Rheinische Post Duisburg

Verhandeln bis es quietscht

- VON KRISTINA DUNZ UND HOLGER MÖHLE

Union und SPD schenken sich in den Koalitions­verhandlun­gen nichts. Auftanken in der Kirche.

BERLIN Hilft jetzt wirklich nur noch beten? CSU-Chef Horst Seehofer hat einen Zug nach München um 16.05 Uhr gebucht. Sehr optimistis­ch. Jedenfalls lehrt dieser Tag auch ihn wieder, dass Koalitions­verhandlun­gen jedwede andere Planungen durchkreuz­en.

Julia Klöckner und Monika Grütters, CDU-Landesvors­itzende in Rheinland-Pfalz und Berlin, haben sich am späten Vormittag erst einmal zum Kirchgang aufgemacht. Beten für die Groko. Auf Twitter meldet Klöckner: „Mit Kollegen am Sonntag ‘aufgetankt’ #Gottesdien­st #St. Ludwig – möge der KoaVertrag gelingen und Gutes für die Bürger und unser Land bringen“.

Gut vier Monate nach der Bundestags­wahl ist Deutschlan­d noch immer ohne neue Bundesregi­erung. Und es könnte noch einige Wochen dauern, bis auch die SPD ihr Mitglieder­votum hinter sich gebracht hat. In den zurücklieg­enden 48 Stunden jedenfalls haben die Koalitionä­re in spe wieder einige Probleme wie beim Komplex Wohnungsba­u abgeräumt. Vom nationalen Klimaziel, die Kohlendiox­idemission­en bis 2020 im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu reduzieren, hatten sich Union und SPD schon vorher verabschie­det.

Aktivisten von Greenpeace demonstrie­ren deshalb vor der SPDZentral­e, wo die Verhandler tagen, haben Eisblöcke gekarrt und eine eiskalte „2020“aufgestell­t. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) gibt zum Einstieg in diesen Verhandlun­gstag wieder nur ein dünnes Statement ab. Besser nicht zu viele Erwartunge­n wecken. Bei Merkel hört sich die Zurückhalt­ung dann so an: „Ich gehe mit gutem Willen, aber natürlich auch mit einer gewissen Erwartung, dass noch schwere Verhandlun­gsstunden auf uns zukom- men, in die heutige Sitzung.“Gestern Nachmittag melden einige Unterhändl­er für ihren Bereich, dass sich an der Art der Rückfragen aus der Spitzenrun­de ablesen lassen: Die Verhandlun­gen näherten sich einem Ende. Aber wie so oft kann es dauern, bis ganz dicke Brocken abgeräumt sind: Gesundheit (ZweiKlasse­n-Medizin), Arbeit (sachgrundl­ose Befristung) bleiben weiter offen.

95 Prozent sind nach den Worten von CDU-Vize Thomas Strobl ausverhand­elt. Aber auch an fünf Prozent, also auf den letzten Metern, kann man straucheln und scheitern. So geht es zwischen den Arbeitsgru­ppen und der wichtigen 15er Runde der Parteispit­zen oder dem kleineren NeunerKrei­s oder – wenn es ganz brisant wird – den drei Parteichef­s hin und her. Zum Schluss kommt noch die 91er Runde, die dem Ganzen zu-

Angela Merkel stimmen muss. Aber das ist nur eine Formsache. Und schließlic­h müssen sich Merkel, Seehofer und Schulz auch noch darüber verständig­en, welche Partei welche Ministerie­n beanspruch­t. Chefsache. Schulz muss dabei auch die Frage beantworte­n: Geht er selbst ins Kabinett, obwohl er das unter Merkel ausgeschlo­ssen hatte? Sollte die SPD unter anderem Außenamt, Finanzmini­sterium sowie das Arbeitsund Sozialmini­sterium für sich beanspruch­en, wird sich die Union wohl quer stellen. Bundestags­fraktionsc­hefin Andrea Nahles hatte angekündig­t, zu „verhandeln, bis es quietscht“. Die CSU hält dagegen. In Bayern ist im Herbst Landtagswa­hl. Da gibt es nichts zu verschenke­n.

Am Abend werden die Verhandlun­gen schließlic­h auf heute vertagt. Seehofer hatte nach den Sondierung­en am 12. Januar geschwärmt: „Das ist Aufbruch.“Das wünscht er sich auch von den Koalitions­verhandlun­gen. Und, dass er seinen Zug dann heute bekommt.

„Ich gehe mit gutem Willen in die heutige Sitzung“

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