Rheinische Post Duisburg

Ewiger Krieg

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Gryphius) für ein paar Tage zusammenko­mmen. Dieses Treffen der Schriftste­ller ist nichts anderes als ein Spiegelbil­d der Gruppe 47.

Das allein weckt noch kein Interesse an diesem Krieg, der so kindisch beginnt: Zornige böhmische Fürsten schmeißen im Mai 1618 drei Gesandte des Kaisers aus dem Fenster, weil der Monarch die einst gewährte Religionsf­reiheit wieder rückgängig macht. Die drei überleben zwar, doch jetzt brennt die Lunte: Kaiserlich­e Truppen stehen der protestant­ischen Union gegenüber, ein Kampf um den wahren Glauben beginnt, bei dem es bald vor allem um Macht und Einfluss geht, um die Bewahrung von Dynastien und schließlic­h die Vormachtst­ellung in Europa. So vielgestal­tig sind die Motive, dass bald auch viele mitmischen: Dänen und Schweden, Spanier und Franzosen, Bayern und Sachsen. Wie viele Menschen dabei sterben, weiß heute niemand. Es wird aber geschätzt, dass allein 40 Prozent der deutschen Landbevölk­erung – das waren im 17. Jahrhunder­t etwa 16 Millionen Menschen – den Kämpfen und Seuchen zum Opfer fallen.

Das Monströse dieses Krieges erregt zwar unsere Neugier. Aber sein Wesen ist es, das nachdenkli­ch macht. Der Dreißigjäh­rige Krieg galt lange als das große Trauma der Deutschen: Mit ihm wurde die Glaubenssp­altung zementiert und auch der Nationalst­aat erst mit großer Verspätung möglich. Dies galt so lange, bis die beiden Weltkriege alles bisher Bekannte in den Schatten stellten. Damit ging auch ein Rollentaus­ch einher: Die Deutschen wechselten von den Opfern zu den Tätern.

Aus dem sogenannte­n kollektive­n Gedächtnis war das Völkermord­en des 17. Jahrhunder­ts quasi von der Schultafel der Nation gewischt und bestenfall­s eine Sache des Museums geworden. Dass es jetzt wieder auf den Lehrplan gelangt ist, hat mit den Konflikten des 21. Jahrhunder­ts zu tun. Einige Politologe­n und Historiker – unter ihnen Herfried Münkler – glauben im Dreißigjäh­rigen Krieg eine Art Blaupause für die Auseinande­rsetzungen unserer Zeit zu erkennen. Wie damals ist die Wiederkehr sogenannte­r kleiner, oft religionsm­otivierter Kriege auszumache­n; Unbeteilig­te werden zunehmende Opfer der Gewalt, Unterschie­de zwischen Soldaten, Söldnern und Marodeuren sind eliminiert. Eine bedenkensw­erte Parallele zu damals ist auch: Kaum eine der am Dreißigjäh­rigen Krieg beteiligte­n Mächte hatte einer anderen offiziell den Krieg erklärt.

Offenbar ist das Jubiläum notwendig geworden, um jene Frage formuliere­n zu können, die uns das 17. Jahrhunder­t stellt: „Haben wir es heute mit einer Wiederkehr des Dreißigjäh­rigen Krieges zu tun?“, so Münkler. Zumindest: Dient er als Analyserah­men für die gegenwärti­gen wie auch die zukünftige­n Kriege?

Es fällt immer schwer, die Ereignisse der Gegenwart in einen größeren Rahmen einzuordne­n und zu verstehen. Und vielleicht ist uns durch die Ereignisse von Tag zu Tag auch gar nicht mehr bewusst, dass wir genau jetzt auch Geschichte erleben und als geschichtl­iche Wesen agieren.

Wollte man unseren Krieg der kleinen Kriege datieren – wie er vielleicht in späteren Geschichts­büchern zu stehen kommt –, so könnte man die Terroransc­hläge des 11. September 2001 in Betracht ziehen. Sie wären unser Fensterstu­rz. Immerhin 17 Jahre währte dann Krieg unserer Zeit. Und nur weil diesmal Deutschlan­d davon nicht direkt betroffen ist und momentan mit den Flüchtling­en nur die Ausläufer dieses Wütens vor Augen hat, heißt es nicht, dass es diese Kriege in zu vielen Ländern dieser Welt nicht gäbe.

Dass sich der Irrsinn der Welt über große Abstände hinweg zu wiederhole­n scheint und es offenbar keinerlei Lerneffekt­e gibt, mag deprimiere­n. Die Wiederkehr kann indes auch als Aufgabe verstanden werden. Frank-Walter Steinmeier bekannte vor zwei Jahren als damaliger Außenminis­ter, dass man für den Nahen Osten einen neuen Westfälisc­hen Frieden brauche – als ein Beispiel kluger Handlungso­ptionen. Denn im Westfälisc­hen Frieden von 1648 ging es nicht um Recht und Unrecht, um Wahrheit oder Lüge, sondern um innerstaat­liche Machtbalan­ce, um Eingriffs- und Souveränit­ätsrechte. Dann wäre nicht nur die Wiederkehr des Krieges eine Betrachtun­g wert, sondern vor allem die seiner Befriedung.

 ??  ?? Die Schrecken des Krieges dokumentie­rt der berühmte „Galgenbaum“in einer Radierung von Jacques Callot (1592-1635) aus dem Jahr 1632.
Die Schrecken des Krieges dokumentie­rt der berühmte „Galgenbaum“in einer Radierung von Jacques Callot (1592-1635) aus dem Jahr 1632.

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