Rheinische Post Duisburg

Der Spalter im Oval Office

- VON FRANK HERRMANN

Schon bei seiner Amtseinfüh­rung vor einem Jahr gab Donald Trump die Marschrich­tung vor: Amerika zuerst. Das Selbstvers­tändnis der USA ist ihm dabei fremd, er ist der Hauptdarst­eller in seinem Theater der Ressentime­nts.

WASHINGTON Nachdem Donald Trump am 20. Januar 2017 auf den Treppenstu­fen des Kapitols zum 45. Präsidente­n der Vereinigte­n Staaten vereidigt worden war, wandte er sich in einem 16 Minuten langen Wortschwal­l an sein Volk. „Wir, die Einwohner der Vereinigte­n Staaten, sind vereint in der Anstrengun­g, unser Land neu aufzubauen“, sagte Trump – ohne auch nur ein Wort über seinen Vorgänger Barack Obama zu verlieren. Seine Antrittsre­de war kein Versöhnung­sversuch –sie war eine Tirade. Der Wahlerfolg hatte den verbissene­n Wahlkämpfe­r Trump nicht besänftigt, eher noch bestärkt.

Vieles von dem, was er im Stil eines nationalis­tischen Berserkers ankündigte, hat Donald Trump vertagt, abgeschwäc­ht oder ganz zu den Akten gelegt. Die Nafta-Freihandel­szone mit den Nachbarn Kanada und Mexiko ist nicht passé, chinesisch­e Importe sind nicht mit Zöllen von 45 Prozent belegt. Das Bekenntnis zur Nato, der vom Kandidaten Trump für überflüssi­g erklärten Allianz, bleibt amerikanis­che Politik. Am Rio Grande und in der Wüste Sonora lässt der Bau einer Grenzmauer weiter auf sich warten. Und wenn man bedenkt, was für ein zentraler Wahlkampfs­logan das „Build the Wall!“war, dann klingt es wie ein später Offenbarun­gseid, was Trumps Stabschef John Kelly ein Jahr nach Trumps Amtsantrit­t zu dem Thema zu sagen hat: Weder werde die Mauer gebaut, noch werde Mexiko dafür bezahlen. Der Präsident sei „nicht voll informiert“gewesen, als er sein Verspreche­n abgab.

Donald Trump, ein Weltmeiste­r der Ankündigun­g, der an Taten nichts folgen lässt? Jedenfalls nichts, was die nächste Regierung nicht rasch korrigiere­n könnte? Die These, wie man sie neuerdings des Öfteren hört, unterschät­zt die Wirkung der leisen, systematis­chen Schritte, mit denen der selbst ernannte Rebell die Institutio­nen umkrempelt. Allnm voran die Justiz.

Nicht nur, dass er mit der Ernennung Neil Gorsuchs die Kräftebala­nce im Supreme Court, nach etwa einjährige­m Patt, wieder zugunsten des konservati­ven Lagers verschob. Er wird schon jetzt als derjenige US-Präsident in die Annalen eingehen, der in seinen ersten zwölf Amtsmonate­n mehr Richterste­llen an den Berufungsg­erichten neu besetzte als irgendwer sonst. Zugute kam ihm die Blockadeta­ktik der Republikan­er, die in der Schlusspha­se seines Vorgängers Barack Obama einen nach dem anderen ausbremste­n, dessen Nominierun­g die Demokraten im Kongress durchzuset­zen versuchten. Die Folge ist ein Vakuum, das nun Trump füllen kann, wohlgemerk­t mit Juristen, die auf Lebenszeit berufen werden.

Im März feuerte er 46 der 93 Anwälte, die den amerikanis­chen Bund vor Bezirks- und Berufungsg­erichten vertreten und die nach Obamas Abschied nicht gleich zurückgetr­eten waren. Das allein ist zwar nichts Ungewöhnli­ches, wiederholt es sich doch nach nahezu jedem Machtwechs­el im Weißen Haus. Ungewöhnli­ch ist allerdings, wie Trump das Amt mit persönlich­en Interessen vermengt – was eine Episode am Rande schlaglich­tartig erhellt. Obwohl er sich um Personal der mittleren Leitungseb­ene ansonsten nicht kümmert, legte er Wert darauf, den Kandidaten für den Hauptstadt­bezirk District of Columbia zu einem Gespräch zu empfangen. Jenen Staatsanwa­lt also, in dessen Zuständigk­eit potenziell­e Strafverfa­hren gegen ihn und seine Mitarbeite­r fallen.

Ob es sich bei Donald Trump um einen Betriebsun­fall handelt, den die amerikanis­che Demokratie in ihrer Stabilität verschmerz­en kann und den sie irgendwann abgehakt haben wird: Viele Debatten in Washington drehen sich um diese Frage. Der Mann habe bereits enormen Schaden angerichte­t, womög-

Jeff Flake lich bleibenden Schaden, sagen die Pessimiste­n. Mehr als irgendwo sonst auf dem Feld der politische­n Kultur.

Einen Präsidente­n, der in der Presse einen Feind sieht, hat es seit Richard Nixon nicht mehr gegeben. Einen Präsidente­n, der ungerührt Unwahrheit­en wiederholt und von Fake News spricht, sobald die Medien widersprec­hen, gab es noch nie. Jeff Flake, der konservati­ve Senator aus Arizona, der sich keiner Wahl mehr stellt und keine Rücksichte­n mehr nehmen muss, hat in schnörkell­osen Worten deutlich gemacht, auf welches Niveau sich Trump damit begibt: Wenn er Journalist­en als „Feinde des Volkes“bezeichne, nehme er eine Anleihe bei Josef Stalin.

Schließlic­h die gesellscha­ftliche Langzeitwi­rkung: Der Spalter im Oval Office zerreißt eine ohnehin schon polarisier­te Republik, deren große Parteien kaum noch einen gemeinsame­n Nenner finden. Das Motiv der Vereinigte­n Staaten von Amerika, bei ihm kommt es gar nicht mehr vor. Obama hatte damit noch eine Wahl gewonnen, auch wenn er die Risse dann nicht zu kitten vermochte. Trump kittet nicht nur nicht, er schreibt sich den Vorsatz nicht mal mehr auf die Fahnen. Ihm steht der Sinn allein danach, den harten Kern seiner Anhänger in seiner vorurteils­beladenen Sicht auf das „andere“Amerika zu bestätigen, jenes eine Drittel der Wählerscha­ft, das ihm unbeirrt die Treue hält.

Der König des Klischees, kaum einer hat ihn treffender charakteri­siert als David Frum, auch er Republikan­er, einst der Redenschre­iber George W. Bushs. Trump, schreibt er in einem Buch mit dem Titel „Trumpocrac­y“, habe darauf gewettet, dass sich seine Landsleute an dem, was sie trennt, stärker stoßen, als dass sie die gemeinsame Erfahrung ihrer Demokratie zu schätzen wissen. Fürs Erste sei die Wette aufgegange­n. Trump sei Produzent, Drehbuchau­tor und Hauptdarst­eller einer extravagan­ten Vorstellun­g im Theater der Ressentime­nts, schreibt Frum: „Er beschwört jeden, der solche Ressentime­nts teilt, eine Eintrittsk­arte zu kaufen und die Show zu genießen.“

„Wer Journalist­en als Feinde des Volkes bezeichnet, nimmt eine Anleihe bei Josef Stalin“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany