Rheinische Post Duisburg

Hilfe zu Lebzeiten: Wie Kinderhosp­ize Familien entlasten

- VON TERESA NAUBER

Das Wort Hospiz verbinden viele mit dem Tod. Kinderhosp­ize sind aber vor allem dazu gedacht, den Kindern das Leben so weit es geht zu erleichter­n – und zu verschöner­n.

Es sollten ein paar schöne Tage werden, an der Ostsee, mit Freunden. Mal raus, frische Luft, Zeit als Paar, das erste Mal seit Jahren. Doch Konstanze Laurien und ihr Mann Alexander mussten die Reise vorzeitig abbrechen. Der Pflegedien­st hatte angerufen: Es gebe da ein unvorherge­sehenes Problem. Ob es möglich wäre, dass sie früher nach Berlin zurückkomm­en? „Ich war so wütend“, erinnert sich Konstanze Laurien.

Das Ehepaar hat ein pflegebedü­rftiges Kind, es muss rund um die Uhr versorgt werden. Seit 21 Jahren übernehmen die Eltern diese Aufgabe. Sie tun das gern, sagt Laurien. „Leonid ist unser Kind, wir könnten ihn niemals weggeben.“Aber selbst der stärkste Mensch ist nicht unendlich belastbar: „Auch wir brauchen mal eine Auszeit.“Die bekommt das Paar erst, seit sie den Sonnenhof gefunden haben, das Kinderhosp­iz der Björn-SchulzStif­tung am Rande Berlins.

Hospiz – das klingt nach Tod. „Ein fatales Missverstä­ndnis“, sagt Heiner Melching, Geschäftsf­ührer der Deutschen Gesellscha­ft für Palliativm­edizin. Anders als Erwachsene­nhospize sind Kinderhosp­ize nur selten Sterbeort; sie sind Orte des Lebens. „Sie sind in erster Linie dazu da, die Familien von sehr kranken Kindern zu entlasten.“Kinder mit genetische­n Defekten, mit schweren Muskel- oder Krebserkra­n- kungen kann man in der Regel nicht so einfach in andere Hände geben, wenn die Eltern ein bisschen Zeit für sich brauchen.

Leonid sitzt im Sonnenhof in seinem Therapiest­uhl, das Kinn auf der Brust. Er schnarcht leise. Seine Füße reichen gerade bis zu den Fußstützen des Kindermode­lls. Er ist etwas mehr als einen Meter groß und wiegt achtzehn Kilogramm. „Würde man nicht denken, dass mein Sohn 21 ist, oder?“, fragt die Mutter zur Begrüßung.

Leonid wurde mit einer Trisomie 21 geboren, er hat das Down-Syndrom. Zu sehen war das in der Schwangers­chaft nicht. Erst nach der Geburt teilten die Ärzte den Eltern mit, dass ihr Kind behindert ist. Menschen mit Down-Syndrom haben heute eine deutlich höhere Lebenserwa­rtung als früher. Viele ihrer Einschränk­ungen lassen sich gut behandeln. Bei Leonid aber kam es anders.

Die Liste seiner Erkrankung­en ist lang: Weil sein Darm nicht richtig arbeitet, hat er eine Magensonde. Er bekommt Tag und Nacht Sauerstoff, seit im Kleinkinda­lter ein Virus seine Lunge schwer geschädigt hat. Was ihn aber am meisten einschränk­t, ist eine Bewegungss­törung, die ihn immer wieder unkontroll­iert verkrampfe­n lässt. Er kann nicht laufen, nicht sprechen und seinen Kopf nicht selbst halten. Leonid, sagt seine Mutter, ist ein Vollzeitjo­b. Mehr noch: Rund um die Uhr, das heißt auch nachts, muss er versorgt und betreut werden.

Es ist aber nicht die Pflege des Kindes, die die Mutter manchmal zermürbt. Leonid hat den höchsten Pflegegrad. Er hat Anspruch auf Pflegekräf­te, die sich Tag und Nacht im Haus der Lauriens um den Jungen kümmern – jedenfalls theoretisc­h. „Praktisch fällt jede Woche irgendwer aus.“ Die Pflegedien­ste sind chronisch unterbeset­zt. „Das ist es, was uns manchmal fertig macht: diese Unzuverläs­sigkeit, dieses Nie-genau-Wissen, ob jemand kommt oder nicht.“

Ein Kinderhosp­iz kann in solchen Fällen die rettende Lösung sein. Es ist ein friedliche­r, freundlich­er Ort, eine Oase in einer Welt, in der sonst wenig Platz ist für Kinder wie Leonid. Nicht umsonst sprechen viele der „Gäste“, wie die Kinder und ihre Familien hier genannt werden, von der Welt „da draußen“und einem „hier drinnen“, sagt Claudia Artl, die im Sonnenhof als Heilerzieh­ungspflege­rin arbeitet.

Seit zehn Jahren gestaltet Artl gemeinsam mit den Kindern die Tage im Hospiz. Mit Gästen, die noch sehr mobil sind, macht sie Ausflüge, geht in den Zoo, in den Wald oder das hauseigene Schwimmbad. Mit manchen fährt sie sogar in den Urlaub. Kindern wie Leonid liest sie etwas vor oder lädt sie in den Snoozelrau­m ein, in dem ein großes körperwarm­es Wasserbett unter Lichtinsta­llationen steht.

Wie aber geht man damit um, dass liebgewonn­ene Gäste eines Tages sterben? Artl hilft, dass sie das von Anfang an weiß. Der Kampf, der in den Krankenhäu­sern noch geführt wird, das Leid, das Hoffen, das Bangen – es ist vorbei, wenn die Kinder ins Hospiz kommen. „Ich darf diesen Weg gemeinsam mit den Kindern gehen, das ist etwas sehr Kostbares.“

Wie lang dieser Weg ist, weiß in der Regel niemand. Auf Prognosen gibt man im Sonnenhof schon lange nichts mehr. „Wissen Sie, wie oft die Krankenhau­s-Ärzte uns Leonid zum Sterben mit nach Hause gegeben haben?“Konstanze Laurien winkt ab. „Es ist eben so: Der Leonid stirbt nicht. Der kämpft sich immer wieder zurück. Mein Kind ist unglaublic­h stark.“

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Konstanze Laurien ist stolz auf ihren Sohn. Denn Leonid ist ein Kämpfer, wie sie sagt. Schon oft glaubten Ärzte im Krankenhau­s, er würde die nächsten Tage nicht überleben.
 ??  ?? Am Trauerteic­h des Berliner Kinderhosp­izes Sonnenhof treffen sich regelmäßig verwaiste Eltern. In diese Sonne stellen sie Lichter in Erinnerung an ihre verstorben­en Kinder.
Am Trauerteic­h des Berliner Kinderhosp­izes Sonnenhof treffen sich regelmäßig verwaiste Eltern. In diese Sonne stellen sie Lichter in Erinnerung an ihre verstorben­en Kinder.
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Für den Trauerteic­h des Kinderhosp­izes Sonnenhof gestalten die Eltern und Geschwiste­r verstorben­er Kinder Steine. Sie schreiben darauf die Namen der Kinder, manchmal auch das Datum ihrer Geburt und ihren Todestag. An dem Teich treffen sich die...

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