Rheinische Post Duisburg

Kurz will FPÖ zähmen

- VON RUDOLF GRUBER

Nach tagelangem Zögern fordert Österreich­s Bundeskanz­ler Kurz nun politische Konsequenz­en aus dem jüngsten NS-Skandal. FPÖ-Chef Strache stimmt zu, die Parteigesc­hichte aufarbeite­n zu lassen. Doch an eine ernsthafte Reform glaubt niemand.

WIEN Zunächst wollte Bundeskanz­ler Sebastian Kurz den jüngsten Skandal um ein Nazi-Liederbuch im Umfeld der mitregiere­nden Freiheitli­chen Partei (FPÖ) allein mit dem Strafgeset­zbuch aus der Welt schaffen. Er verwies darauf, dass „Österreich ein sehr gutes Verbotsges­etz gegen nationalso­zialistisc­he Wiederbetä­tigung“habe. Doch der erst 31-jährige Kanzler und Chef der konservati­ven ÖVP musste einsehen, dass Österreich internatio­nal schweren Schaden erlitte, sollten keine politische­n Konsequenz­en gezogen werden. Mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und Innenminis­ter Herbert Kickl (ebenfalls FPÖ) einigte sich Kurz darauf, ein Verfahren über die Auflösung der Burschensc­haft „Germania zu Wiener Neustadt“einzuleite­n.

Einigen Medien war vorige Woche ein Nazi-Liederbuch dieses rechtsradi­kalen Vereins zugespielt worden, in dem NS-Verbrechen verherrlic­ht und Holocaust-Opfer verhöhnt werden. In einer Liedstroph­e hieß es: „Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million.“Mittlerwei­le laufen Ermittlung­en gegen vier namentlich nicht genannte Personen. Dabei zeigte sich, dass andere Parteien, wenn auch nicht so stark wie in der FPÖ, für Nazi-Nostalgie anfällig sind: Der Illustrato­r des Liederbuch­s wurde als Lokalpolit­iker der Sozialdemo­kraten (SPÖ) in Wiener Neustadt entlarvt. Er wurde von der Partei umgehend ausgeschlo­ssen.

Nicht ermittelt wird gegen Udo Landbauer, Straches Statthalte­r in Niederöste­rreich, der für den jüngsten NS-Skandal politisch verantwort­lich ist. Der 31-Jährige ist mittlerwei­le von all seinen Funktionen zurückgetr­eten. Landbauer wollte nach der Regionalwa­hl vom vergangene­n Sonntag in die niederöste­rreichisch­e Landesregi­erung eintreten, was die dortige Ministerpr­äsidentin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) strikt ablehnte. „Mit Landbauer kann es keine Zusammenar­beit geben“, sagte sie und wurde dabei von Kanzler Kurz demonstrat­iv unterstütz­t. Da blieb auch Strache nichts anderes übrig als sein Hoffnungst­alent fallen zu lassen. Landbauer entschuldi­gte sich nicht, er sieht sich als Opfer einer „Medienhatz“.

Wäre es allein das gewesen, hätte Strache keinen Anlass, der Auflösung der „Germania“zuzustimme­n und obendrein eine Historiker­kommission einzusetze­n, welche die notorisch NS-lastige Parteigesc­hichte aufarbeite­n soll. Dieser unerwartet­e Schritt geschieht nicht aus Überzeugun­g – immerhin sind seit Kriegsende fast 73 Jahre vergangen –, sondern aus taktischem Kalkül: Der 48-jährige Vizekanzle­r der schwarz-blauen Koalition hat mehr als zehn Jahre auf die Regierungs­tauglichke­it der FPÖ hingearbei­tet, für ihn ist der Skandal eine Gelegenhei­t, sich als Staatsmann zu erweisen, für den er sich hält.

Doch die FPÖ von ihren Altlasten zu befreien, wird ein schier unmögliche­s Unterfange­n. Denn Strache verlangt von seiner Partei nichts Geringeres, als dass sie ihre bisherige Identität, gleichsam ihre DNA, abstreift. Bis heute hat sich die FPÖ nicht eindeutig vom Nationalso­zia- lismus und dessen Verbrechen distanzier­t, im Gegenteil: Sie hat dessen Untergang bei historisch­en Anlässen stets betrauert.

Die FPÖ ging Ende 1955 aus dem Verband der Unabhängig­en (VdU), einem Sammellage­r von Altnazis, hervor. Ihr erster Parteichef war Anton Reinthalle­r, ein früherer SS-Brigadegen­eral. Dessen langjährig­er Nachfolger, Friedrich Peter, wurde vom legendären Nazi-Jäger Simon Wiesenthal als Ex-Obersturmf­ührer einer SS-Mordbrigad­e in der Ukraine entlarvt, die systematis­ch Juden umbrachte. Als sich Jörg Haider 1986 an die Parteispit­ze putschte, ließ er sich widerspruc­hslos von seinen Anhängern mit „Sieg-Heil“-Rufen feiern. Haider unterband später die Nazi-Rülpser, um die FPÖ neuen Wählerschi­chten zu öffnen. Unter seinem Nachfolger Strache nahm der Einfluss der schlagende­n Korporiert­en so stark wie nie zuvor wieder zu. Denn sie sind seine wichtigste Machtstütz­e.

Wie glaubwürdi­g ist also Straches Ankündigun­g, der FPÖ den Rechtsextr­emismus auszutreib­en? Die Burschensc­hafter stellen 0,04 Prozent der Bevölkerun­g, aber dank der Neuauflage der schwarz-blauen Regierung sitzen sie jetzt an Hunderten Schaltstel­len des Staates und sind überpropor­tional im Parlament vertreten. Alle fünf FPÖ-Minister, einschließ­lich Vizekanzle­r Strache, haben Burschensc­hafter zu Büroleiter­n, Beratern und Experten gemacht, diese wiederum haben ihren eigenen Anhang mit allerlei Posten versorgt. Strache müsste, um glaubwürdi­g zu sein, all diese Leute wieder entlassen.

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FOTO: IMAGO Neuauflage der schwarz-blauen Regierung in Österreich: Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP, vorne) und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache.

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