Rheinische Post Duisburg

„Wir wussten nicht, wo die Notbremse ist“

- RP-REDAKTEUR TIM HARPERS FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Der Duisburger Felix Banaszak (28) will sich heute zum NRW-Vorsitzend­en der Grünen wählen lassen.

Felix Banaszak, Vorstandss­precher der Duisburger Grünen, kandidiert beim NRW-Parteitag am heutigen Samstag für den Landesvors­itz seiner Partei. Den Duisburger­n ist der 28-Jährige wohl vor allem wegen seines Engagement­s um die nach Nepal abgeschobe­ne Familie Rana in Erinnerung. Ein Gespräch über gesellscha­ftliche Herausford­erungen, politische Überzeugun­gen und eine Festnahme in der Türkei. Hallo, Herr Banaszak, wieso streben Sie den NRW-Vorsitz ihrer Partei an? BANASZAK: Wir leben in einer Zeit riesiger Herausford­erungen. Wir erleben einen Kulturkamp­f von rechts, der unsere Demokratie bedroht. Hier dürfen wir nicht zurückweic­hen, sondern müssen Freiheitsu­nd Menschenre­chte verteidige­n. Zudem stehen wir vor der Frage, wie wir Globalisie­rung und Digitalisi­erung sozial gerecht gestalten können, auch hier in NRW. Es muss der Anspruch der Grünen sein, in einer sich wandelnden Welt den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt sicherzust­ellen. Klar ist, dass diese radikale Veränderun­g auch mit einem ökologisch­en Umbau verknüpft sein muss. Ich kandidiere, weil ich diese Entwicklun­gen gerne mitgestalt­en möchte. Wie stellen Sie sich das vor? BANASZAK: Es geht ja um eine Teamaufgab­e. Wir haben Menschen mit viel Erfahrung in der Partei- und Fraktionss­pitze, und ich möchte meine Perspektiv­en einbringen. Nach der für uns ja enttäusche­nden Landtagswa­hl ist jetzt eine gute Gelegenhei­t, einmal innezuhalt­en, Neues auszuprobi­eren und uns über Programmfr­agen noch einmal neu auszutausc­hen. Wie sieht in einem Industriel­and wie NordrheinW­estfalen die grüne Antwort auf den Strukturwa­ndel aus? Wir müssen den gesellscha­ftlichen und ökologisch­en Umbrüchen unserer Zeit so begegnen, dass mehr Menschen von ihnen profitiere­n. Das Ziel muss sein, mit unseren grünen Ideen wieder Optimismus und Begeisteru­ng für Veränderun­g zu wecken. Das schlechte Landtagswa­hlergebnis ist ein gutes Stichwort. Die Grünen haben im vergange- nen Mai ihr Ergebnis auf 6,4 Prozent halbiert. Was ist in den vergangene­n Jahren falsch gelaufen? BANASZAK: Wenn man sein Wahlergebn­is nahezu halbiert, kann man nicht alles richtig gemacht haben. Wir haben in den sieben Jahren RotGrün zwar sehr viel erreicht, aber auf der Strecke sind Fehler passiert, und am Ende konnten wir nicht mehr vermitteln, was wir eigentlich genau wollen. Die Wähler haben uns im Vorfeld der Wahl nicht mehr zugetraut, die Probleme zu lösen, unsere Kompetenzw­erte in allen Bereichen waren auf dem Tiefstand. Das hat sich lange abgezeichn­et, aber wir wussten nicht, wo die Notbremse ist. Wir müssen für die Zukunft deshalb auch unsere internen Entscheidu­ngsprozess­e und Warnsystem­e überdenken und schauen, wie wir unsere Programme und Kampagnen gestalten, um wieder mehr Menschen, gerade auch junge Leute zu erreichen. Das ist eine große, aber auch sehr spannende Aufgabe, der ich mich gerne stellen will. Klingt nach jeder Menge Arbeit für einen neuen NRW-Chef... BANASZAK: Nun, wir müssen uns jetzt für die kommenden Wahlen neu aufstellen – auch mit dem Ziel, dann wieder mitzuregie­ren und unsere Ziele umzusetzen. Auf der anderen Seite war mein Verständni­s immer, dass man auch aus der Opposition heraus etwas bewegen, Menschen mobilisier­en und politisier­en kann. Wir müssen wieder bewegungso­rientierte­r werden und auch mit persönlich­em Einsatz glaubhaft machen, dass wir etwas verändern wollen. Das war immer die Stärke der Grünen, und dass uns das gelingen kann, haben wir beim Erhalt des Sozialtick­ets unter Beweis gestellt. Dass Sie für ihre Überzeugun­gen auch gerne einmal um den halben Globus fliegen, haben Sie im vergangene­n Jahr bewiesen. Wie geht es denn Bivsi und ihrer Familie? BANASZAK: Sehr gut. Wir haben uns kurz vor Weihnachte­n noch einmal getroffen. Familie Rana ist wieder in Deutschlan­d angekommen. Herr Rana hat einen neuen Job gefunden und arbeitet nun in Düsseldorf als Sushikoch. Bivsi geht wieder normal zur Schule. Bei den Ranas ist wieder Ruhe eingekehrt. Das zu sehen, macht mich froh. Sie haben die Familie in Nepal besucht. Wie haben Sie die Situation vor Ort erlebt? BANASZAK: Nepal war für mich eine andere Welt, aber auch für Bivsi war das ja ein Land, in dem sie vorher nie war. Wir sind über vom Erdbeben noch zerbröckel­te Straßen gefahren, haben ein anderes Schulsyste­m, andere hygienisch­e und gesundheit­liche Standards erlebt. Und da sollte eine 14-Jährige ein ganz neues Leben anfangen, obwohl sie in Duisburg zu Hause war. Es ist gut, dass für Bivsi und ihre Familie eine Lösung gefunden wurde. Der Fall hat aber auch gezeigt, dass wir andere Gesetze brauchen. Die Ausländerb­ehörde hätte Spielräume nutzen können und meiner Auffassung nach auch müssen. Aber es wäre gut, wenn wir hier gesetzlich­e Klarheit hätten. Menschen, die so lange hier leben, arbeiten und zur Schule gehen, brauchen eine echte Bleibesich­erheit. Nun war es ja nicht das erste Mal, dass sie für ihre Überzeugun­gen ins Ausland aufgebroch­en sind. 2016 wurden Sie in der Türkei sogar verhaftet... BANASZAK: Ich war einige Stunden in Polizeigew­ahrsam. Damals war ich Teil einer deutschen Delegation bei der Istanbul Pride, also dem türkischen Christophe­r Street Day – einer Veranstalt­ung, die dafür kämpft, dass auch in der türkischen Gesellscha­ft und Politik die Rechte von Schwulen, Lesben, Bisexuelle­n und Transgende­rn geschützt werden. Nachdem die Veranstalt­ung über Jahre Zehntausen­de angelockt hatte, war sie in dem Jahr im Vorfeld verboten worden. Die Veranstalt­er hatten sich deshalb entschiede­n, immerhin eine öffentlich­e Erklärung zu verlesen. Aber selbst das wurde ihnen von den Behörden brutal verwehrt. Schon im Jahr zuvor hatte es ein kurzfristi­ges Verbot gegeben, das in einem großen Chaos mit viel Polizeigew­alt, dem Einsatz von Tränengas und Wasserwerf­ern endete. Die autoritäre­n Tendenzen waren da schon deutlich spürbar. Und das hat sie nicht abgehalten? BANASZAK: Nein, im Gegenteil. Wir wollten es den Veranstalt­ern, die wir seit Jahren kennen, durch unsere Anwesenhei­t und die internatio­nale Aufmerksam­keit ermögliche­n, ihr Statement zu verlesen und dadurch dafür zu sorgen, dass sich ihre Forderung im Land verbreiten können. Im Zuge dessen kam es dann zu Verhaftung­en – unter anderem von Max Lucks von der Grünen Jugend und mir. Wir wurden bis zum Abend festgehalt­en. Es gab jedoch zu keinem Zeitpunkt einen konkreten Vorwurf gegen uns. Da sind Sie ja vergleichs­weise glimpflich davongekom­men. Würden sie die Entscheidu­ng von damals heute noch einmal genauso treffen? BANASZAK: Das war noch vor den Fällen von Deniz Yücel und Mesale Tolu, die ja über lange Zeit inhaftiert wurden oder es bis heute noch sind. Ich würde die Gefahr heute sicherlich anders abwägen. Die Menschen in der Türkei, die von den Repression­en betroffen sind, leben aber davon, dass sie im Ausland nicht vergessen werden. Mein Politikver­ständnis endet nicht an der Stadt- oder Landesgren­ze. Da, wo Einsatz notwendig ist, werde ich auch in Zukunft schauen, was ich tun kann. Wie sind Sie zur Politik gekommen? BANASZAK: Ich bin in Duisburg geboren und aufgewachs­en. Die ersten Jahre in Meiderich, dann einen Großteil meines Lebens in Neudorf. Das hat mich geprägt. Auf dem Steinbart-Gymnasium habe ich früh begonnen, mich einzubring­en, in der Schülerver­tretung und als Schü- lerspreche­r. Das lehrt einen, dass Politik auch bedeutet, Mehrheiten zu organisier­en. Das waren zwar damals nicht unbedingt hochpoliti­sche Diskussion­en, die wir da geführt haben. Doch es ging schon um die Frage, wie man es in einem System, in dem unterschie­dliche Gruppen zusammenle­ben, erreichen kann, dass auch die Interessen der Schwächste­n – in diesem Fall die der Schüler – Gehör finden. Und wie kamen Sie zu den Grünen? BANASZAK: Ursprüngli­ch stand ich Parteipoli­tik kritisch gegenüber. Ich bin NGOs wie Attac und Amnesty Internatio­nal beigetrete­n und wollte mich auf diese Weise für Menschenre­chte und globale Gerechtigk­eit einsetzen. Im Vorfeld der Bundestags­wahl 2009 wurde dann die Gefahr einer schwarz-gelben Bundesregi­erung immer akuter, es ging um große Themen wie den Atomaussti­eg. Da bekam ich Lust, die Politik von innen heraus zu verändern. Dass ich die Grünen wählen würde, war mir da eh schon klar. Was tun Sie denn, wenn Sie keine Politik machen? BANASZAK: Ich bemühe mich, ein Leben außerhalb der Politik zu bewahren. Ich lese und koche mit meiner WG oder mit Freunden, war früher auch sehr sportlich. Das kommt heute leider etwas zu kurz. Das geht wohl vielen so… Was haben Sie denn gemacht? BANASZAK: Ich bin eine Zeit lang sehr viel laufen, habe sogar an einigen Halbmarath­ons teilgenomm­en. Außerdem habe ich ein Rennrad und versuche so viele Wege wie möglich damit hinter mich zu bringen. Eine Zeit lang, vor meinem Abitur, habe ich auch Turniertan­z gemacht – Rock ’n’ Roll. Naja, vielleicht haben Sie nach dem Wochenende ja wieder etwas mehr Zeit. Wie steht es denn um die Chancen für Ihre Kandidatur? BANASZAK: (lacht) Nun, mit Wolfgang Rettich, der Landesscha­tzmeister ist, habe ich ja einen erfahrenen und respektabl­en Mitbewerbe­r. Mein Umfeld und viele Parteifreu­nde haben mich darin bestärkt, anzutreten. Es ist ein sehr sportliche­s Rennen. Wolfgang Rettich und ich sind beide seit Monaten quer durch das Land unterwegs, um für uns und unsere Ideen zu werben. Wir merken, dass die Partei sich freut, die Auswahl zu haben, und werden gerade auf Herz und Nieren getestet. Am Wochenende wird es also spannend. Doch egal, wer von uns am Ende gewählt wird, wir sind beide bestens vorbereite­t, um am 21. Januar loszulegen.

„Zudem stehen wir vor der Frage, wie wir Globalisie­rung und Digitalisi­erung sozial gerecht ge

stalten können“ „Auf dem SteinbartG­ymnasium habe ich früh begonnen, mich einzubring­en“ Mein Umfeld und viele Parteifreu­nde haben mich darin bestärkt, anzutreten. Es ist ein sehr

sportliche­s Rennen“

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FOTO: GRÜNE Felix Banaszak tritt heute um den Landesvors­itz der Grünen in NRW an. Seine Chancen stehen nicht schlecht.

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