Trump möchte „Atombömbchen“
Mit kleinen, taktischen Nuklearwaffen wollen die USA Russland abschrecken. Kritiker fürchten, dass die Hemmschwelle für Krieg sinkt.
WASHINGTON Kritiker des US-Präsidenten sprechen von einem gefährlichen Irrweg, Befürworter von nüchternem Realismus in einer Welt voller Gefahren. Die Vereinigten Staaten wollen ihr nukleares Arsenal um Atomwaffen mit geringerer Sprengkraft ergänzen, damit nach Logik des Pentagon Rivalen wie Russland oder China auch künftig glaubhaft abgeschreckt werden. Es ist das bisher klarste Signal, mit dem Donald Trump abrückt von der Strategie seines Vorgängers Barack Obama, der einst die Vision einer Welt ohne Nuklearwaffen beschwor und – zumindest in kleinen Schritten – darauf hinarbeitete.
US-Verteidigungsminister James Mattis begründet den Kurswechsel mit der Tatsache, dass sowohl Moskau als auch Peking aufrüsten, ihre Kernwaffen modernisieren, „sich in die entgegengesetzte Richtung bewegten“, während die USA ihre Bestände reduziert hätten. Zudem, doziert der ehemalige Viersternegeneral, strebe Nordkorea im Widerspruch zu UN-Resolutionen nach Nuklearraketen. Der Iran habe sich zwar Beschränkungen unterworfen, doch das Land sei unverändert in der Lage, binnen zwölf Monaten eine Atombombe zu bauen, falls seine Führung das entscheide.
„Wir müssen der Realität ins Auge sehen und die Welt so sehen, wie sie ist, nicht so, wie wir es uns wünschen“, schreibt Mattis im Vorwort der „Nuclear Posture Review“(NPR), einer Analyse zur Überprüfung der amerikanischen Atompolitik, wie sie jede Regierung mindes- tens einmal vorlegen muss. Der Träumer Obama, steht zwischen den Zeilen, habe das Weltgeschehen allzu oft durch die rosarote Brille betrachtet. Kern des neuen Ansatzes ist die Absicht, sogenannte taktische Atomsprengköpfe zu entwickeln. Unter extremen Umständen, so die NPR, könnten solche Waffen auch als Antwort auf eine nichtnukleare Attacke eingesetzt werden. Experten wie Ernest Moniz und Sam Nunn, der eine Obamas Energieminister, der andere als Senator maßgeblich an Abrüstungsinitiativen beteiligt, übersetzen es so: Sollten die USA zur Zielscheibe eines massiven Cyberangriffs werden, könnten im Gegenzug taktische Sprengköpfe zum Einsatz kommen. Damit, warnen sie, stiege das Risiko fataler Fehleinschätzungen.
„Sollte eine Cyberattacke einen Großteil unseres Stromnetzes lahmlegen, wären wir dann in der Lage, schnell und zweifelsfrei zu bestimmen, aus welchem Land die Attacke kam?“, fragen beide in einem Essay. Überhaupt würde eine nukleare Katastrophe wohl am ehesten durch einen Irrtum ausgelöst. Amerikanische Präsidenten seien schon mehr als einmal vor vermeintlich heranfliegenden russischen Atomraketen gewarnt worden, und jedes Mal habe es sich um falschen Alarm im Zuge technischen oder menschlichen Versagens gehandelt.
Heute könnten Hacker Frühwarnsysteme manipulieren und Angriffe vortäuschen. In angespannter Weltlage die Richtung zu ändern, weg vom nuklearen Abrüstungsziel, sei schon deshalb falsch, mahnen Moniz und Nunn: „Glauben wir wirk- lich, dass wir ein Desaster für immer verhindern können in einer Welt, in der neun Staaten Atomwaffen besitzen und in der es an Misstrauen in den Beziehungen zwischen manchen von ihnen nicht mangelt?“
In einem zweiten Schritt, weniger beachtet angesichts des Wirbels um die „Mini-Nukes“, will das Pentagon U-Boote nach langer Pause wieder mit atomar bestückten Marschflugkörpern ausrüsten. Vor 27 Jahren war es George Bush der Ältere, der anordnete, derartige Cruise Missiles von Amerikas Unterseebooten zu entfernen. Später ließ Obama sie ganz aus dem Waffenarsenal nehmen. Mattis dagegen spricht von einer wohlüberlegten Option, die man brauche, um flexibler als bisher agieren zu können.