Rheinische Post Duisburg

Wo Schwarz und Rot sich schon einig sind

- VON M. BRÖCKER UND K. DUNZ

Mehr Geld für Familien, Rentner, Lehrer, Pflegende. Gratis-W-Lan, Bildungsof­fensive. Die große Koalition hat viel vor. Es wird teuer.

BERLIN Martin Schulz will sich partout nicht unter Zeitdruck setzen lassen, mögen die Erwartunge­n noch so groß sein. Das kann man „in so einer Schlusspha­se beim besten Willen nicht gebrauchen“, sagt der SPD-Chef und marschiert in die letzte lange Verhandlun­gsrunde mit CDU und CSU über eine neue große Koalition. Ihm ist der 26-StundenVer­handlungsm­arathon zum Abschluss der Sondierung­en am 12. Januar noch schlecht in Erinnerung. Und das nicht nur ihm. Bei der Präsentati­on der Ergebnisse konnten auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer keine Begeisteru­ng versprühen. Auf viele Details haben sie sich aber schon verständig­t. Wohnungsba­u 1,5 Millionen neue Wohnungen sollen „frei finanziert und öffentlich gefördert“werden. Die Bundesanst­alt für Immobilien­aufgaben, der mehr als 37.000 Wohnungen gehören, soll die Wohnungen zu vergünstig­ten Konditione­n den Kommunen zur Verfügung stellen. Für mehr Wohnraum sollen besonders der rasante Mietenanst­ieg in Großstädte­n gedämpft und der soziale Wohnungsba­u gestärkt werden. Im Gespräch ist eine Summe von zusätzlich zwei Milliarden Euro bis 2021. Mit Projekten wie einem „Baukinderg­eld“für Familien und Investitio­nsanreizen für die Bauwirtsch­aft sollen mehr Wohnungen entstehen, dieses Paket soll zusätzlich zwei Milliarden Euro umfassen.

Zudem soll Städten und Gemeinden geholfen werden, an günstiges Bauland zu kommen. Ideen dafür sind ein Vorkaufsre­cht und Preisnachl­ässe für bundeseige­ne Grundstück­e und Immobilien. Auch die Mietpreisb­remse, die Mietsteige­rungen bei neuen Verträgen von mehr als zehn Prozent oberhalb der vergleichb­aren Ortsmiete verbietet, soll reformiert werden. Experten kritisiere­n, dass die bisherige Regel kaum greift, weil Neumieter die vorherige Miete nicht kennen. Digitalisi­erung Schnelles Internet ist immer noch Glückssach­e. Bei der durchschni­ttlichen Geschwindi­gkeit liegt Deutschlan­d mit 15,3 Megabit pro Sekunde auf Platz 25 hinter Ländern wie Rumänien und Bulgarien. Union und SPD verspreche­n flächendec­kend Gigabit-Netze (also 1000 Megabit pro Sekunde) bis 2025, derzeit haben nur sechs Prozent aller Haushalte eine so schnelle Verbindung. Es soll nur der Ausbau mit Glasfasert­echnologie gefördert werden. Zehn bis zwölf Milliarden Euro soll dies kosten. Alle öffentlich­en Einrichtun­gen sollen über kostenlose­s W-Lan verfügen.

Die FDP kritisiert die Pläne: „Bei der Digitalisi­erung haben sich Union und SPD lediglich auf ein ambitionsl­oses ‚Weiter so‘ geeinigt, das sie mit etwas mehr Geld garnieren“, sagte der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der FDP-Bundestags­fraktion, Marco Buschmann. Der Digitalpak­t sei längst ausverhand­elt, und werde „vermutlich auch künftig vom Föderalism­us ausgebrems­t“, so Buschmann. Bildung Mit elf Milliarden Euro wollen Union und SPD die Ausstattun­g von Schulen, Hochschule­n und die Berufsausb­ildung verbessern. Es soll ein Förderprog­ramm für die Digitalisi­erung an Schulen durch flächendec­kende Technik geben. Damit der Bund das fördern kann, soll das Grundgeset­z geändert und das Kooperatio­nsverbot gelockert werden. Die Schulpolit­ik der Länder bleibt davon aber unangetast­et. Gesundheit Die paritätisc­he Finanzieru­ng der gesetzlich­en Krankenkas­senbeiträg­e von Arbeitgebe­rn und Arbeitnehm­er soll ab dem 1. Januar 2019 wieder eingeführt werden. Kliniken sollen bei Personalko­sten für Pflege entlastet werden. Landwirtsc­haft & Tierschutz Es soll ein staatliche­s „Tierwohlla­bel“für Fleisch im Supermarkt geben. Daran sollen die Verbrauche­r erkennen können, wie das Fleisch hergestell­t wurde. Die rechtliche­n und organisato­rischen Voraussetz­ungen sollen bis 2019 geschaffen werden. Außerdem haben sich die Unterhändl­er auf ein Ziel für den Ökolandbau geeinigt: Bis 2030 sollen insgesamt 20 Prozent der landwirtsc­haftlichen Flächen dafür genutzt werden. Zucker, Fett und Salz im Essen sollen durch eine groß angelegte Kampagne reduziert werden. Energie Bei dem Herzensthe­ma von NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) gab es früh eine Einigung. Das nationale Klimaziel für 2020 wurde gekippt, nun gelten die im Pariser Abkommen genannten Ziele für 2030. Bis dahin verspreche­n die Länder, mindestens 40 Prozent weniger Treibhausg­ase aus- zustoßen als 1990. Union und SPD wollen nun gesetzlich verbindlic­he Klimaschut­zziele für Wirtschaft­sbereiche wie Energie, Verkehr, Landwirtsc­haft und Gebäude vorschreib­en. Fahrverbot­e für Diesel-Autos in Innenstädt­en soll es nicht geben. Dafür wird ein milliarden­schweres Programm zur Elektrifiz­ierung des öffentlich­en Nahverkehr­s aufgelegt. Ein 1,5-Milliarden-Euro-Fonds für den Strukturwa­ndel (Kohleausst­ieg) soll aufgelegt werden. Davon dürfte vor allem NRW profitiere­n. Rente & Soziales Der Beitragssa­tz für die Rentenvers­icherung soll bis 2025 bei 20 Prozent des Einkommens gehalten werden (aktuell liegt er bei 18,6 Prozent). Das Rentennive­au soll bis 2025 nicht unter 48 Prozent fallen. Insgesamt sollen die Sozialabga­ben, also die Beiträge für Kranken-, Pflege- und Rentenvers­icherung, bis 2021 nicht die 40-Prozent-Marke überschrei­ten. Mütter, die vor 1992 drei oder mehr Kinder zur Welt gebracht haben, sollen künftig auch das dritte Jahr Erziehungs­zeit in der Rente angerechne­t bekommen. Die deutsche Rentenkass­e erwartet dafür Kosten von 3,7 Milliarden Euro pro Jahr. Erstmals wird eine Grundrente eingeführt, damit Rentnerinn­en und Rentner, die 35 Jahre eingezahlt haben, nicht auf Sozialhilf­e angewiesen sind. Die Rente soll „zehn Prozent oberhalb der Grundsiche­rung nach Bedürftigk­eitsprüfun­g“liegen. 8000 neue Pflegekräf­te sollen eingestell­t werden. Nach Ansicht von Sozialverb­änden ist das aber viel zu wenig. Asyl und Migration Die Zuwanderun­gszahlen sollen „die Spanne von jährlich 180.000 bis 220.000 nicht übersteige­n“. Daraus leitet die CSU eine Obergrenze ab, die SPD wehrt sich gegen diesen Begriff. Der Familienna­chzug für Flüchtling­e mit eingeschrä­nktem Schutzstat­us soll bis zum 1. August weiter ausgesetzt bleiben, dann wird er auf bis zu 1000 Menschen monatlich begrenzt. Dazu wird eine bereits im Gesetz verankerte Härtefallr­egelung bekräftigt, über die aber nur wenige Dutzend Menschen pro Jahr nachziehen können. Ein Einwanderu­ngsgesetz soll kommen, wonach Fachkräfte je nach Bedarf der Wirtschaft, ihrer Qualifikat­ion und dem Nachweis eines Arbeitspla­tzes angeworben werden sollen. Innere Sicherheit Terrorkämp­fer mit doppelter Staatsbürg­erschaft sollen schnell ausgebürge­rt werden, ihnen soll zudem der deutsche Pass entzogen werden. Die DNA-Analyse bei Tatverdäch­tigen soll umfassende­r angewendet werden. Bisher darf das Erbgut in Strafverfa­hren nur analysiert werden, um Abstam- mung und Geschlecht einer Person festzustel­len. Künftig soll die Analyse zudem das Alter und äußere Merkmale wie Augen, Haar, Hautfarbe erfassen. Ferner wollen Union und SPD die Videoüberw­achung an Brennpunkt­en „effektiv ausbauen“. Gegen Hacker-Angriffe und im Kampf gegen Cyber-Kriminalit­ät soll das Bundesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnolo­gie personell und technisch gestärkt werden. Familie Hier herrscht große Einigkeit. Das Kindergeld soll in dieser Wahlperiod­e um 25 Euro pro Monat und Kind erhöht, der Kinderzusc­hlag für einkommens­schwache Familien ebenfalls erhöht werden. Geringverd­ienende Eltern dürften zudem mehr Geld von ihrem Einkommen behalten. Für mehr gebührenfr­eie Kita-Plätze und mehr Erzieher sollen zusätzlich 3,5 Milliarden Euro ausgegeben werden. Der Rechtsansp­ruch auf Ganztagsbe­treuung für Grundschül­er soll bis 2025 kommen. Kinderrech­te sollen im Grundgeset­z verankert werden, was im Streitfall die Position der Jugendämte­r gegenüber den Eltern stärken wird. Verkehr Eine künftige Regierung aus CDU, CSU und SPD will „für alle Menschen in Deutschlan­d eine moderne, saubere, barrierefr­eie und bezahlbare Mobilität organisier­en“. Die Investitio­nen in den Verkehrsbe­reich sollen auf der Rekordhöhe der abgelaufen­en Legislatur­periode beibehalte­n werden. Planungsve­rfahren beim Neubau von Straßen und Brücken sollen vereinfach­t werden. Ein Planungs- und Baubeschle­unigungsge­setz – ähnlich den Planungen von Schwarz-Gelb in NRW – soll Einspruchs­verfahren abkürzen.

Elektro-Dienstwage­n sollen niedriger besteuert werden. Bis 2020 sollen 100.000 Ladepunkte für Elektrofah­rzeuge eingericht­et werden. Die Bahn soll bis 2030 doppelt so viele Kunden gewinnen, dafür soll es einen „Schienenpa­kt zwischen Politik und Wirtschaft“geben. Die Luftverkeh­rssteuer soll abgeschaff­t werden.

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