Kirchenfenster als Ort der Mahnung
Ein nach den Kriegsschäden zugemauertes Fenster der Salvatorkirche wurde 1981 aufgebrochen, um dort ein Gedenkfenster zu errichten, das auch ein Zeichen der Versöhnung zwischen Christen und Juden sein soll.
Das Hämmern und Rattern des Presslufthammers ist längst verklungen. Was jedoch zur Ausführung eines Fensters im Gedenken an die Shoa in der Salvatorkirche geschah, bleibt bis zum heutigen Tag Atem beraubend. Es macht die Salvatorkirche zu einem ganz besonderen Ort.
Ein nach der Zerstörung der Kirche zugemauertes Fenster an der Südseite, also zur Rathausseite hin, wurde aufgebrochen und sollte von nun an den Blick für das Gedenken in Kirche und Stadt öffnen. Mit Bedacht wurde dieses Fenster gemeinsam mit der jüdischen Gemeinde ausgewählt. Es bildet den Abschluss einer künstlerisch ausgestalteten Fensterreihe, die die biblischen Propheten zum Thema hat. Was dargestellt wird, hat also prophetischen Klang. Erst recht, wenn man bedenkt, dass es in unmittelbarer Nachbarschaft zum Fenster des Propheten Hesekiel seinen Platz gefunden hat. Allem Leid und aller Zerstörung und dem Tode zum Trotz richtet der Prophet Hesekiel sein Volk mit einer großen Vision der Auferstehung auf. Der Tod wird nicht das letzte Wort behalten! Von diesem Versprechen Gottes erzählt der Prophet Hesekiel. Und wenn man dann vom Gedenkfenster auf die gegenüberliegende Nordseite schaut, dann schaut man direkt auf das Auferstehungsfenster der neutestamentlichen Verkündigung.
So verwirrend und schrecklich Geschichte ihre Spuren in die Welt eingräbt, sie bleibt dennoch in die Hoffnungsgeschichten beider Testamente eingebunden. Es ist die jüdisch christliche Hoffnung, die auch die Einheit der Testamente zusammenhält. In gegenseitiger Erinnerung an ihre Hoffnungsgeschichten begeben sich Christen und Juden auf den Weg der Versöhnung, der ein Weg gegen das Vergessen ist. Der Sohn des letzten jüdischen Rabbiners Amir hat ein bemerkenswertes Zeichen dafür gesetzt, indem er bei der Einweihung des Gedenkfensters das jüdische Totengebet sprach.
Man muss erst einmal Atem holen, um diese Komposition begreifen zu können. Über der Katastrophe der Vernichtung der jüdischen Gemeinde in Duisburg stehen im Maßwerk in hebräischen Buchstaben die Anfangsworte des jüdischen Totengebetes: „Erhoben und geheiligt werde sein großer Name in der Welt...“Das steht nun über der
Mit Bedacht wurde dieses Fenster gemeinsam mit der jüdischen Gemeinde ausgewählt.
brennenden Synagoge der Stadt vom 9.-10. November 1938 und der Deportation der Gemeinde nach Theresienstadt 1942. Im Widerschein der Flammen sieht man noch die alte Stadtmauer. Rot brennt es lichterloh. Rauschschwaden ziehen sich bis ins Maßwerk hinein. Die Häuser der Stadt sind von den Flammen erleuchtet. Was geschah, geschah hier in Duisburg. Es liegt am Rhein mit seinen grünen Wiesen. Es liegt dort, wo das Leben schön sein kann. Und es liegt dort, wo es Arbeit gibt und wo deshalb auch industrielle Gebäude die Straßen säumen. Was und wo es geschah, liegt nirgendwo anders als hier! Bei uns!
Im Zentrum des Fensters steht groß der Löwe als Allegorie für das Judentum. Auf ihn ist der letzte Duisburger Rabbiner, Dr. Manass Neumark, in Häftlingskleidern gebunden. Der Judenstern ist ihm als Makel angeheftet. Er liegt auf dem Rücken des Löwen. Beide sind zum Abtransport bestimmt. Denn auch der Löwe ist mit schwarzen Bändern gebunden. Ein Gebetsschal ist darin deutlich erkennbar. Über dem Löwen ragen zwei Leuchter empor. Es sind die Schabbatleuchter. Sie sind entzündet und brennen. Über der Katastrophe leuchtet es hell in der Hoffnung auf den großen und endgültigen Frieden.
Was geschieht, geschieht auf den Straßen unserer Stadt. Aber das Wappen dieser Stadt, in der linken unteren Ecke, ist blind. Wo einmal der „Salvator mundi“im Wappen seinen Platz einnahm, ist nun ein leerer Fleck. Mit allem, was geschehen ist, hat die Stadt ihren Identität stiftenden „patronos“verloren. Er ist in Vergessenheit geraten. Mit dem, was in dieser Stadt den jüdischen Mitbürgern angetan wurde, hat sie ihr Gesicht, ihre Identität verloren.
Achtung! Das ist die Botschaft nach außen, also zur Rathausseite hin. Aber damit nicht genug! Ins Innere der Kirche schreit es aus dem Gedenkfenster: Es waren Christen, die haben geschehen lassen, was geschah. Sie dienten fremden Herren. Ihr Bekenntnis zum „Salvator mundi“war nur ein Lippenbekenntnis. Weil sie fremden Herren gehorchten, deshalb war ihre Hoffnung auf den „Salvator mundi“verbraucht. – Das Gedenkfenster wurde im Februar 1981 enthüllt. Die Wahl des Ortes und die Zuordnung zu den übrigen Fenstern sind beileibe nicht zufällig. Im Gedenken soll sich der Blick auf das Geschehen der Shoa nach außen und innen schärfen. Für die Stadt und die Stadtkirche ist das Gedenkfenster zum Ort der Mahnung geworden. Diese Mahnung geschieht, so das Anliegen von Naphtali Bezem, in „erinnernder Anwaltschaft“.
Es bleibt den Toten zugewandt und will den Opfern Gerechtigkeit widerfahren lassen. Und nicht zuletzt erinnert es daran, dass es keine Alternative dazu gibt den Weg der Versöhnung und Gerechtigkeit zu gehen.