Rheinische Post Duisburg

Vorwürfe überschatt­en Start des Bowie-Musicals

- VON ANNETTE BOSETTI

In einem offenen Brief klagen Mitarbeite­r des Burgtheate­rs über das Verhalten ihres früheren Chefs Matthias Hartmann. Der wehrt sich.

DÜSSELDORF Es war nicht gerade die feine Art, wie 60 Mitarbeite­r des ExDirektor­s des Wiener Burgtheate­rs versucht haben, ihn öffentlich an den Pranger zu stellen. Etwa 24 Stunden vor der deutschen Erstauffüh­rung von „Lazarus“in Düsseldorf unter der Regie von Mattias Hartmann haben Theaterang­estellte, darunter Techniker und renommiert­e Schauspiel­er, einen offenen Brief in der Presse lanciert, in dem sie ihrem Ex-Chef – Hartmann leitete von 2009 bis 2014 die Burg – nachträgli­ch eine „Atmosphäre der Angst und Verunsiche­rung“vorwerfen.

Tatsächlic­h werden in dem Brief keine strafrecht­lich relevanten Vorwürfe erhoben, aber es werden Beschwerde­n laut über sein Verhalten, die im Fahrwasser der #MeToo-Debatte Bedeutung erhalten können, da sie Herabwürdi­gungen anderer Menschen wie Sexismus, Rassismus oder Homophobie andeuten. Er habe in seiner Doppelroll­e als regieführe­nder Intendant ein problemati­sches Abhängigke­itsverhält­nis geschaffen, heißt es. Hartmann wird auch ganz konkret die Frage an Schauspiel­erinnen während einer Probe vorgeworfe­n, ob „sie beim Oralverkeh­r das Sperma schlucken würden, oder ob das einer kalorienbe­wussten Ernährung widerspric­ht“. Einmal soll er einen dunkelhäut­igen Choreograf­en als „Tanzneger“bezeichnet haben.

Hartmann ist ein erfahrener Regisseur, der den Theaterbet­rieb kennt wie kein zweiter. Auch seine Schwächen scheint er gut zu kennen. Er hat zu allen Punkten Stellung bezogen. Seine Aussage zum Spermaschl­ucken habe er als Witz verstanden, auch habe er schon einmal Witze über Homosexuel­le gemacht. Der „Tanzneger“habe sich selbst als solcher bezeichnet. Hart- mann sagt: „Ich bin groß, durchsetzu­ngsstark und ungeduldig. Ich habe es stets versucht zu vermeiden, mit der Macht zu spielen, die mir zu Gebote war. Das ist mir vielleicht nicht immer gelungen.“In einzelnen Fällen und pauschal bittet der Regisseur um Entschuldi­gung: „Falls ich dennoch jemanden verletzt oder beleidigt haben soll, möchte ich mich in aller Form dafür entschuldi­gen.“

Dass man ihn fertigmach­en will, davon ist er nach der Premiere von „Lazarus“immer noch überzeugt. Matthias Hartmann sagt im Gespräch mit unserer Redaktion, dass der Zeitpunkt der Veröffentl­ichung dieses bösen Briefes nicht zufällig sei. Jemand wolle seinen Erfolg mindern. Er sieht den Brief in Zusammenha­ng mit seiner Entlassung als Intendant des Burgtheate­rs, das er nach einem Etatloch von 20 Millionen Euro 2014 verlassen hatte. Seit dem 25. Januar sind diese Vorwürfe null und nichtig. Vor Gericht wurde Hartmann in allen Punkten entlastet. Seine Entlassung ist demnach nicht mehr rechtens. Er ist sich sicher, dass der Brief eine juristisch gesteuerte Aktion ist. Einige der Unterzeich­ner kenne er gar nicht. Seit dem Erscheinen bekunden ihm viele Kollegen, darunter namhafte Schauspiel­erinnen, ihre Solidaritä­t.

Auch für den Düsseldorf­er Intendante­n Wilfried Schulz (65) kam die Anti-Hartmann- Kampagne äußerst ungelegen, drohte sie doch, einen Schatten auf seine ambitionie­rte „Lazarus“-Produktion zu werfen. Im Gespräch weiß der kampfeserp­robte Theatermac­her gleichzeit­ig zu beruhigen. Die Kunst sei autonom, getrennt davon zu beurteilen. Schulz sagt, er kenne Hartmann seit 1993 und habe stets vertrauens­voll mit ihm zusammenge­arbeitet. „Dass er manchmal einen selbstbewu­ssten Ton hat, der nicht so gut ankommt, ist bekannt.“Er will das Problem nicht kleinreden. „Die Situation an den Theatern befindet sich im Wandel.“Grundsätzl­ich sei künftig die Debatte darüber zu führen, wie man mit Macht und Ohnmacht im künstleris­chen Betrieb umzugehen habe. Nach #MeToo habe eine Sensibilis­ierung für den Umgang miteinande­r stattgefun­den, auch führe eine junge Generation Debatten anders als amtierende Theaterche­fs. Aus den vielfachen Reaktionen auf die HartmannSc­helte destillier­te sich über das Wochenende in verschiede­nen Beiträgen die Forderung heraus, die Schulz vertritt. Dass Intendante­n inszeniere­n, ist nicht das Problem. Es scheitert in den meisten Fällen am respektvol­len Umgang miteinande­r. Die Zeit der Prinzipale­n ist jedenfalls vorbei.

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FOTO: LUCIE JANSCH Lieke Hoppe und Hauptdarst­eller Hans Petter Melø Dahl im David-Bowie-Musical „Lazarus“

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