzeugen möchte, dass da ein einziger Mann vor 45 Jahren bis heute allein eine solche monumental­e und zugleich detailreic­he Krippe hat erschaffen können.

Und heute ist nun wirklich ein Glückstag, denn Rentner Giuseppe (mittlerwei­le 82 Jahre alt) ist höchstpers­önlich anwesend, um noch etwas frisches Stroh auszustreu­en, das er sich vermutlich von irgendeine­m Bauernhof nahe der Via Aurelia besorgt hat. Es ist ja sein privates Gesamtkuns­tfrömmigke­itswerk, eine Krippe mit zahllosen Häusern, Aquädukten, beschneite­n Bergen, Bäumen und Büschen, Menschen und Tieren im Miniaturfo­rmat, auch das elektrisch­e Licht hat Giuseppe persönlich verlegt. Und damit die Welt, für die diese Krippe bestimmt ist, auch in ihr vorkommt, hat Giuseppe zahllose Steine verbaut, aus New York, aus Resten der Berliner Mauer und natürlich aus Brocken des Petersdoms. Giuseppe ist ein Beschaffun­gskünstler, und weil er so fromm an Gott glaubt, hat man ihm sogar Mondgestei­n besorgt, damit der Glanz der Krippe wirklich urbi et orbi strahlt.

Diese Momente bei Giuseppe sind unbezahlba­r, und da er bei Journalist­en aus der Ferne auftaut, legt er für uns nicht nur den göttlichen Knaben in seine Krippe, er zeigt uns auch eine Galerie mit Bildern: lauter Päpste, die ihm die Hand schütteln. Paul VI. war schon zwei Jahre nach dem ersten Häuschen da, Johannes Paul II. ließ sich 23 Mal sehen, weil er in diese Krippe schier vernarrt war, und auch Benedikt XVI. schaute voller Freude in die Krippe, wo das Jesulein ihm entgegenst­rampelte. Man sieht in Iannis Gesicht den ehrlichen Stolz eines Handwerker­s, dem sein Gesellenst­ück zur Lebensaufg­abe geworden ist.

Die Stunde bei Giuseppe, der auf dem Du besteht, ist unbezahlba­r, auch weil man sich bei den netten römischen Müllmänner­n wieder richten und trocknen darf. An diesem vorweihnac­htlichen Besuchstag bei Giuseppe gibt der benachbart­e Petrus alles. Es schüttet sintflutar­tig, und da die römische Kanalisati­on seit dem 14. Jahrhunder­t vor jeder Art von Starkregen kapitulier­t, verwandeln sich alle Kopfsteinp­flaster bald in eine römische Seenplatte. Das hat indes den Vorteil, dass der Regen den Tiber wieder zur Wasserstra­ße gemacht hat, auf dem viele Kanus, Kajaks und Schlauchbo­ote unterwegs sind. Eine Fahrt auf diesem weltberühm­ten Fluss, grandiose Kulisse inklusive, können auch Touristen buchen.

Die Krippe der Müllmänner ist auch deshalb so einzigarti­g, weil sie gegen jede Form von Kitsch immun ist. Sie ist ein naives religiöses Idyll und eine Kathedrale des Glaubens. Da müssen sich die anderen Krippen Roms gewaltig anstrengen. Diejenige auf dem Petersplat­z ist selbstvers­tändlich ein überdimens­ionales Bethlehem, das von einer Sopranisti­n aus der Konserve mit „Stille Nacht“beschallt wird. Diskreter geht es anderswo zu, etwa in der Basilika Santa Maria in Aracoeli auf dem Kapitolshü­gel. Dort liegt vor dem 24. Dezember eine Bibel in der Krippe und bejaht sozusagen im Vorgriff die Verkündigu­ng des Johannes: Das Wort ist Fleisch geworden.

Ganz anders die winzige, köstlich puppenstub­enhafte neapolitan­ische Krippe im Fachgeschä­ft „Antichità“in der Salita de’ Crescenzi nahe dem Pantheon. Sie steht mit zwei anderen Zimmerchen auf einer Drehscheib­e. Wer in den Laden geht und nett fragt, für den wird der Motor angehalten, und man kann allerfeins­te Schnitzkun­st bestaunen.

Man könnte ein ganzes Buch über Roms Krippen schreiben, pompös ist keine von ihnen. Schon seit Jahrzehnte­n warten sie in den Kellern der Kirchen, dass sie pünktlich zum ersten Advent hervorgeho­lt werden. Nur die Krippe der Müllmänner, die kann nicht mehr abgebaut werden. In ihr ist das ganze Jahr über Weihnachts­zeit. Bislang hat noch kein Papst Einspruch erhoben.

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FOTOS: CHRISTIANE KELLER „Il presepe dei netturbini“, die Krippe der Müllmänner, bezaubert alle Besucher. Fürs Foto, das im Advent entstand, hat Giuseppe das Jesuskind hineingele­gt.
 ??  ?? Giuseppe Ianni, Erbauer der Krippe der Müllmänner. Rechts von ihm sieht man in die Krippe – hier noch ohne Jesuskind.
Giuseppe Ianni, Erbauer der Krippe der Müllmänner. Rechts von ihm sieht man in die Krippe – hier noch ohne Jesuskind.
 ??  ?? Am Tag nach dem Regen: Das Ufer des Tiber (hier an der Engelsburg) ist teilweise überspült, aber der Fluss selbst kann ja auch für die Fortbewegu­ng genutzt werden. Eindrucksv­oller kann man nicht Bötchen fahren.
Am Tag nach dem Regen: Das Ufer des Tiber (hier an der Engelsburg) ist teilweise überspült, aber der Fluss selbst kann ja auch für die Fortbewegu­ng genutzt werden. Eindrucksv­oller kann man nicht Bötchen fahren.

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