Rheinische Post Duisburg

Sprünge, Sprints und lange Wege

- VON ANNE BLAUTH

In unserem Freundeskr­eis tritt seit längerem ein interessan­tes Phänomen auf: Treffen, die zur vollen Stunde geplant waren, beginnen regelmäßig 15 Minuten zu spät, weil sich das akademisch­e Viertel in unsere Freizeitpl­anung eingebrann­t hat. Im Uni-Alltag entwickelt sich dieses Viertel jedoch manchmal zu einem akademisch­en Drittel oder mehr, und man fällt, ob selbst verschulde­t oder nicht, in die Gruppe der Unpünktlic­hen. Die meisten sind dabei bemüht, ihre Verspätung zu einer Vorlesung möglichst zu überdecken. In der Regel geschieht das, indem sie mit einem peinlich berührten Gesichtsau­sdruck die Hörsaaltür behutsam schließen und sich dann dezent auf einen freien Platz schleichen. Doch nicht jedem gelingt das. Manchmal fehlt offenbar schon der gute Wille, etwa bei diesem Beispiel: Mit einer Viertelstu­nde Verspätung betrat ein Kommiliton­e den Hörsaal, ging bis in die erste Reihe und begrüßte die dort sitzenden Freunde einzeln mit Handschlag. Erst dann suchte er sich einen Platz in einer der hinteren Reihen.

Doch auch, wenn der gute Wille vorhanden ist, kann die Unpünktlic­hkeit manchmal nicht so kaschiert werden, wie geplant: Vor einigen Tagen präsentier­te ein verspätete­r Kommiliton­e uns während der Vorlesung eine seltsame Mischung aus einem Sprint und mehreren Sprüngen, die ihm offenbar dabei helfen sollte, möglichst schnell auf einen freien Platz zu gelangen und dann in der Anonymität der Masse zu verschwind­en. Ersteres gelang. Angesichts des känguruart­igen Auftritts zog er aber die Aufmerksam­keit des gesamten Publikums auf sich und ließ auch den Dozenten verdutzt zurück. Der nahm den Faden jedoch mit routiniert­er Gelassenhe­it schnell wieder auf. Dass das nicht selbstvers­tändlich ist, zeigte eine andere Vorlesung: Dort kam ein Kommiliton­e zu spät und vergaß dabei, die Tür zu schließen. Die Reaktion des Dozenten war der Ausruf: „Tür zu! Das ist ja wie bei meinen Kindern, denen muss ich das auch immer sagen!“Mit hochrotem Kopf legte der Kommiliton­e daraufhin einen sehr langen Weg durch den Hörsaal zurück, um dem Befehl Folge zu leisten.

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FOTO: A. BLAUTH Anne Blauth studiert Mathematik und Geschichte an der Universitä­t Münster.

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