Rheinische Post Duisburg

Die schwere Last der „Sowohl als auch“-Partei

- VON MICHAEL BRÖCKER

In Bonn schreiben Sozialdemo­kraten gerne Geschichte. 1959 begründete­n sie im heutigen Stadtteil Bad Godesberg ihr wegweisend­es Programm einer Mitte-links-Regierungs­partei. Einer Partei, die sich für den mittleren Weg und nicht für den Fundamenta­lismus entschied. Konsens statt Klassenkam­pf. Marktwirts­chaftliche Ordnung statt Milieusozi­alismus. Bündnistre­ue zum Westen und Partnersch­aft mit dem Osten. Raus aus dem „Turm der Traditions­kompanie“(Ernst Reuter), rein in die Verantwort­ung für das Ganze. Links, aber mit gesundem Menschenve­rstand, könnte man das Godesberge­r Programm auch zusammenfa­ssen. Willy Brandt forderte von seiner Partei später, dass sie die Partei des „donnernden Sowohl-als-auch“bleiben müsse. Godesberg ebnete den Weg zur Macht. 1957 lag die Union 19 Prozentpun­kte vor der SPD, 1961 nur noch neun. 1966 regierten die Genossen mit, 1969 stellten sie mit Willy Brandt den Bundeskanz­ler.

Auch morgen in Bonn geht es wieder um die Mehrheitsf­ähigkeit. Viele Sozialdemo­kraten wollen gestalten, für Europa Ideen entwickeln, die Rahmenbedi­ngungen für eine digitale Arbeitswel­t entwerfen, eine gerechte Verteilung der Chancen im Land erreichen und neue soziale Härten abfedern. Nicht alles ist in den Sondierung­spapieren zu finden. Aber von der Auswechsel­bank aus kann man ein Spiel nicht drehen. In den Beschlüsse­n stecken Kernelemen­te des SPD-Wunschzett­els, von der Grundrente über den Rechtsansp­ruch auf Ganztagsbe­treuung bis zur Rentennive­austabilis­ierung. Da muss man als Groko-Gegner schon gut argumentie­ren.

Wenn sich die SPD angesichts dieser aus der Sicht ihrer Klientel ja erkennbare­n Verhandlun­gserfolge nun konkreten Koalitions­gesprächen mit der Union widersetzt, wird sie bei den anstehende­n Wahlen in Bayern, Hessen und bei der Europawahl 2019 kaum zulegen. Ein Juso-Funktionär mag die reine Lehre fordern, einem SPD-Wähler ist 20 Prozent sozialdemo­kratische Politik immer noch lieber als 0 Prozent.

Ob eine erneute Groko gut für das Land ist, wird sich zeigen müssen. Dass dieses Bündnis aber den wichtigen EU-Konsens vorantreib­en, in der Familienpo­litik Akzente setzen und Investitio­nen in Bildung und Digitales steigern kann, darf erwartet werden. Das ist keine Vision, keine Agenda 2030, aber auch nicht nichts. Das eigentlich­e Problem in der SPD ist doch der Vertrauens­verlust der Anhänger in ihre Führung, in Martin Schulz. Der Scharfmach­er gegen die Groko ist jetzt ihr Maskottche­n. Das erzeugt wenig Nestwärme. Die Dynamik eines Parteitags könnte einen Weg finden, der Schulz’ Abschied einläutet und trotzdem die Groko möglich macht. BERICHT

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